Historische Debatten in Polen. Die zeitgeschichtliche Forschung nach 1989, in: “Die Politische Meinung”, Sankt Augustin, 2002, H. 12, S. 48-54. (original) (raw)

Polnisch-deutsche historische Debatten

Die Entwicklung zu einer polnisch-deutschen Verständigung wäre ohne die solide gewachsenen Beziehungen und den respektvollen Umgang zwischen den polnischen und deutschen Historikern nicht denkbar. Lange vor dem Umbruch von 1989 gab es bereits eine gemeinsame wissenschaftliche Auseinandersetzung über Fragen, die für die historischen Ver echtungen beider Staaten und Gesellschaften relevant waren. Nach dem Zusammen- bruch des kommunistischen Systems in Polen und gestärkt durch die gänzlich neuen Rahmenbedingungen des polnisch-deutschen Nachbarschaftsvertrags, trat die historische Forschung in eine neue Etappe. Ehemalige Tabu- themen werden untersucht, Aufbau und Ausdi erenzierung des institutionellen Rahmens fördern die bilaterale Zusammenarbeit und die Expertise der Wissenschaftler wird Teil der ö entlichen Debatten beider Länder. Dabei treten auch die Forschungsfelder zutage, die bisher vernachlässigt wurden oder neue Fragestellungen erfordern.

Die polnische Geschichtspolitik nach 1989

Polen-Analysen, 2007

Der Terminus »Geschichtspolitik« ist einer der vielen Begriff e, die in die gegenwärtige politische Debatteoder eher Auseinandersetzung-in Polen Einzug gehalten haben und immer größere Kontroversen hervorrufen. Dazu kam es aufgrund der Art und Weise, wie dieser Begriff von den rechten Parteien, die in den letzten zwei Jahren die Regierung stellten, angewendet wird, insbesondere von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość-PiS). In verschiedenen öff entlichen Äußerungen der PiS in den Jahren 2004-2006 fi el als unumstößliches Axiom die Feststellung, dass Polen bis zu diesem Zeitpunkt keine Geschichtspolitik gehabt habe. Dies soll zu bedauerlichen Folgen im gesellschaftlichen Leben und im Außenbild Polens geführt haben. Geäußert wurden auch deutlich negative Bewertungen über die junge Generation, dass sie weniger patriotisch als die vorangegangene sei und dass ihr sogar der Verlust der nationalen Identität drohe. Da wieder mit Vergnügen verkündet wird, dass historia magistra vitae est, ist die Frage umso aktueller geworden, was und wie man sie lehren soll.

Eine apolitische Gemeinschaft? Polen vor dem Juni 1989

Historie. Jahrbuch des Zentrums für Historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften, 2021

Contemporary Polish historiography tends to focus predominantly on the main actors of the political transformation of 1989 and there are communist and opposition elites considered as such. In that perspective, Polish society remains a community on which the views of the elites are projected, and the myth about the birth of civil society on the ruins of communism as early as 1989 may serve as a perfect example of such process. In reality, however, the Polish society was overwhelmingly apolitical, uninterested in political participation and to a large extent socially inactive. There are many reasons which caused this situation: starting from the martial law, which in December 1981 broke the backbone of the mass social movement that was the legal ‘Solidarity’, as well as the very 45 years of communism themselves, during which a social initiative was nationalized, and citizens were in fact deprived of it. As a result, the interpretations of the events of 1989 should be demythologized, also in order to understand the popularity of the slogans about “ending the 1989 revolution”, which still tend to appear in the public discourse in Poland.

Rezension: ""Aleksander Brückner revisited" – Debatten um Polen und Polentum in Geschichte und Gegenwart / Yvonne Kleinmann, Achim Rabus (Hrsg.) Göttingen: Wallstein Verlag, 2015. ISBN: 978-3-8353-1771-0

2020

Zu besprechen ist ein Sammelband, der zweierlei abbildet. Er spiegelt einerseits das Ergebnis einer Tagung wider, die 2014 – anlässlich des 75. Todestags des namengebenden Gelehrten – am Aleksander-Brückner-Zentrum in Jena stattgefunden hat. Zugleich eröffnet er eine neue Reihe, die es sich zum Ziel gesetzt hat, "Polen jenseits nationaler Paradigmen im Plural zu denken [...]" (S. 7) und der Anregung der Area Studies folgend als einen Raum zu sehen, der sich abhängig vom historischen, kulturellen und politischen Zusammenhang immer neu konstituiert. Die Ergebnisse dieser Tagung für die Eröffnung einer so konzipierten neuen Reihe zu nehmen, leuchtet ungetrübt ein, erscheint uns Brückner doch mit seiner transnationalen Biografie und seinem interdisziplinären Ansatz, Sprache einerseits im Kontext einer breit verstandenen Geschichte und Kultur und andererseits Geschichte im Kontext von Sprache zu sehen, geradezu (post)modern. Doch von solch instrumentellem Einsatz einer als Eige...