Handeln nichtmenschliche Tiere? Eine Einführung in die Forschung zu tierlicher Agency (original) (raw)

Wenn aus Tieren Personen werden Ein Einblick in die deutschsprachigen «Human Animal Studies» 1

In den letzten Jahren haben sich in den deutschsprachigen Kultur-und Sozialwissenschaften die «Human Animal Studies» als eine neue Forschungsrichtung etabliert. In Perspektivverschiebung zu den bisherigen Studien über das Mensch-Tier-Verhältnis in diesen Disziplinen geht es in diesem interdisziplinären Forschungsfeld um eine grundsätzliche Neubestimmung des wissenschaftlichen Blicks auf das Tier. Das Tier wird als ein mit eigener Handlungs-und Wirkungsmacht ausgestattetes Lebewesen betrachtet. Der Beitrag stellt diese Forschungsrichtung mit Blick auf seine Herausforderungen für die Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie vor. Kühe und Rinder als Personen von öffentlichem Interesse Im Sommer des Jahres 2011 machte eine Kuh namens Yvonne in den Medien von sich reden. Das Tier hatte auf dem Weg zu einem bayerischen Schlachthof die Flucht ergriffen und war in die Wälder geflohen. Dort verbarg es sich über mehrere Monate hinweg erfolgreich vor seinen Häschern. Alsbald füllte die flüchtige Kuh das mediale Sommerloch: Die überregionale deutsche Tageszeitung Bild setzte beispielsweise 10 000 Euro Belohnung aus, um Yvonne einzufangen und vor der Schlachtung zu retten. 2 In Grossbritannien berichtete CBC news über die «Bavarian cow, [which] makes great escape». 3 Die britische war nicht die einzige internationale Pressestimme. Der Personalartikel, den Yvonne inzwischen in der digitalen Enzyklopädie Wikipedia erhalten hat, weist internationale Berichterstattung über Yvonne für Frankreich, Dubai, Indien und Südafrika nach. 4 In Bayern wurde die Kuh derweil zur Volksheldin: Der Liedermacher Theo Bachschmid und die Sängerin Petra Schauer huldigten dem tapferen Rind, das die Einsamkeit der Wälder dem Tode im Schlachthof allemal vorzog. «Muh, muh, ich bin die Kuh und hab' ein Herz genau wie du»; «muh, muh, ich heiss' Yvonne, und wenn ich will, lauf' ich davon» -der Refrain ihres Schlagers stilisiert die Kuh zu einer Person mit Gefühlen und eigenem Willen. 5 Dank zünftiger bayerischer Musik gerieten das Lied zum «Wiesnhit» auf dem Münchner Oktoberfest 2011 und die Kuh zur Volksheldin. Yvonne wurde Identität stiftendes Symbol bayerischen Wir-Gefühls. Die Selbstermächtigung der Kuh oder -je nach favorisierter Deutung -ihr Überlebenstrieb und günstige Gelegenheit retteten dem Tier schliesslich das Leben: Yvonne wurde unter grosser medialer Begleitung auf einem Biobauernhof in Bayern untergebracht. Gegen diese neue Unterbringung wehrte sie sich übrigens ebenso tapfer wie zuvor vor dem Schlachter. Yvonne ist nicht das einzige Rind, das öffentliches Interesse erregt hat. In Grossbritannien entdeckte man 2006 im Cornwall Centre in Redruth «Jenny the heifer», Jenny die Färse, also ein gerade geschlechtsreifes junges Rind als klug

Tierarbeit – Animal Labour – Der Versuch einer Einordnung

TIERethik, 2022

“Animal labour” is an emerging strand of research in the English speaking Human-Animal Studies that employs a plethora of emotionally charged metaphors and builds on different pre-understandings of the concept of labour. For some, it can change our relations with nonhuman animals for the better – towards more just human-animal societies – while others believe it is meant to justify existing forms of exploitation of nonhuman animals. This article provides an overview of this rapidly growing, amorphous strand of scholarship on the topic of animal labour and contributes to classifying their different goals and measures. On the one hand, it explains why animals (can) labour in the narrow sense of the term, and on the other hand, it introduces the continuum from unfree to free labour – with all its intermediate stages – with reference to nonhuman animals. The article uniquely focuses on the perspective of how animal labour can help to establish more just human-animal relations.

Tierische Agenten Tiere für den Kriegseinsatz - Lehmann Avraam - Struppi 3-2017 S22-23.pdf

Zwischen Tier und Mensch haben sich im Laufe der Zeit viele ungewtihnliche Symbiosen und Antibiosen ergeben. Vom Nutztier zur Leibspeise, vom besten Freund zum gefUrchteten Feind. Der amerikanische Geheimdienst CIA begann ein Projekt mit dem Titei ,,Acoustic Kitty". Hierbei sollte eine Katze Gesprache mit- undabhtiren, indem sie sich z. B. im WeiBen Haus an Staatsgaste ankuschelt oder einfach nur ihre Nahe sucht. Niemand verdachtigt solch ein kuscheliges und harmlos wirkendes Wesen ein Spion zu sein. Es soli sogar Ambitionen gegeben haben, die ,,Acoustic Kitty" dazu einzusetzen den eigenen Prasidenten im Wei Ben Haus abzuhtiren. Diese Katze wurde vorher prapariert. Dabei wurde ihr operativ der Riicken bis an den Nacken getiffnet, und dort ein Antennenkabel platziert. Ein Mikrofon wurde in den Ohrkanal implantiert. Vorne in der Brust wurden eine Batterie und ein Sender implantiert, urn die aufgenommen Daten zu iibermitteln. Die Abbildung zeigt die verschiedenen lmplantate und ihre Position. Dieses Projekt kostete die zustandigen Behtirden unglaubliche 15 Millionen Dollar.

Theorie in Bewegung - Tagungsbericht zu: Animal Politics. Politische Theorie des Mensch-Tier-Verhältnisses der DVPW-Sektion Politische Theorie und Ideengeschichte, Universität Hamburg vom 12.–14. März 2014

organisierte Frühjahrstagung der Theoriesektion war anders. Erlebten die Teilnehmenden in Hamburg doch zuweilen das, was man einen Irritationsmoment nennen könnte. So lassen sich jene Momente beschreiben, in denen man beispielsweise ungläubig den Begriff "Dinosaurier-Erotik" 1 vernahm. Derlei Irritationen verweisen auf ein Wagnis. Ein Wagnis, das die Veranstalter bewusst eingegangen sind, indem sie die Versammlung zu einem Thema einberufen haben, das bisher kaum von der Politischen Theorie bearbeitet wurde. Diese Konstellation weist die Richtung für das, was wir ‚Theorie in Bewegung' nennen möchten; zunächst verstanden als ein Bemühen der Sektion, die Animal Studies, die in anderen Disziplinen wie der Soziologie, Philosophie, Rechts-und Literaturwissenschaft längst nichts Ungewöhnliches

Einleitung: Philosophie der Tierforschung. Kulturelle und ethische Dimensionen methodischer Tier-Mensch-Interaktionen

2016

Die Tierphilosophie ist eines der lebendigsten Felder der Gegenwartsphilosophie. In ihrem Mittelpunkt standen bislang Fragen nach dem Geist der Tiere, der Tier-Mensch-Unterschied oder Probleme der Tierethik. Die auf drei Bände angelegte »Philosophie der Tierforschung« wirft einen neuen Blick auf dieses Gebiet mit dem Ziel einer strukturierten Untersuchung der Tier-Mensch-Verhältnisse in den methodischen Zugängen der Tierforschung. Während der erste Band, dem Gedanken der Forschungsumwelten folgend, unter dem Schlüsselkonzept der methodologischen Signatur von Forschungsprogrammen die historische und systematische Aufarbeitung der Tierforschung zum Ziel hatte, widmet sich dieser zweite Band den »Maximen und Konsequenzen« der Tierforschung. Damit öffnet sich das zu untersuchende Feld in Richtung auf kulturelle und ethische Aspekte, auf gesellschaftliche und politische Horizonte der Forschung. Hatte der erste Band deutlich gemacht, dass Tiere in den betreffenden Forschungsumwelten nicht nur die Rolle passiver Objekte spielen, sondern auch subjektive und aktive Qualitäten erlangen, und sei es in Form der Widerständigkeit, so erweisen sich die Forschungsumwelten samt der in ihnen stattfindenden Interaktionen zwischen forschenden Menschen und erforschten Tieren damit unter ethischen und kulturellen Vorzeichen als Machtsysteme, deren Mechanismen der Anerkennung und Unterdrückung philosophisch zu thematisieren sind.

Auf den Schultern von Riesen. Zum Umgang mit Tieren aus Sicht der Ur- und Frühgeschichte

In: S. Horstmann (Hrsg.), Interspezies Lernen. Grundlinien interdisziplinärer Tierschutz- und Tierrechtsbildung. Human-Animal Studies 27 (Bielefeld 2021) 29–60., 2021

Wenn über Tierrechte und Tierschutz heute diskutiert wird, so ist es unabdinglich zu wissen, woher wir und die Tiere an unserer Seite gekommen sind. Die gemeinsame Geschichte von Mensch und Tier geht Jahrtausende – Jahrmillionen, wenn man auch die Menschwerdung miteinbezieht – zurück, und die Haus- und Heimtiere, mit denen wir uns heute umgeben, sind die Nachfahren jener Individuen, die vor langer Zeit gefangen, domestiziert und für immer und unumgänglich verändert wurden, was ihren Körper und ihr Verhalten betrifft. Hinzu kommt, dass durch den Menschen die Wildvorfahren einiger Haustiere ausgelöscht wurden, etwa der Auerochse oder das Wildpferd. Die Vorgeschichtsforschung lehrt, wie eng Menschen und Tiere zusammenlebten, und macht die Abhängigkeiten von menschlichen Individuen, aber auch ganzen Gesellschaften von Tieren deutlich; Abhängigkeiten, die bis heute existieren, aber aus unserem unmittelbaren Blickfeld verdrängt sind. Damit sind nicht allein Ressourcen wie Fleisch, Fett, Milch, Eier oder Wolle gemeint. Auch in symbolisch-religiöser und emotionaler Hinsicht bestehen enge Verflechtungen zwischen Menschen und Tieren, die die ur- und frühgeschichtliche Archäologie aufdecken und erklären kann. Dabei muss feststehen, dass Vergangenheit nicht idealisiert werden darf: Tierrechte und Tierschutz, wie sie heute im Gesetz verankert sind – und mögen sie auch manchem zu kurz gegriffen erscheinen – existierten in der Vorgeschichte nicht. Andere Formen der Achtung vor dem Tier – der respektvolle Umgang mit dem Jagdwild, das Tabu auf besonderen Wildtieren oder geliebten Heim- und Haustieren oder auch der hohe materielle Wert, der Tieren zugewiesen wurde – können als rudimentäre Äquivalente angesehen werden, in denen der Keim für unsere heutigen Verordnungen und Gesetze angelegt ist.

Vom Tier zum Anderen Versuch zur nicht-menschlichen Andersheit und zu nicht-indifferenten Begegnungsmöglichkeiten

animal relationale. Sammelband studentischer Essays, 2017

https://www.academia.edu/36840135/animal\_relationale Die Einführung von Tieren als Erkenntnisgegenstand der abendländischen Philosophie in Aristoteles‘ Politik avanciert geschwind zu zweierlei Gedanken, welche in den Gang der gesamten folgenden philosophischen Tradition verwoben sind: erstens den der anthropologischen Differenz und zweitens den der Subjugation des Anderen unter das Selbe (vgl. Aristoteles, pol. 1, 2; 5; 8; vgl. Kling, 2015, S. 23-25). Letzteres artikuliert sich in einem mehrfachen Analogieargument, welches die Begriffsverbände des Besseren, des Herrschenden, des Männlichen und des Menschlichen je mit denen des Schlechteren, des Beherrschten, des Weiblichen und des Tierischen ‚der Natur gemäß‘ miteinander assoziiert: So verhält sich der Herr zum Sklaven wie der Mensch zum Tier. Ersteres hingegen beruht auf der Entfaltung der logozentrischen Unterscheidung von Stimme und Sprache (vgl. Arist. pol. 1, 1252b-1253a): Die Stimme lässt ‚Freud und Leid‘ – mithin affektiv-körperliches – anklingen, die Sprache allerdings bespricht ‚Nützliches und Schädliches‘ sowie ‚Gerechtes und Ungerechtes‘ – also den Gegenstandsbereich von Verstand und Vernunft. Vermittelt über die Eingrenzung des Logos auf den Menschen wird dieser in Abgrenzung vom Tier zum zoon logon echon stilisiert, welcher in seiner gleichzeitigen Bestimmung als physei politikon zoon die Welt seiner Ordnung zum ‚Besseren‘ hin unterstellt – die fundamentale Bedeutung des Tieres für die Selbstkonstitution des Menschen spiegelt diese doppelte Differenz und gipfelt im Gedanken, „… daß es um der Menschen willen Tiere gibt …“ (ebd., 1256b 15-20). Die Geschichte, die wir über das Menschsein erzählen, versteht sich also gewissermaßen von Anfang an von einer Abgrenzung gegenüber dem nicht-menschlichen, dem tierlichen Anderen des Menschen her getragen. Inmitten dieser Erhellung des Menschen durch das Tier, das mit seiner Unvernunft fortwährend die Menschenwürde beweist (vgl. Horkheimer & Adorno, 1944, S. 277), zeichnet sich eine Irritation hinsichtlich der Angemessenheit solcher nivellierender Dichotomien ab; oder besser gesagt: Sie schreit von vielerorts gen Himmel. Die vereinfachende Gewalt, welche allen sogenannten nicht-menschlichen Tieren angetan wird, verbleibt eben nicht auf einer bloß theoretischen Ebene, sondern gebiert eine Vielzahl ethischer Probleme. Vorliegender Essay will dabei (1) zeigen, welche Dimensionen kategorial verkürzt werden und versucht (2), ein Antasten an eine ethische Beziehung zwischen Mensch und Tier zu leisten; oder angemessener: zwischen Selbst und Anderen – somit steht dieser mit beiden Beinen in Interessensgebieten der Human-Animal-Studies (vgl. DeMello, 2012, S. 20-26; Shapiro, 2008, S. 5-7). Im Bemühen (1) und (2) einigermaßen zufriedenstellend zu bearbeiten, wird mit einer knappen Skizze des Durchbruchs der Andersheit von Tieren gehoben, die im Dreischritt über Gedanken von Lévinas, Derrida und Haraway reflektiert2, und mit einer (ver)antwortenden Begegnungsmöglichkeit geschlossen – doch es wird dabei weder eine synthetische ‚Lösung‘ noch eine systematisch-umfassende Liste von Optionen geboten werden. Es soll vielmehr ein von mehrerlei Seiten getroffener Versuch einer alteritätssensiblen Schrift unternommen werden. Konkret die Frage danach, ob hinter dem auf eine ‚Stimme‘ reduzierten Tier so etwas wie ein schweigender Logos ruht, der das Tier doch zu einem Jemanden mit Gesicht erhebt, dessen Anruf nur so gewissenhaft verleugnet und verdrängt wird bzw. wurde, leitet diese Überlegungen.

Massloser Tierschutz? Die Mensch-Tier-Beziehung zwischen Vermenschlichung und Verdinglichung

In view of recent developments in human-animal relations, vets and ethicists face a new problem: On the one hand, animals such as mammals and birds are used extensively and are in danger to be reduced to mere production units e. g. in the agricultural production, measuring devices in laboratories, sports equipment etc. On the other hand, biologically similar animals are perceived as family members or partners and are almost treated like humans. The article summarizes the results of a workshop that dealt with reductionism and anthropomorphism in human-animal relations. Vets and ethicists tackled the question how the unequal treatment of biologically similar animals can be better understood and whether it can be ethically justified. In the first section, the problem of inconsistency in human-animals relations is briefly sketched. The second part of the article addresses the ethics of unequal treatment of similar animals in different contexts. The following section inquires possible so...

Folklore, Nichtmenschliche Tiere und Sozialdarwinismus

Ethnographica et Folkloristica Carpathica

Der vorliegende Artikel befasst sich mit der kritischen Ananlyse der ausgewählten Grimms Märchen im Zusammenhang mit Sozialdarwinismus. Zunächst wird einen kurzen Überblick über den Begriff und seinen historischen Hintergrund zur Verfügung gestellt. Des Weiteren beschäftigt sich dieser Artikel mit verschiedenen Ideen, die die DenkerInnen des Sozialdarwinismus im Laufe der Zeit verwendet und präsentiert haben. Danach wird der Artikel den Zusammenhang zwischen Sozialdarwinismus und Grimms Märchen darstellen. Des Weiteren werde wir die ausgewählten Märchen ein nach dem anderen im Kontext von Sozialdarwinismus betrachten. Die zur Analyse herangezogenen Märchen der Gebrüder Grimm umfassen: Der Fuchs und die Katze, Der Wolf und der Fuchs, Der Zaunkönig und der Bär. Die ausgewählten Märchen werden in diesem Artikel durch die Linse der theriozentrisch-animalistischen Perspektive betrachtet, da die anthropozentrische Leseart Märchentiere nur im Bezug auf den ‘Charaktermasken menschlicher Eig...