Neuer Mensch im neuen Kontext: Die Funktion von Konversionserzählungen bei der Identitätsbildung religiöser Strömungen (original) (raw)
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Kennen und Bekennen. Konversion als Kuratieren des religiösen Selbst
Sakralisierung des Selbst. Praktiken und Traditionen der Subjektivierung, 2021
Wobei sie, als Ideal, so glänzt, daß sie nach menschlichem Augenmaß die Heiligkeit selbst, die zur Übertretung nie versucht wird, zu verdunkeln scheint* [ ... ]." Und Kant erläutert dies mit einem frei zitierten Vers von Albrecht von Haller: Der Mensch mit seinen Mängeln Ist besser als ein Heer von willenlosen Engeln." Was der Mensch sich bekennt, ist, dass er nicht am Ziel ist, in via, dass er das Ziel nie erreicht. Diese Aufrichtigkeit als Haltung sich und den eigenen Grenzen gegenüber unterscheidet die Kanfsche Vision gelungenen Selbstseins radikal von dem, was oben als Kult der Authentizität bezeichnet wurde 38 Christine Bischoff Kennen und Bekennen. Konversion als Kuratieren des religiösen Selbst 4. Bekenne Dich selbst-bekenne Dir selbst Als heilig gilt bei Kant das Selbst, das sich selbst etwas bekennt. Und das Bekannte ist ein Negatives, ist das Nicht-Erreichen der Vollkommenheit. Das, was ein Mensch für sich behält, behält so seinen Wert. Der Mensch existiert nicht erst in der kommunikativen, expressiven Verwirklichung seiner selbst. Von heiligem Wert ist der Mensch auch in dem, was unabgeschlossen bleibt bzw. bleiben muss. Insofern ist die Kant'sche Rede vom Heiligen ein heilsames Antidot gegen eine Ideologie der Expression, die nur als real anzuerkennen vermag, was Menschen einander bekennen, gegen einen Kult der Authentizität, der nur ein bestimmtes, kommunikativ rückhaltlos bekanntes Selbst als eigentlich gelebtes Selbst kennt und anerkennt, und der daher gerade nicht einzigartige Individuen ermutigt, sie selbst zu sein in genau der expressiven oder schweigenden Art und Weise, die ihnen entspricht.
Religiöse Identitäten in Bewegung. Zeitgenössische Konversionsgeschichten aus Burkina Faso
Dieser Artikel beschreibt anhand von zwei individuellen Konversionsgeschichten Veränderungen des religiösen Feldes in Burkina Faso, insbesondere in der Provinz Yatenga im Nordwesten des Landes. Zunächst werden die Entwicklung des religiösen Pluralismus im Laufe der jahrhundertelangen Kohabitation und die Veränderungen zwischen den Religionen, die damit verbunden waren, skizziert, um die aktuellen Formen dieses religiösen Erbes in historische Perspektiven einordnen zu können. Was religiöser Pluralismus für die Menschen konkret bedeutet, kann nur anhand ihres Verhaltens entschlüsselt werden. Im zweiten Teil werden deshalb individuelle Konversionsgeschichten vorgestellt, die es erlauben, im dritten Teil einige Elemente der zeitgenössischen Religionslandschaft in Burkina Faso zu interpretieren.
Konversionen von Juden zu einer der christlichen Kirchen waren in der frühen Neuzeit meist von Skepsis und Misstrauen begleitet. Oft bezweifelten Christen die Aufrichtigkeit der Motive und vermuteten handfeste finanzielle Gründe, die einen Juden bewegen konnten, um die Zulassung zum Religionsunterricht und schließlich die Taufe anzusuchen. "Wenn ein Jude bey uns die Tauffe Christi begeret / So glauben wir jhm nicht so bald / Er muß uns etliche sprüche au dem Moise vnnd auß den Propheten vom Herrn Christo auffsagen / vnd besondern / was er auß der Predigt des heiligen Evangelii Christi gelernet habe / Darauß wir mügen mercken/ ob es sein ernst sey." 1 Diese Haltung wurde von Täuflingen oft als belastend empfunden, erschwerte sie ihnen doch die erfolgreiche Integration in die Mehrheitsgesellschaft. Zugleich war jede Judentaufe ein Triumph für die Kirchen, die damit die Wahrheit und Überlegenheit des christlichen Glaubens bestätigt sahen. Der dänische Theologe Christian H. Kalkar, der als Sohn eines Rabbiners selbst vom Judentum zum Protestantismus übergetreten war, stellte im 19. Jahrhundert anerkennend fest, dass es "auch der katholischen Kirche gelang, bedeutende Juden zum Christentum zu bringen". 2 Er wies damit auf einen wichtigen Aspekt der Missions-und Konversionsgeschichte hin, nämlich die Vorzeigewirkung jüdischer Konversionen. Obwohl einzelne Theologen die Taufe durchaus zu interkonfessioneller Polemik nutzten, um etwa auf den "Aberglauben" der "Papisten" hinzuweisen, der potenzielle jüdische Taufwillige abstoßen würde, so wurden Juden, die konvertiert waren, über konfessionelle Grenzen hinweg als Erfolg des Christentums gesehen. Im Folgenden sollen exemplarisch einige frühneuzeitliche "Vorzeigekonvertiten" und die wichtigsten Strategien, die gewählt wurden, um die Vorbildwirkung ihres Übertritts missionarisch zu vermarkten, vorgestellt werden. Unter den Konvertierenden finden sich Menschen aller Stände. Es waren keineswegs nur Bedürftige, die den lebensverändernden Schritt in die christliche Mehrheitsgesellschaft wagten, aber für viele bedeutete die Konversion keinen gesellschaftlichen Aufstieg, besonders wenn sie finanziell besser gestellt waren, da sie mit dem Übertritt normalerweise ihr Vermögen, die Mitgift und den Erbanspruch verloren. Obwohl Frauen und Männer zum Christentum konvertierten, sind "Vorzeigekonvertiten" in dieser Zeit immer Männer, die über eine gewisse jüdische Bildung verfügten und diese nach der Konversion entsprechend einsetzen konnten. Der Übertritt war keine Privatangelegenheit, sondern ein öffentliches Ereignis, bei dem der Konvertit bestimmten Erwartungen zu entsprechen hatte.
Neutestamentliche Apostelfiguren als Wegweiser zu einer übergreifenden christlichen Identität
Identität und Authentizität von Kirchen im "globalen Dorf". Annäherung von Ost und West durch gemeinsame Ziele?, 2019
Das Neue Testament bezeugt ein vielfältiges, aber zugleich auch einheitliches Christentum. Da sich die frühen Christen erheblich voneinander unterschieden haben, war die Einheit und das Wachstum der Urkirche nur deswegen möglich, weil das Gemeinsame stärker als die trennenden Elemente und die christliche Identität prägender als die einzelnen Identitäten wirken konnten. Diese Identität wird in vorbildhafter Weise im neutestamentlichen Zeugnis über die Wirkung der Apostel geschildert. Im Folgenden versuchen wir dieses Zeugnis exemplarisch zu präsentieren, kritisch zu bewerten und auf die heutige Situation des Gesamtchristentums zu projizieren. Den Begriff "Apostelfiguren" wählen wir bewusst aus dem Bereich der Narratologie. 1 Wir sind nämlich hier eher nicht an einer historischen Rekonstruktion des frühen Christentums, sondern vor allem an den Erzählungen der frühen Christen über ihre einzelnen Kirchen interessiert. Andererseits werden wir selbstverständlich auch den historischen Kontext dieser Erzählungen mitberücksichtigen. Der Schwerpunkt auf der Erzählung anstatt auf der Geschichte hat mit dem postmodernen Verständnis der Geschichte zu tun, nach dem sogar das, was wir heutzutage Geschichte nennen, eigentlich nichts Weiteres ist als einfach eine Erzählung über die Geschichte. 2 Sowieso stehen uns nicht genug gesicherte historische Beweise zur Verfügung, um eine ganzheitliche und 1 Zur narratologischen Begrifflichkeit in Bezug auf den Terminus "Figur" vgl. Fotis Jannidis, Figur und Person. Beitrag zu einer historischen Narratologie,
Transformationen des Religiösen
Einer der Begriffe, die zurzeit in den Geisteswissenschaften Konjunktur haben, ist der Begriff der Transformation. " Transformation " soll das Gleichbleibende und Übergreifende beschreiben, also nicht die Brüche, Diskontinuitäten und Neuerungen, wie dies z.B. der Begriff der Epoche tut. Grenzt der Epochenbegriff das Eine vom Anderen ab, so betont der Transformationsbegriff das Verbindende. Natürlich lassen sich die Konzeptionen nicht gegeneinander ausspielen, denn meist gibt es sowohl Kontinuität als auch Diskontinuität –, wie Reinhart Kosellecks Begriff der Sattelzeit nahelegt. 1 Dennoch kennen wir auch solche Zeiten, in denen der Schwerpunkt trotz gleichbleibender und " transformierter " Motivik verstärkt auf dem Neuen liegt. In diesen Zeiten finden so tiefgreifende Transformationen statt, dass sie als Neuerung und Bruch und als Diskontinuität empfunden werden. Diskontinuität zu betonen hilft beiden Seiten, den Vertretern des Alten und denjenigen des Neuen: Die einen betonen den Ab-Bruch als Zeichen für den Zusammenbruch, die anderen sehen ihn als Auf-Bruch zum Besseren hin. Die Beurteilung von Diskontinuitäten hängt also auch von Voreinstellungen ab und kann eine emotionale Basis haben, z.B. das Gefühl des Verlustes von Gewohntem. Wie stark die Beurteilung von Wandlung und Neuerung, Transformation und Epochenwende, Kontinuität und Diskontinuität von der jeweiligen Rezeption der Ereignisse abhängen, erkennen wir zu bestimmten Zeiten besonders deutlich: Die Schwelle zur Neuzeit war eine solche Zeit. Die " Renaissance " etwa wollte eine Wiedergeburt der Antike und ein Ende der ihr vorausgehenden Zeit markieren, die später als " Mittelalter " (ab)qualifiziert wurde. In der Spätantike stehen sich Vertreter der antiken Weltordnung und die entstehende Christengemeinde in gegenseitiger Apologetik gegenüber. Die emotionale Folie überdeckt Transformationsprozesse, die in Zeiten des Umbruchs sämtliche Legensbereiche durchdringen, aber auch Brüche und Neuanfänge beinhalten. Sowohl in der Neuzeit als auch in der Spätantike steht die fundamentale Wandlung der religiösen Sphäre im Zentrum aller Veränderungen und beide Zäsuren sind eng an die christliche Religion geknüpft: In der Spätantike liegt ihr Aufstieg, in der Neuzeit beginnt der Niedergang.
Religiöse Konversion als belief revision
In der Religionswissenschaft, der Geschichte und der Ethnologie wird die Übertragung von Gedankengut von einer Quellkultur zu einer Zielkultur sowie die Annahme neuen Gedankenguts durch die Zielkultur bzw. durch Angehörige derselben zwar rege, allerdings anhand der Ergebnisse, nicht anhand des Prozesses erforscht. 1 Auch Theologen studieren Konversionen und ihre Triebfedern angesichts ihrer praktischen Folgen. Da die Rationalität keine Eigenschaft des Ergebnisses, sondern eine Eigenschaft des Prozesses ist: des Dialogs, der Überlegungen aufgrund bestimmter Evidenz, der Entscheidung, bleiben durch die Einäugigkeit kulturwissenschaftlicher Forschung die rationalen Momente von Prozessen wie Gesinnungswandel und Gesinnungsfestigung außer Acht. Von bestimmten Seiten der kulturwissenschaftlichen Religionsforschung wird sogar ausgeschlossen, dass Einstellungs-und Überzeugungswandel durch Dialog herbeigeführt werden. 2 Jüngste religionsphilosophische Ansätze stimmen mit diesem Resultat überein. Daniel Dennett 3 argumentiert z.B. anhand von ein paar paradoxen und amüsanten Beispielen dafür, dass eine Religionsgemeinschaft, die sich auf esoterisches Wissen beruft, nicht kommuniziert oder von ihrem Umfeld als nicht kommunikativ eingestuft wird, was ein-und-dasselbe sei. Solche Beispiele führen den Mitteilbarkeitsbegriff insgesamt ad absurdum, nicht nur die Mitteilbarkeit religiöser Überzeugungen. Ferner reicht es zur Abstempelung einer Gemeinschaft als nicht kommunikativ, wenn kommunikationsunwillige oder misstrauische Außenstehende bloß behaupten, dass diese Gemeinschaft in eigener Sache immer lügt. Die von Dennett herausgestrichenen Paradoxien sind keineswegs der Religion eigenartig und setzen Unwillen zum Dialog voraus -und nur dadurch schließen sie auf die Nichtmitteilbarkeit religiöser Überzeugungen. 1 Vgl. Gerogiorgakis/Scheel/Schorkowitz, Kulturtransfer, 392-395. 2 Vgl. Müllerburg/Müller-Schauenburg/Wels, Und warum glaubst du dann nicht?, 286; 293; 299; 303; 316-7. 3 Breaking the Spell, 234-40.