Der Doppelcharakter des Rechts (original) (raw)
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Doppeleffekt, Rechte und Gründe
2011
Der heilige Thomas von Aquin lehrt, man dürfe im Notwehrfall einen böswilligen Aggressor unter Umständen töten. Dies sei dann der Fall, wenn das zur Rettung des eigenen Lebens notwendige Mittel, nämlich die sichere und zuverlässige Abwendung der Lebensgefährdung, den Tod des Aggressors zur Folge habe. Strikt intendiert sei dann nämlich nur die eigene Lebensrettung; wenn dazu die Tötung des Angreifers in Kauf genommen werden muss, mag dies zwar bedauerlich sein, ist aber kein Unrecht. 2 In der katholischen Morallehre hat sich hieraus eine allgemeine Doktrin der Doppelwirkung entwickelt, die auch auf ganz andere Fälle als Selbstverteidigung Anwendbarkeit beansprucht. Ich übersetze hier exemplarisch die einflussreiche Formulierung Joseph Mangans: Einer Person ist es erlaubt, eine Handlung auszuführen, von der sie vorhersieht, dass sie sowohl einen guten als auch einen schlechten Effekt hervorbringen wird, wenn folgende vier Bedingungen zugleich zutreffen: 1. Die Handlung selbst muss auf Grund ihres Zwecks gut oder zumindest indifferent sein. 2. Nur der gute Effekt und nicht der schlechte Effekt (wörtlich "evil effect") darf intendiert sein. 3. Der gute Effekt darf nicht durch das Mittel des schlechten Effekts hervorgebracht werden. 4. Es muss einen zureichend schwerwiegenden Grund geben, den schlechten Effekt in Kauf zu nehmen. 3 1 Dieser Text entspricht bis auf einige zusätzliche Fußnoten nahezu vollkommen dem am 13.09.2011 in München gehaltenem Vortrag. Für hilfreiche Kommentare in der Nachdiskussion danke ich vor allem Sebastian Rödl und Pirmin Stekeler-Weithofer. Die hier offen bleibenden Fragen werden hoffentlich in meiner Dissertation (Wertholismus und moralisches Urteilen) zufriedenstellend beantwortet.
Doppelstaat und Rechtsverdoppelung
Ludovika Verlag, 2022
In den Kapiteln des Bandes analysiere ich die Auswirkungen von Normen, die konstitutionellen Grundrechten und -Grundsätzen sowie die konstitutionellen Werten der Verfassung auf Schichten des subkonstitutionellen Rechtssystems. Diese Rechtsschichten entwickelten sich über einen langen Zeitraum im frühmittelalterlichen Europa vom Status des bloßen Gewohnheitsrechts, als das Recht lediglich in Gerichtsentscheidungen verankert war. Mit der Entdeckung der Digesta um 1050 begann die italienische juristische Ausbildung in Italien, und mit der Verbreitung dieser Ausbildung verbesserte die Rezeption des römischen Rechts in Westeuropa und später in Osteuropa allmählich das Gewohnheitsrecht mit einer rationaleren Rechtsauffassung. Das von der Theologie emanzipierte philosophische Denken und dem geometrisch-mathematischen Denken führte das abstrakte Denken in den 1500er und 1600er Jahren allmählich ins Rechtsdenken hinein und damit wurde der jahrhundertelange römische Rechtskasuismus und die Rechtsbildung in Richtung auf die Rechtskodize verlagert, die in einem logischen System entworfen wurden. Ab dem frühen 18. Jahrhundert stützten Leibniz und Christian Wolff ihre Arbeiten auf solche konzeptuell strukturierten Rechtsnormen und die Rechtsbestrebungen der zentralisierten absoluten Monarchien nahmen später in Anspruch diese Rechtssystematik für ihre bewusste Zwecke und ersetzten durch die Rechtskodizes die frühere gewohnheitsrechtlichen Zusammenstellungen und damit wurde das Recht allmählich auf die begriffliche Rechtsdogmatik umgestellt. Aus evolutionärer Sicht ermöglichen diese Änderungen die Errichtung von zwei neuen Rechtsstufen über dem ehemals üblichen gerichtlichen Gewohnheitsrecht.
Doppelstaat und Rechtsverdoppelung: Zusammenfassung
Századvég Verlag, 2021
Die Schlussfolgerung meiner Forschung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die seit der Antike bestehende Staatsmacht wurde mit einer bedeutenden Veränderung in den Vereinigten Staaten ab dem frühen 19. Jahrhundert zu einem konstitutionellen Staat wurde. Aber das Modell dieses später verbreiteten konstitutionallen Staates hatte sich ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schrittweise verändert und diese Veränderung führte zu einem Staatsmodell, das als Doppelstaat bezeichnet werden kann. Dieses Modell enstand originell in den USA, wenn die Verfassungsgerichtsbarkeit des Obersten Bundesgerichts in den 1950er Jahren als eine zweites Machtzentrum neben dem Kongress und der Macht des Bundespräsidenten umgebaut wurde. Parallel damit wurde es von den Amerikanern nach dem Zweiten Weltkrieg auf das besiegte Deutschland übertragen, und von dort aus verbreitete es sich bis zur Jahrtausendwende in einer Reihe von Ländern auf den ganzen Welt. Die unterschiedlichen Versionen dieses Doppelstaatsmodells haben sich an einigen Stellen nach einer Reihe verschiedener Funktionen entwickelten, und in globalen Interaktionen verursachten sie später evolutionäre Veränderungen in dem originellen Modell des Doppestaats. In Bezug auf das Recht war die wichtigste Auswirkung des Doppelstaates, dass sich das traditionelle Gesetzgebungsrecht und seine Rechtszweige (Privatrecht, Strafrecht usw.) mit dem konstituitionalisierten Rechtsmateriel des Verfassungsgerichts verdoppelten, und schrittweise neue "konsitutionalisierten” Rechtsweige wie Strafverfassungsrecht, Finanzverfassungsrecht, Arbeitsverfassungsrecht usw. entstanden. Schauen wir uns diesen Prozess im Detail an.
Explosion und Peripherie, 2012
In seinen letzten Jahren interessierte sich Jurij M. Lotman auffallend für Konzepte der Nicht-Vorhersagbarkeit und des Zufalls in historischen Prozessen. Am breitesten wird dies in seinem letzten Buch Kul’tura i vzryv (wörtlich »Kultur und Explosion«, auf den Titel komme ich zurück) entfaltet. Am Ursprung der folgenden Überlegungen stand die Absicht zu klären, wie weit diese neue Ausrichtung im Kontext der heutigen theoretischen Diskussion um die Literaturgeschichte trägt und in welchem Verhältnis sie zu früheren Ansätzen Lotmans steht. Überraschenderweise nahm jedoch meine Unklarheit über diese Fragen mit fortschreitender Lektüre eher zu. Von Anfang an hatte ich Zweifel an der Meinung von zwei US-amerikanischen Slavisten:
Die Normalisierung der Doppelmoral
Prokla, 1988
Zusammenfassung: Trotz ihres einzigartigen moralischen Pathos sind die deutschisraelischen Beziehungen deutscherseits v.a. Amerika-bzw. Westpolitik, während Israel die Beziehungen primär aus wirtschaftlichen und militärischen Gründen pflegt. Sie sind Teil eines Dreiecksverhältnisses, in dem die Dynamik der deutsch-israeli-• sehen Beziehungen von der der deutsch-amerikanischen und der amerikanisch-israelischen mitbestimmt wird. In der deutschen Innenpolitikwaren sie stets Knotenpunkt gegenstrebiger moralischer Diskurse: Alibifür mangelnde Faschismusbewältigung; Protestinstanz, um diese einzuklagen. Die Linke schwankt zwischen schmfer Israelkritik und der Furcht, damit die neokonservative »Entkriminalisierung« der deutschen Geschichte zu begünstigen und droht sich damit moralisch zu paralysieren. Mit der Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches übernahm die Bundesrepublik Deutschland 1949 auch eine grauenvolle Hypothek: Millionen von Juden und sowjetischen Kriegsgefangenen, hunderttausende von Zigeunern, Geisteskranken und Behinderten, zehntausende deutscher Oppositioneller waren in der Terrormaschinerie des NS-Staats zugrunde gegangen. Abermillionen hatten Gesundheit, Familie, Vem1ögen, Heimat oder Beruf eingebüßt. Insgesamt 50 Millionen Menschen, darunter allein 20 Millionen sowjetischer und 6 Millionen polnischer Bürger waren dem deutschen Krieg zum Opfer gefallen. Schulden dieser Art lassen sich nicht »abtragen«. Sie existieren als ständige Forderungen: zum Nachdenken über die Ursachen; zum Willen, Ähnliches nicht mehr zuzulassen. Lehrreich ist aber, wie es der Bundesrepublik Deutschland gelang, in einer verblüffenden Reduktion moralischer Komplexität wenigstens die bedrohliche Vielfalt dieser Hypothek erbstrategisch zu beschneiden: Wo heute in der Bundesrepublik offiziell von »historischer Schuld«,» Wiedergutmachung« und »besonderen Verpflichtungen« gesprochen wird, ist vorwiegend vom Staate Israel und vom jüdischen Volk die Rede. Die Wiedergutmachung an den NS-Opfern hinter dem Eisernen Vorhang fiel weitgehend dem Kalten Krieg und der Verbitterung der deutschen Heimatvertriebenen zum Opfer. In der Bundesrepublik selbst hatten kommunistische NS-Opfer, Zigeuner und Homosexuelle jahrzehntelang-oft vergeblich-um Haftentschädigungen und Renten zu kämpfen. Die Weichen dafür wurden früh gestellt, doch die Motive waren unterschiedlich. Der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher, der seit 1946 als erster deutscher Nachkriegspolitiker öffentlich auf Wiedergutmachung an den Juden drängte, sprach von ihnen als jenem » Teil der Menschheit«, der von allen NS-Verfolgten »vor allem ... durch die Furchtbarkeit der Schläge, die er empfing, noch das Symbolhafte des ganzen Leids
Replik. Wahrnehmen der Doppelrolle des Menschen
Durch die alphabetische Anordnung und den wohlgesonnenen Autor bedingt, steht ein Wort des Dankes am Ende des letzten Kritikbeitrages. Den Dank möchte ich an all jene Kritikerinnen und Kritiker zurückgeben, die sich die Mühe gemacht haben, sich mit meinen Argumenten und Vorschlägen auseinanderzusetzen, sie zu analysieren, auf bisher Gedachtes zu beziehen, einzuordnen, abzuändern und weiterzuentwickeln. Die vielfältige Weise, in der sich die meisten Autorinnen und Autoren durch den Hauptartikel zu einer differenzierenden und weiterführenden Kritik anregen ließen, zeigt schon, daß es lohnt, das vorgelegte Konzept weiter zu verfolgen und zu konkretisieren. Diesem Ziel soll auch meine Replik dienen.