Der populäre Golem / Rezension zu Georg Seeßlen (2017): Trump! Populismus als Politik. Pop-Zeitschrift (original) (raw)

Vom Verdammen zum Verstehen? Neuerscheinungen zum Populismus

Neue Politische Literatur, 2017

Populism is on the rise. Accordingly, populism has become a major topic in social sciences and in political theory. This essay discusses a selection of recent publications on the topic. In doing so, three goals are pursued. Firstly, recent empirical studies indicate that there is a problem of a clear positioning of populism on the left-right axis, as more and more populist parties adopt formerly leftist positions like a strong welfare state. Secondly, the essay attempts to criticise a purely normative confrontation with populism that for example dominates the discussion in Germany. Thirdly, it is argued that in order to fight populism one has to overcome an implicit complicity of economic and cultural liberalism. Die jüngsten Präsidentschaftswahlen in Österreich sowie der ‚Brexit' sind nur die prominentesten Anzeichen populistischer Erhebungen. In nahezu allen Staaten West-und Nordeuropas, zunehmend auch Osteuropas, können seit gut zwei Jahrzehnten rechtspopulistische Parteien Erfolge feiern. 1 In Südeuropa haben zudem als linkspopulistisch bezeichnete Parteien großen Zulauf, was in Griechenland sogar zur Regierungsübernahme durch eine solche Partei geführt hat. In Ungarn und Polen haben rechtspopulistische Parteien die Regierungsmacht inne. Sowohl in Frankreich als auch in Italien sind populistische Machtübernahmen ins Reich der Möglichkeit gerückt. Und in Deutschland ist die AfD auf dem Vormarsch. Kurzum, Europa erlebt einen "populistischen Moment". 2 Konnten populistische Phänomene Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre zunächst noch als vorübergehende Pathologien betrachtet werden, die den Siegeszug der liberalen Demokratie zwar ein wenig beschmutzen, aber mittelfristig wieder verschwinden würden, so ist eine solche Sichtweise im neuen Jahrhundert angesichts dieser Persistenz populistischer Parteien nicht mehr überzeugend. Entsprechend ist es wenig verwunderlich, dass der Populismus in zunehmendem Maße das Interesse der Politikwissenschaft und der politischen Soziologie geweckt hat. Im Zentrum der entsprechenden Literatur stehen Fragen nach der inhaltlichen Bestimmung des Konzeptes, der Wählerschaft populistischer Parteien, den Entstehungsgründen und nicht zuletzt die Frage nach dem Verhältnis von Populismus und (liberaler) Demokratie. Mit der Auswahl der im Folgenden vorgestellten Neuerscheinungen wird ein doppeltes Ziel verfolgt. Zum einen geht es um eine vergleichende Bestandsaufnahme, bei der vor allem die Problematik einer klaren Verortung des Populismus auf der Links-Rechts-Achse offenbar werden soll. Zum anderen soll auf spezifische blinde Flecken einer gerade in Deutschland vorherrschenden normativistischen Auseinandersetzung mit * Für hilfreiche Kommentare zu einer früheren Fassung möchte ich mich bei Oliver Nachtwey, Veith Selk sowie dem anonymen Gutachter/der anonymen Gutachterin bedanken. 1 Decker, Frank (Hrsg.

Rezension: Julia Schulze Wessel, Grenzfiguren. Zur politischen Theorie des Flüchtlings (2017)

Der Staat, 2018

politischen Theorie des Flüchtlings. Bielefeld 2017, Transcript. 235 S. Rechts-und politiktheoretische Fragen in Bezug auf Flüchtlinge sind kein Nischenthema mehr. Die wissenschaftliche Debatte in dem Bereich hat sich in den letzten Jahren erheblich ausdifferenziert, sowohl entlang einer Neuinterpretation der Klassiker des Felds 1 als auch entlang der spezifischen Aspekte und Konstellationen von Flucht, mit den unterschiedlichen dabei zutage tretenden theoretischen Herausforderungen. 2 Diese Debatte wird freilich zu großem Teil auf Englisch geführt, auch wenn einzelne Beiträge auf Deutsch zu der Thematik erschienen sind. 3 Daneben findet die Fragestellung auch verstärkt Eingang in die generelle öffentliche Diskussion, beispielsweise wenn über die Möglichkeit und Angemessenheit einer Unterscheidung von Flüchtlingen und Migranten gestritten wird. Es lassen sich Themen von Flucht und Migration, von Integration und Staatsbürgerschaft kaum diskutieren, ohne dass dabei Grundannahmen der politischen Ordnung zur Sprache kommen. In dieser Landschaft großer Offenheit und Aufmerksamkeit für das Thema dürfte das Buch "Grenzfiguren. Zur Politischen Theorie des Flüchtlings" von Julia Schulze Wessel auf reges Interesse stoßen. Das Buch stellt eine in dieser Breite in der deutschsprachigen Debatte bislang nicht vorhandene Übersicht dar; es zeigt in gelungener Weise die Eckpunkte der Fragestellung auf und bietet eine eigene Positionierung an. Erklärtes Ziel des Buches ist eine "politiktheoretische Standortbestimmung" der "unnamed figure", als welche der Flüchtling eingeführt wird (S. 15). Es geht, in anderen Worten, um eine Gleichung mit zwei Unbekannten: Die Figur des Flüchtlings, wie sie sich im Titel des Buches findet, ist selbst ein noch näher zu bestimmender Begriff. Nicht zu trennen von dieser Suche nach näherer Bestimmung ist die Suche nach ihrem Standort in der politischen Theorie, ihrem Verhältnis zu Grundkonzepten der Legitimation. Strukturierendes Element der ersten Hälfte des Buches ist die Auseinandersetzung mit Hannah Arendts und Giorgio Agambens Texten zur politischen Theorie von Flüchtlingen. Diese beiden Denker sind für die Diskussion prägend, insbesondere um Arendts "Recht Rechte zu haben" kreisen zahlreiche Beiträge zur theoretischen Situierung von Flüchtlingen. 4 Schulze Wessel gewinnt von Arendt und Agamben Einsichten und stellt zugleich dar, inwieweit sie ihre Theoretisierung für unzureichend hält. Arendts Zugriff auf das Phänomen rekonstruiert sie als ein Verständnis von Flüchtlingen als "Figuren totaler Exklusion" (Kap. 2), welche aus dem Staatsbürgerrecht, aus dem Asylrecht und aus den Menschenrechten ausgeschlossen sind. Diese Einschätzungen Arendts bewertet sie anschließend insofern als überholt (S. 55), als inzwischen völkerrechtlich festge-1 Das betrifft allem voran die Interpretation der Theorie Hannah Arendts, vgl. z. B. Ayten Gündogdu, Rightlessness in an Age of Rights. Hannah Arendt and the Contemporary Struggles of Migrants, Oxford 2015; Nanda Oudejans, Asylum -A philosophical inquiry into the international protection of refugees, 2013.

Rezension zu: Philipp Graf: Zweierlei Zugehörigkeit. Der jüdische Kommunist Leo Zuckermann und der Holocaust, 2024

haGalil, 2024

Unweigerlich belegt Grafs Biografie, was er anfangs als abwegig bestreitet: Langfristig lassen sich eine parteikommunistische und eine jüdische Identität nicht vereinen. Während für eine deutsche, französische oder christliche Identität und einem kommunistischen Selbstverständnis kein Ausschlussverhältnis besteht, mussten und müssen sich Jüdinnen und Juden entscheiden. Während die Kommunistische Internationale seit den 1920er Jahren weltweit sogenannte nationale Befreiungsbewegungen unterstützte, galt das für den Zionismus nur für eine winzige Zeitspanne um 1948. Die Ursachen des linken Antizionismus kann man nicht erkennen, wenn man die Ergebnisse zahlreicher Studien zum Antisemitismus in der Linken, die seit den 1990er Jahren vorliegen, nicht berücksichtigt. Zu der Unvereinbarkeit von jüdischer und kommunistischer Identität gehört auch, dass in offiziellen parteikommunistischen Positionen das Leid von Jüdinnen und Juden nicht wirklich anerkannt wird. Selbst bei dem Zivilisationsbruch der Shoah.

IFB-Rezension Geschichte der politischen Philosophie / John Rawls. Hrsg. von Samuel Freeman. Aus dem Amerikanischen von Joachim Schulte. - 1. Aufl. - Frankfurt am Main : Suhrkamp, 2008.

John Rawls gilt als einer der bedeutendsten politischen Philosophen des 20. Jahrhunderts, obwohl sich die meisten Leser wohl nur mit einiger Mühe durch seine monumentale und überlange Theorie der Gerechtigkeit 1 hin-durcharbeiten werden. Bereits Rüdiger Bubner hat in seinem Buch über die politische Philosophie nicht ohne Grund darauf verwiesen, daß die breite Rezeption in der amerikanischen Philosophie mit spezifischen Bedingungen der dortigen Traditionen zu tun gehabt haben muß, während sich in Europa die Lage anders darstelle, so daß die breite Rezeption Rawls' in Europa doch etwas verwunderlich scheint. 2 Nun scheint aber das Bedürfnis nach Gerechtigkeit eines der zentralen menschlichen Bedürfnisse zu sein, der also auch philosophisch Aufmerksamkeit geschenkt werden muß, wie es ja auch schon in den Philosophien Platons und Aristoteles' erkennbar ist. Inso-fern dies die herrschenden Strömungen der Philosophie des frühen 20. Jahrhunderts nicht in angemessener Weise taten, mußte eine Lücke gefüllt werden. In diese Lücke stieß Rawls mit seinem elaborierten Theorieentwurf. Dieser ist in der Folge sowohl scharfer Kritik ausgesetzt worden als auch von Rawls und seinen Schülern in verschiedene Richtungen weiterentwik-kelt worden. Der stark systematische Charakter von Rawls theoretischem Hauptwerk läßt allerdings in den Hintergrund treten, daß er auch immer die