Mathias Berek, Kirsten Heinsohn, David Jünger, Achim Rohde: Vom Erfolg ins Abseits? Jüdische Geschichte als Geschichte der ‚Anderen‘. Ein Gespräch, in: Medaon Jg. 11 (2017), Nr. 20, S. 1–17 (original) (raw)

Book Review (2016), Das literarische Vermächtnis jüdischer DPs: Eine Doppelrezension., Sammelrezension, in: Medaon – Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung, 10 (2016), 19, S. 1–7, online unter http://www.medaon.de/pdf/medaon_19_Springborn.pdf [25.11.2016]

In den unmittelbaren Folgejahren des Zweiten Weltkriegs lebte ausgerechnet im Gebiet des besetzten Deutschlands eine kurzlebige und vielfältige ostmittel- und osteuropäisch-jüdische Kultur auf. Erst seit den neunziger Jahren widmet sich wissenschaftliche Forschung verstärkt der Geschichte der jüdischen sogenannten "Displaced Persons", die aus ihrer ehemaligen Heimat in Ost(mittel)europa gerissen, nun zu Tausenden in DP-Lagern, vor allem der britischen und amerikanischen Besatzungszone Deutschlands, oft über mehrere Jahre hinweg auf eine Möglichkeit zur Auswanderung warteten. Speziell den literarischen Erzeugnissen dieser Transitkultur widmen sich zwei Publikationen der letzten Jahre.

Dorsch Schmolinsky Prass Tagungsbericht: Lwiw, Kraków, Thüringen - jüdisches Leben & jüdische Geschichte(n) in Europa, In: H-Soz-Kult, 02.03.2023, <www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-134079>.

Am 3. und 4. November 2022 trafen sich in Erfurt Spezialist:innen zur Erforschung jüdischer Kulturen in den Regionen Kraków (Polen), Lwiw (Ukraine) und Thüringen. Was sich auf den ersten Blick wie eine gewöhnliche wissenschaftliche Tagung ausnahm, wurde zu einem besonderen Symbol. Denn nach ersten Überlegungen zur Vertiefung des kulturwissenschaftlichen Austauschs zwischen den beiden Regionen Kraków und Thüringen war nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine schnell die Idee geboren worden, im Sinne einer ideellen Unterstützung der ukrainischen Kolleg:innen auch Kolleg:innen aus Lwiw zu diesem Gedankenaustausch einzuladen. Wie sich herausgestellt hat, war dies inhaltlich, politisch wie auch symbolisch eine gelungene Entscheidung.

Avriel Bar-Levav, “‘Ganz so wie zu meinen Lebzeiten’: Jüdische ethische Testamente als Egodokumente,” in Birgit E. Klein and Rotraud Ries, eds., Perspektivenwechsel: Ego-Dokumente. Selbst- und Fremddarstellungen frühneuzeitlicher Juden (Berlin: Désirée Schostak, 2011), 27-46

Jüdische ethische Testamente als Ego-Dokumente * Ebenso wie die Schwerkraft bereits vor Newton existierte, gab es auch Ego-Dokumente, einschließlich der jüdischen, schon bevor der niederländische Wissenschaftler Jacques Presser Mitte des 20. Jahrhunderts den Terminus technicus "Egodocuments" prägte. 1 In einer bestimmten Form lassen sich Ego-Dokumente sogar schon in der Hebräischen Bibel finden. So stellt z. B. das Buch Nehemia, das sich als eigenhändige Aufzeichnung Nehemias über die Bemühungen um eine jüdische Neuansiedlung in Jerusalem ausgibt, einen Text dar, der sicherlich mit Rudolf Dekkers Definition von Ego-Dokumenten * Die Originalfassung dieses Aufsatzes erschien unter dem Titel "When I was Alive": Jewish Ethical Wills as Egodocuments, in: Rudolf Dekker (ed.), Egodocuments and History. Autobiographical Writing in its Social Context since the Middle Ages, Hilversum 2002, S. 45−59; hebräische Version: Jewish Ethical Wills as Egodocuments, in: Amir Horowitz u. a. (eds.), The Past and Beyond: Festschrift for Elazar Weinrib, Raanana 2006, S. 263-282 [hebr.]. Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers, dt. Übersetzung: Désirée Schostak. Der Begriff Egodocuments/ Ego-Dokumente ist hier nach dem im englischen Sprachraum üblichen Verständnis ver wendet und in der Übersetzung beibehalten worden. Zu den Begriffen siehe die Einführung von Gabriele Jancke in diesem Band. 1 Mit jüdischen ethischen Testamenten habe ich mich zuerst im Rahmen eines Seminars unter Leitung meines Lehrers Professor Zeev Gries an der Hebrew University of Jerusalem befasst. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um Professor Gries meine tiefe Dankbarkeit auszudrücken für alles, was ich von ihm gelernt habe, sowie für seine stetige Großzügigkeit, Unterstützung und Ermutigung. Professor Gries war auch so freundlich, einen Entwurf des vorliegenden Aufsatzes zu lesen und mit wertvollen Kommentaren zu versehen. Der erste Teil des Titels ist ein Zitat aus dem ethischen Testament des Rabbi Naftali ha-Kohen Katz: Naftali ha-Kohen Katz, Testament, Berlin 1729, fol. 20v [hebr.]. 28 Av ri e l Ba r -L evav in Einklang steht: "Texte, in denen ein Autor über seine oder ihre eigenen Taten, Gedanken oder Gefühle schreibt". 2 Es stellt sich natürlich die Frage, ob dieses Buch von dem "echten" Nehemia verfasst wurde (und in diesem Fall ein authentisches Ego-Dokumente darstellt), oder diesem Autor nur zugeschrieben wird (in welchem Fall es sich um Fiktion handelt). Die Grenzen zwischen Ego-Dokumenten und anderen, vor allem fiktionalen Gattungen, sind in der jüdischen Literatur (wie auch in anderen Literaturen) unscharf. Das Buch Nehemia dient als Beispiel für die komplexe Stellung von Ego-Dokumenten in der traditionellen jüdischen Literatur. Einerseits liefert es gewissermaßen ein Modell für die theoretische Möglichkeit eines solchen Textes, in dem eine Person über sich selbst spricht; andererseits wird jedoch die Existenz dieses Textes legitimiert durch die Bedeutung von Nehemias Geschichte für jüdische nationale und religiöse Belange, und nicht durch die Vorstellung, dass persönliche Erfahrungen von Natur aus von Interesse sind. Im Falle der frühesten jüdischen Ego-Dokumente ist die Rechtfertigung des Verfassers (und nur sehr viel später auch der Verfasserin), über sich selbst zu sprechen, in ein größeres Gesamtbild eingebettet. Heine bemerkte einmal, für Juden sei das (heilige) Buch ein "portatives Vaterland". 3 Vielleicht schrieben Juden deshalb sehr wenig direkt über sich selbst, weil sie stattdessen bemüht waren, mithilfe ihres literarischen Schaffens die Grenzen dieser imaginären Heimat abzustecken? Die jüdische Kultur ist zum großen Teil von Texten bestimmt, und der Umfang der traditionellen jüdischen Literatur ist enorm, aber Ego-Dokumente sind darin äußerst selten. Bis zur Epoche der Moderne finden sich (von wenigen frühneuzeitlichen Ausnahmen abgesehen) 4 so gut wie keine jüdischen Auto-

Beiträge zur deutsch-jüdischen Geschichte aus dem Der Traum vom Sprechenden Moses

Kalonymos, 2010

Michelangelo in der jüdischen Vorstellung Ein Vortrag von Asher Biemann-University of Virginia einrich Heines Florentinische Nächte, ge-schrieben in Fragmenten zwischen 1825 und 1836, beginnen mit einer eindrucksvollen Szene: Maximilian, der deutsche Reisende und unver-kennbar Heines alter ego, betritt das Gemach der sterbenden Signora Maria, die auf einem grünen Ottomane ruht, ihre weißen Glieder unter einer of-fenen Robe halb enthüllt. Ein Bild aus seiner Kind-heit zuckt durch Maximilians Stirn, ein weißes Bild auf grünem Grund, das … Doch in diesem Augen-blick erwacht die Signora als sei es aus einem tiefen Traum, ihr Haar zuckend wie "aufgeschreckte Goldschlangen". Maximilian erzählt als er einst in einem verwilderten Garten, unter zerbrochenen Fi-guren und kopflosen Statuen, das einzig unzerbro-chene Bild umarmte: "Im grünen Gras lag die schö-ne Göttin … regungslos, aber kein steinerner Tod, sondern nur ein stiller Schlaf schien ihre Glieder gefesselt zu halten, und als ich ihr nahete, fürchtete ich schier, daß ich sie durch das geringste Geräusch aus ihrem Schlummer erwecken konnte." Seit jener Zeit, fährt Maximilian fort, hatte sich eine "wun-derbare Leidenschaft für marmorne Statuen" in sei-ner Seele entwickelt, eine Liebe, die sich nach lan-gem Schlummer endlich wieder in der Biblioteca Laurenziana entfachen sollte, im Traumreich des Marmors, an Michelangelos Nacht: "O wie gern möchte ich schlafen des ewigen Schlafes in den Ar-men dieser Nacht." 1 Heines Vorliebe für das plastische Bild in seinen Schriften ist uns wohlbekannt. Selbst die britischen Touristen, wie sie durch die italienischen Städte wandeln, erscheinen ihm als "Statuen mit abge-schlagenen Nasen". Natürlich ist bei einem Dichter wie Heine diese Vorliebe von ständiger Ironie be-gleitet und zumindest ebenso ambivalent wie die Stellung zu seinem eigenen Judentum und zu sei-nem jüdischen Hellenismus, der ihn mit erotischem Verlangen und zugleich mit Unbehagen erfüllte. Doch sollten Ironie und Unbehagen uns nicht hin-dern, in Heines Liebe zur Skulptur, in seiner Liebe mehr noch zu Michelangelo, ein Thema des mo-dernen Judentums zu sehen, das ich Ihnen nun knapp umreißen will. Wenn man von Michelangelo und dem moder-nen Judentum spricht, so denkt man unwillkürlich, vielleicht sogar ausschließlich, an Sigmund Freuds berühmten Essay zum Moses in San Pietro in Vin-coli, der immer noch und immer wieder die Litera-tur beschäftigt. Freuds Aufsatz von 1914, worin er H Michael Brocke zum 9. Juni 2010 Michelangelos La Notte

Greco, S. (2017), "Soziologie des Judentums in Deutschland: Markante Felder, Perspektiven und Methoden", in Lehnardt A. (Hrsg.), Judaistik im Wandel. Ein halbes Jahrhundert Forschung und Lehre über das Judentum in Deutschland. Berlin: De Gruyter S. 131-148. ISBN: 978-3-11-052103-0

In den ersten drei Jahrzehnten des 20.J h.s etabliert sich im deutschsprachigen Raum eine institutionalisierte " Soziologie des Judentums " .Unter Soziologie des Judentums versteht man hier das theoretische sowie empirische Studium aus soziologischer Perspektive,das sich mit der jüdischen Bevölkerung, ihrer Kultur, Religion, Identität,L ebensweise und den sozialen Verhältnissen, sowied er In-teraktionenm it der nicht-jüdischen Bevölkerung (die Mehrheitsgruppe für die Juden, die in der Diasporalebten und leben) beschäftigt. Soziologische Forschung und Reflektion über das Judentum fanden sowohl innerhalb wie außerhalb der akademischen Welt statt. Auch politische Aktivisten leisteten einen Beitrag.