Pieter Bruegel d.Ä. oder das Klischee vom Bauern-Maler (original) (raw)

Pieter Bruegel d.Ä. und das erasmische Ideal eines christlichen Malers

Müller, Jürgen (Hrsg.): Pieter Bruegel invenit - das druckgaphische Werk : [Katalog zur Ausstellung der Hamburger Kunsthalle vom 19. Januar bis 1. April 2001], Hamburg 2001, S. 14-21

Als ein wesentliches Merkmal der Kunst Pieter Bruegels d. Ä. hat die Kunstgeschichte unseres Jahrhunderts dessen Fähigkeit zur realistischen Darstellung herausgestellt. Ob man seine auf Holz gemalten T afeln oder seine Vorzeichnungen für Kupferstiche erklären wollte, Realismus schien der Schlüssel für den rechten Zugang zum Werk des flämischen Künstlers zu sein. Entsprechend svaren

Müller, Jürgen: »Pieter der Drollige« oder der Mythos vom Bauern-Bruegel. 1997.

in: Ertz, Klaus (Hrsg.): Pieter Breughel der Jüngere, Jan Brueghel der Ältere : flämische Malerei um 1600, Lingen 1997, S. 42-53

Immer wieder ist für die Erklärung der Kunst Pieter Bruegels auf Karel van Manders »Schilder-Boeck« aus dem Jahre 1604 zurückgegriffen wor den. Dem flämischen Autor verdan ken wir die erste umfassende Biogra phie des berühmten Malers. Und da kaum andere Informationen zum Le ben des Künstlers existieren, ist die Auseinandersetzung mit Van Manders Lebensbeschreibung geradezu uner läßlich. 2 Seine Beschreibung der Vita Bruegels bildet gleichsam den Urtext, der von nun an nurmehr wiederholt werden mußte. Ja, es gibt kaum eine Bruegel-Monographie, in der nicht Van Manders Biographie in Gänze ab gedruckt wäre. 3 Über die Grenzen der N iederlandistik und Kunstgeschichte hinaus ist der Flame Karel van Mander (1548-1606) im Vergleich zu seinem unmittelbaren italienischen Vorläufer Giorgio Vasari wenig bekannt. N och der Titel eines »flämischen Vasari« macht deutlich, wie wenig eigenstän dig sein kunsttheoretischer Entwurf erschien: Das »Schilder-Boeck«, ein Opus maximum von ca. 500 dichtbe druckten Folia, erschien zuerst 1604 und wurde 1618 ein zweites Mal po stum ediert. Daß das Werk des Flamen relativ schnell in Vergessenheit geriet, ist weniger die Folge seines manieristischen Kunstideals, als vielmehr der schwindenden Bedeutung der Kultur sprache Niederländisch. Immerhin hat noch Joachim von Sandrart für seine »Teutsche Akademie« von 1675 ganze Passagen wörtlich aus Van Mander übernommen, ohne seine Quelle im mer kenntlich zu machen. 4 Das »Schilder-Boeck« besteht aus verschiedenen Teilen: Einem theoreti schen Lehrgedicht, dem »Grondt van de edel vry Schilder-const«, folgen die Vitensammlungen der antiken, italie nischen und nordeuropäischen Maler, welchen ein umfangreicher Ovidkommentar sowie eine »Ikonologie« im Sinne Ripas angeschlossen ist. Zwei felsohne kann man die Lebensbe schreibungen der nordeuropäischen Künstler, die auch die Bruegel-Vita enthalten, als den wohl prominente sten und einflußreichsten Teil des Werkes betrachten. 5 Auf die Wirkungsgeschichte des Werks jedenfalls übte die Biographie einen kaum zu überschätzenden Ein fluß aus. So erfreute sich noch in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts das dort vertretene Klischee des »Bauern-Bruegel« größter Beliebtheit. 6 Die kunsthistorische Forschung erblickte in der Lebensbeschreibung den einzig legitimen Schlüssel zum Werk, wes halb sie zunächst in deutscher Über setzung wiedergegeben sei: Das Leben des Hervorragenden Ma lers Piet er Breughel von Breugbel Wunderbar gu t ha t die Na t ur ihren Mann ge t roffen, der sie seinerseit s wie der aufs glücklichs t e t reffen soll t e, als sie ihn, der unsern Niederlanden zu dauerndem Ruhme gereich t , den so geis t reichen und humorvollen Pie t er Breughel un t er den Bauern eines un bekann t en Braban t er Dorfes auswähl t e und zum Maler mach t e, dami t er Bauern mi t dem Pinsel wiedergebe. Er wurde unwei t Breda in einem Dorfe namens Breughel, dessen Namen er geführ t und seinen Nachkommen hin t erlassen ha t , geboren. Die Malerei ha t er bei Pie t er Koeck van Aals t gelern t , dessen Toch t er, die er, als sie noch klein war, während seines Aufen t hal t es bei Aegidius Sadeler, Pieter Brueghel d.Ä., Kupferstich Anmerkungen 1 Bei dem folgenden Beitrag handelt es sich um eine überarbeitete Version eines Kapitels aus meiner Studie »Das Paradox als Bildform. Stu dien zur Ikonologie Pieter Bruegels d. Ä.«, die im Fink-Verlag erscheinen wird. 2 Eine Übersicht der biographisch-kunsthistori schen und kunsttheoretischen Quellen zu Pieter Bruegel von der frühen N euzeit bis ins 19. Jahr hundert findet sich bei Löhneysen, Hans-Wolf

Pieter Bruegel d.Ä.

2018

Neu bei CH Beck erschienen: Das Leben Pieter Bruegels des Älteren. https://www.chbeck.de/buettner-pieter-bruegel-d-ae-/product/24060238 The Dutch translation (including references) is published by Meulenhoff: http://www.meulenhoff.nl/nl/p4c36fcf32b2f4/15504/bruegel.htmla

“Niemand vor Bruegel,” in Bauern, Bäder und Bordelle: Die Genese der Genremalerei bis 1550, Trierer Beiträge zu den historischen Kulturwissenschaften 8, ed. Birgit Münch (Wiesbaden, 2014).

Die Genrediskussion der Moderne kreist um die frage der Anonymität. 1864 definierte Theodor Vischer aus seinem Wittenberger Lehrerexil das Genre als die Darstellung namenloser Subjekte. Derartige Subjekte stünden im Widerspruch zur Historie als Verkörperung des Spezifischen: Der Sitten-Maler zeigt uns irgend ein buhlerisches Weib, der Geschichts-Maler eine Cleopatra, jener einen namenlosen Krieger, Staatsmann, dieser einen Alexander den Gr[ossen] […] einen Perikles, Cromwell, jener einen unbekannten mit dem Ausdruck religiöser Begeisterung, dieser einen Hus, einen Luther […]. 1

Vorsicht ansteckend! Pieter Bruegel d. Ä. „Der gähnende Mann“. (K)eine Bagatelle

Ausst.-Kat. In aller Munde (Kunstmuseum Wolfsburg), hrsg. von Uta Ruhkamp, Berlin, S. 112-117, 2020

Pieter Bruegel the Elder's oak panel "The Yawning Man" from the Museum of Fine Arts in Brussels is an enigmatic painting. It measures 12,6 x 9,2 cm and is neither dated nor signed. Stylistically, we are dealing with a late work in which the artist opted for a reduced figure staff and large close-up. It was created in the period after 1566. An attribution to Bruegel the Elder is supported by the fact that the picture of a yawning man is already listed in Peter Paul Rubens' estate inventory. Furthermore, the post engraving by Lucas Vorsterman the Elder names the Flemish painter as inventor and shows that the small panel was considered authentic in the 17th century. The size of the panel represents a cabinet format and refers to a private use. In the Fleming's oeuvre, the work cannot be assigned to any work complex. In the sense of an everyday scene, it is a genre painting. However, it has been considered an affect study by numerous researchers. But does yawning represent an affect? is it not merely a symptom of a person's tiredness? Pieter Bruegels d. Ä. Eichentafel "Der gähnende Mann" aus dem Museum für Schöne Künste in Brüssel ist ein rätselhaftes Bild. Es misst 12,6 x 9,2 cm und ist weder datiert noch signiert. in stilistischer Hinsicht haben wir es mit einem Spätwerk zu tun, bei dem sich der Künstler für ein reduziertes Figurenpersonal und große Nahsicht entschieden hat. Es ist in der Zeit nach 1566 entstanden. Für eine Zuschreibung an Bruegel d. Ä. spricht der Umstand, dass bereits in Peter Paul Rubens’ Nachlassinventar das Bild eines Gähnenden aufgeführt ist. Darüber hinaus nennt der Nachstich von Lucas Vorsterman d. Ä. den flämischen Maler als inventor und zeigt, dass man die kleine Tafel im 17. Jahrhundert für authentisch hielt. Die Größe der Tafel stellt ein Kabinettformat dar und verweist auf einen privaten Gebrauch. Im OEuvre des Flamen kann das Werk keinem Werkkomplex zugeordnet werden. Im Sinne einer Alltagsszene handelt es sich um ein Genrebild. Von zahlreichen Forschern wurde es jedoch als Affektstudie erachtet. Aber stellt das Gähnen einen Affekt dar? ist es nicht lediglich Symptom für die Müdigkeit eines Menschen?

Bild und Zeit. Überlegungen zur Zeitgestalt in Pieter Bruegels "Bauernhochzeitsmahl"

In: Pochat, Götz (Hrsg.): Erzählte Zeit und Gedächtnis : narrative Strukturen und das Problem der Sinnstiftung im Denkmal. Graz 2005, S. 72-81

Wenn im Folgenden die Frage nach der Zeitgestalt in Pieter Bruegels "Bauemhochzeitsmahl" (Abb. 1) gestellt werden soll, so geschieht dies nicht auf systematische Weise. 1 Der Verfasser beabsichtigt damit weder, die einschlägige Forschung zu diesem Bild voranzutreiben, noch einen gewichti gen Beitrag zur Erzählforschung zu leisten.-Vielmehr soll hier eine erste Hypothese zu Bruegels spezifisch antiklassischem Umgang mit der Zeit entwickelt werden. Mit dem Wiener "Bauem hochzeitsmahl" steht eine seiner berühmtesten T afeln zur Diskussion. Seit jeher ist dieses Werk als exemplarischer Ausdruck von Bruegels Kunst betrachtet worden. Denn es waren vor allem die Bauerndarstellungen, die das Interesse der Forschung auf sich gezogen haben, was auch damit zusammenhängt, daß Karel van Mander als erster Biograph des flämischen Künstlers dieses Genre für Bruegel als zentral erachtet hat. Heute wissen wir jedoch, daß die Lebensbeschreibungen im "Schilder-Boeck" aus dem Jahre 1604 einer literarischen Dramaturgie folgen, die ihren Ursprung in dem Bestreben des Autors hat, zwischen den äußeren Lebensumständen eines Künstlers und seinem Werk Analogien aufzuzeigen. 5 So gesehen kann es nicht wundem, wenn Bruegel als ver meintlicher Sohn von Bauern eine besondere Vorliebe für die Darstellung bäuerlicher Sujets zeigt. Der Künstler folgt damit lediglich seiner "Natur". Vor dem Hintergrund des Klischees vom Bauern-Bruegel ist vielleicht keine Episode aus der Bio graphie berühmter als jene, in der van Mander erzählt, Bruegel sei mit dem befreundeten Kauf mann Hans Franckert als Bauer verkleidet auf Bauernhochzeiten gegangen, um dort unerkannt die Menschen studieren zu können: "Mit diesem Franckert ging Breughel häufig hinaus zu den Bauern, wenn Kirmes war oder eine Hochzeit stattfand. Sie kamen dann in Bauerntracht verkleidet und brachten Geschenke wie die anderen auch unter dem Vorgeben, sie gehörten zur Verwandtschaft der Braut oder des Bräutigams. Hier machte es Breughel großes Vergnügen, die Art der Bauern im Essen, T rinken, T anzen, Springen, Freien und anderen spaßhaften Dingen zu beobachten, lauter Momente, die er sehr hübsch und komisch mit der Farbe wiederzugeben verstand f...]." 4 Wir sind heute vorsichtig, was den Wahrheitsgehalt solcher Episoden betrifft. Aber natürlich entbindet diese Vorsicht nicht von der Frage, warum der Biograph Franckerts Namen mitteilt. Bruegel hätte die Hochzeiten ja auch allein besuchen können. Es gibt nämlich eine bisher überse hene mögliche Erklärung für diese kuriose Episode aus der Biographie. So ist bisher nicht erkannt worden, daß der flämische Maler im "Bauemhochzeitsmahl" Franckert am äußersten rechten Bild rand dargestellt hat. Van Mander könnte dieses Porträt erkannt haben, weil ihm die Medaille mit dem Profilbildnis Franckerts von Jacques Jongelinck bekannt war, woraufhin er die zitierte Epi sode der Biographie beigefügt hätte 5. Mit der Schilderung Bruegels als Bauernmaler geht bei van Mander jedenfalls die T hese vom Realisten einher. Immer wieder wird die genaue Beobachtungs gabe des Künstlers als dessen eigentliches Kapital geschildert, was van Mander nicht davon abhält, die eine oder andere originelle Bilderfindung hervorzuheben. Aber Zeit im Sinne der Erzählzeit spielt im Rahmen all dieser Bildbeschreibungen keine besondere Rolle. Dadurch bleibt jedoch die spezifische Erzählweise von Bruegels Kunst ausgespart-seine Eigenart nämlich, Bilder aus extrem vielen Einzelszenen zusammenzusetzen. Über die "Kinderspiele", die ja nicht weniger als 246 Kinder darstellen, heißt es lediglich, femer habe er ein Bild gemalt, das allerlei Kinderszenen darstelle." Vielfigurigkeit und Unübersichtlichkeit als darstellerische Konstanten der Bruegelschen Bildwelt läßt der Biograph kurioserweise unerwähnt.

Imitation und Imagination. Die Landschaft Pieter Bruegels im Blick der Humanisten, in: Künste und Natur in Diskursen der Frühen Neuzeit, hg. v. Hartmut Laufhütte (9. Treffen des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Barockforschung, 30. Juli - 2. August 1997), Wiesbaden 2000, S. 383-405

Die Deutung der Bruegelschen Bildwelt vor dem Hintergrund huma nistischer Diskurse ist seit den Forschungen von Müller Hofstede, Wyss, Sullivan und Meadow allgemein anerkannt und muß zur Grund lage jeder weiteren Auseinandersetzung mit seinem Werk gemacht wer den. 1 Die Tatsache, daß Pieter Bruegel einem gebildeten Freundeskreis angehörte, dem antike Autoren ebenso wie zeitgenössische kunsttheore tische Texte geläufig waren, darf indes nicht allein zum Anlaß genom men werden, komplizierte ikonographische Programme zu hypostasie ren, 2 sondern sollte gleichermaßen dazu dienen, die Bildsprache selbst

Pieter Bruegel d. Ä. und das Theater der Welt - Zur Einführung

In: Ingrid Mössinger/Jürgen Müller (Hrsg.): Pieter Bruegel d. Ä. und das Theater der Welt (Ausst.-Kat. Kunstsammlungen Chemnitz) Berlin/München, S. 14–23 , 2014

The text provides a brief introduction to the life of the Flemish painter and identifies the most important sources available to us today. Since Karel van Mander's 1604 biography of the artist is a literary construction and the few archival sources that directly concern the artist are inconclusive, Abraham Ortelius becomes the most important key witness to the intellectual network in which Bruegel found himself. Numerous letters show that the cartographer and humanist was a follower of Sebastian Frank throughout his life and even recommended this heretical author to his nephew for reading. Thus, it can be assumed that Bruegel was also familiar with Frank's texts and that traces of his theology can be found in his paintings. Der Text liefert eine kurze Einführung in das Leben des flämischen Malers und nennt die wichtigsten Quellen, die uns heute zur Verfügung stehen. Da Karel van Manders Biografie des Künstlers aus dem Jahre 1604 eine literarische Konstruktion darstellt und die wenigen archivalischen Quellen, die den Künstler direkt betreffen, nicht aussagekräftig sind, wird Abraham Ortelius zum wichtigsten Kronzeugen des intellektuellen Netzwerkes, in dem sich Bruegel befand. Aus zahlreichen Briefen geht hervor, dass der Kartograf und Humanist zeit seines Lebens ein Anhänger Sebastian Franks war und diesen häretischen Autor sogar seinem Neffen zur Lektüre empfahl. So steht zu vermuten, dass auch Bruegel mit den Texten Franks vertraut war und sich Spuren von dessen Theologie in seinen Bildern auffinden lassen.