Schwerpunkte der Säkularisierungsdebatte seit Friedrich Gogarten. Ein Literaturbericht (original) (raw)

Kommentar und Säkularisierung in der Moderne: Einleitung

Kommentar und Säkularisierung in der Moderne, 2017

hat sein philosophisches Hauptwerk, den Stern der Erlösung (1921), einmal als "Kommentar unter Weglassung des Textes" bezeichnet. 1 Diese Selbstcharakterisierung ist verblüffend. Was ist damit gemeint? Die Tatsache, dass der Stern auf einer Fülle von Anregungen und Intertexten basiert, die er aber selten nennt? 2 Oder die Absicht des Textes, über das Philosophische hinaus eine neue Lebensform zu etablieren, also einen Weg aus dem Buch heraus "ins Leben" zu finden, wie die berühmte Schlussformulierung lautet? 3 Oder versteht sich das Werk als Fortsetzung traditioneller Kommentare, die sich vom Text gelöst haben? Deren Bedeutung beschreibt Rosenzweig an anderer Stelle wie folgt: Ich lese also, wenn mich eine Bibelstelle interessiert, alles was ich an alten Kommentaren dazu finde, und sehe, was mit dieser Stelle im Lauf unsres jüdischen Lebens geschehen ist, nebenher auch was christlicherseits von dem Wort ausgegangen ist. […] Und wenn ich auf die Weise mich plötzlich selbst in der Reihe der ‚Kommentatoren' finde, dann weiß ich, daß ich verstanden habe. 4 Auf den ersten Blick würde also das ‚Neue Denken' Rosenzweigs ganz in der Kontinuität der Tradition stehen und einfach ein weiterer Kommentar in einer langen Reihe sein. Anders als in dieser Tradition wäre dabei im Stern der Erlösung allerdings der kommentierte Text selbst nicht zu finden. Rosenzweigs rätselhafte Formulierung weist auf ein grundsätzliches Paradoxon des Kommentars hin: Der Kommentar hat zugleich Autorität über den Text und besitzt eine dienende Funktion, er verschwindet hinter dem kommentierten Original und stellt sich im gleichen Maße in den Vordergrund. Zugespitzt werden diese Spannungen im Umgang mit heiligen Texten. Gerade in ihnen steht in Frage, wer hier die Autorität besitztder kommentierte oder der kommentierende Text. Betrachtet man Rosenzweigs Stern der Erlösung genauer, so fällt auf, dass in ihm Kommentierungen ‚heiliger' und ‚profaner' Texte übergangs-und scheinbar unterschiedslos ineinanderfließen. So kommentiert er gleichermaßen philosophische Autoren wie etwa Hegel, Cohen, Kant oder Nietzsche, aber auch die Bibel, und

Kommentar und Säkularisierung in der Moderne

In der Moderne verändert sich der Umgang mit heiligen Texten und damit auch die traditionelle Praxis des Kommentars. Einerseits werden solche Texte nun auch wissenschaftlich und kritisch kommentiert, andererseits leben religiöse Kommentarformen auch in säkularen Kontexten fort: etwa in der Dichtung, der Philosophie oder der Philologie. Der Kommentar war lange der Königsweg der Auseinandersetzung mit klassischen, kanonischen und als ›heilig‹ verstandenen Texten. Weil das Verständnis von Schriftlichkeit entscheidend davon geprägt ist, wie man Texte kommentiert, ist die Geschichte des Kommentars zentral, um die Entstehung der modernen säkularen Textkultur zu verstehen. Der Band fragt, wie die Kommentierung religiöser Texte unter den Bedingungen der Säkularisierung noch möglich ist. Er beleuchtet Denkfiguren und Textpraktiken, mit denen säkulare Texte sakralisiert werden und wie jene Verschiebungen unser Verständnis von Kommentar verändern.

Säkularisierung: Theorie und Kontext. Säkularisierungstheorien aus systematischer und historiographischer Sicht

Approaching the question of secularisation from a historical and hermeneutical perspective, the author discusses the development and variations of theories of secularisation. Often, such theories are not only descriptive, but normative: They consider secularisation as a desirable development of modernity. Following the Dutch historian Herman Paul, the author presents four phases in the academic discussion on secularisation: First, a phase of general acceptance of secularisation theories. Secondly, a phase of critical discussion and even rejection of the secularisation paradigm, due to the phenomenon of rediscovery of religion and spirituality in modern times. Thirdly, a phase where the history of the secularisation paradigm itself is the main focus. Fourthly, Herman Paul’s desideratum, the exploration of the impact of secularisation theories on science, religion and society. In postmodern times, secularisation theory can no longer be the only paradigm to explain the present, nor to predict the future of human society.

Säkularisierung und die Souveränität der Moderne. Ein Kommentar zur Agamben-Lektüre Jürgen Mohns

Erschienen in: Anne Kühler / Felix Hafner / Jürgen Mohn (Hg.), Interdependenzen von Recht und Religion, Würzburg: Ergon, 187-196, https://nbn-resolving.org/urn/resolver.pl?urn:nbn:de:hebis:30:3-613947, 2014

Jürgen Mohns Interesse gilt dem Verhältnis von Religion und Recht im modernen Rechtsstaat. In Frage steht, wie sich dieses Verhältnis im bestehenden öffentlichen Diskurs darstellt. Den Angelpunkt dieses Diskurses sieht Mohn in der Interpretationskategorie der Säkularisierung: Der dominante öffentliche Diskurs ist ein „Säkularisierungs-Diskurs“. Denn wird das Verhältnis von Religion und Recht thematisiert, so geschieht dies vorwiegend im Vokabular der Säkularisierung und der damit verbundenen Religionsneutralität des Staates. Demgegenüber ist es das Anliegen Mohns, die Interdependenz von Recht und Religion „anders zu gewichten, als es der gesellschaftliche Standarddiskurs über Religion vorsieht, und anders, als es die dogmatische Rechtssprache bislang ermöglicht“; was Mohn sich zur Aufgabe macht, ist die Entwicklung „einer alternativen religionstheoretischen Sicht“, die sich vom herrschenden Säkularisierungsdiskurs kritisch absetzt. Ich möchte zeigen, dass diese Aufgabenstellung komplexer ist, als es zunächst den Anschein hat. Da sie auch komplexer ist, als in Mohns Aufsatz explizit wird, ergeben sich begriffliche Probleme. Im Zentrum dieser Probleme steht eine zweideutige Verwendung des Säkularisierungsbegriffs. Diese Zweideutigkeit gilt es aufzuzeigen, um vor diesem Hintergrund die von Mohn vorgeschlagene Lektüre Agambens in den Fokus zu nehmen. Zu fragen ist hier, ob und inwiefern Agamben als Kronzeuge derjenigen „alternativen religionstheoretischen Sicht“ dienen kann, die Mohn in seinem Aufsatz entfaltet.

Genealogie der Säkularisierungstheorie. Zur Historisierung einer großen Erzählung der Moderne

Geschichte und Gesellschaft 36/3 (2010) 347-376, 2010

As a master narrative of modernity, secularization was a product of the European Culture Wars. It was invented in the 1840s by male progressive elites who witnessed conflicts over the place and meaning of religion. Instead of acknowledging the new religiosity of this period as a product of modernity, they described it as a medieval revival. At the same time, they began to narrate and to visualize the rise of modernity as a process of secularization: as a differentiation of religion from other 'spheres', a privatization of religion, or a disenchantment of the world. While secularization failed in practice, it succeeded on a theoretical level by influencingWestern conceptions of modernity.

Fundamentalismus und Säkularisierung

Die substantielle Verbundenheit des Fundamentalismus mit der Moderne evoziert die Frage nach der Beziehung des Fundamentalismus zur Säkularisierung als einem Hauptelement der Modernisierung.

„Historische Analyse statt Ideologiekritik: Eine historisch-kritische Diskussion über die Gültigkeit der Säkularisierungstheorie.“ Geschichte und Gesellschaft 2011, Nr. 37: 482-522.

The debate regarding the applicability of the secularization thesis needs to make a sharp distinction between the context in which it was created and the grounds for its validity. The aim of this essay is to find empirically and theoretically wellfounded arguments against the secularization theory and to examine whether they are justified or not. But before announcing one's intention of criticizing the secularization theory, one needs to know what it actually says. Frequently an abridged, unilateral concept of the theory is used enabling one to dissociate oneself from it critically. Therefore, this essay starts with a brief presentation of the main presumptions of the secularization theory, goes on to list the major points of criticism before ending with a discussion of their justification.