Der Umschlag von allem in nichts. Theorie tragischer Erfahrung. (original) (raw)

Die Theorie, die nicht sterben wollte

Springer eBooks, 2014

interessiert sich für die Schnittstelle von wissenschaftlichem Fortschritt und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und ist Autorin mehrerer Bücher über wissenschaftliche Entdeckungen und die Menschen, die dahinter stehen-darunter Nobel Prize Women in Science: Their Lives, Struggles, and Momentous Discoveries und Prometheans in the Lab: Chemistry and the Making of the Modern World. Die Absolventin des Swarthmore College hat als Wissenschaftsjournalistin für Zeitschriften wie Science, Scientific American, Discover und The Times Higher Education Supplement geschrieben und ist mit mehreren Beiträgen in der Encyclopaedia Britannica vertreten. Sie lebt in Seattle im US-Bundesstaat Washington.

Die Enthüllung als »Erfahrungsverpackung« Rose Ausländer und das Sinnbild der atomaren Apokalypse

Apokalypse kommt vom Griechischen und bezeichnet ein Entbergen oder Enthüllen, ist mit einer ganzen Metaphorik verbunden, die von der nackten Wahrheit spricht. Das ist ebenso bekannt wie das Problem, daß die Wahrheit nackt und ungeschminkt nicht zu erscheinen vermag. Von der "Metaphorik der »nackten« Wahrheit"(1), die ihr Erscheinen ohne Entstellung nicht bewältigt, schrieb etwa Blumenberg-und Anders skizzierte polemisch das Erscheinen der Wahrheit als einer nackten.(2) Ist also die Apokalypse mit der Idee eines finalen Ikonoklasmus verbunden, so ist ihr zugleich eine Rhetorik und Bildlichkeit immanent. Apokalypse meint aber natürlich mehr als Enthüllung: nämlich Weltuntergang. Beides wird uns zu interessieren haben. Rose Ausländer schrieb, als sie nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA lebte und langsam wieder Gedichte zu schreiben begann, diese Lyrik in englischer Sprache-das Deutsche schien in ihr in diesen Jahren für ihre Dichtung unbrauchbar. Es waren diese Jahre die entscheidenden für ihre stilistische Selbstfindung; dichtete sie zuvor mit der Konvention gegen diese, so fand sie nun zu ihren dichterischen Möglichkeiten, was, da diese Gedichte relativ spät Beachtung fanden, übrigens mit zum Mißverständnis führte, Paul Celan habe Rose Ausländer das zeitgemäße Dichten quasi en passant beigebracht, als die Dichterin ihn Ende der 60er Jahre-nach Europa und in die deutsche Sprache zurückgekehrt-traf.(3) Freilich war die Entwicklung der Dichterin, als sie Celan wiedersah, im Wesentlichen abgeschlossen. In der Zeit dieser Entwicklung aber war ein profunder Anstoß der impliziten Reformulierung ihrer Poetologie, daß sie versuchte, der Opfer von Auschwitz zu gedenken, also in einer Form nach Auschwitz zu dichten, die Szondi skizzierte: "Nach Auschwitz ist kein Gedicht mehr möglich, es sei denn auf Grund von Auschwitz."(4) Man könnte ebenso sagen, es sei nicht nach Auschwitz, als sei mit Auschwitz eine Episode bezeichnet, die in der Vergangenheit eingeschlossen wäre, möglich-wer nach Auschwitz schreibt, der verkennt-barbarisch-, daß es nach wie vor eine "Realität von Auschwitz"(5) gibt. "Daß es nach Auschwitz keine Gedichte mehr geben könne (wer kennt sie nicht, Adornos Warnung), ist eine Tatsachenfeststellung. Sie bedeutet nicht, daß es nach Auschwitz keine Gedichte gäbe-wo wäre die deutsche Lyrik ohne die Gedichte Paul Celans, Rose Ausländers oder Nelly Sachs'. Sie bedeutet nur, daß es für Auschwitz kein Danach gibt, so wenig wie ein Anderswo."(6) Eine nicht uninteressante Antwort auf den Nationalsozialismus nun ist jenes Poem Rose Ausländers, das eine von Atombomben zerstörte Welt zu zeigen sucht: After the World Was Atombombed. In der Detonation der Atombombe sind jener Vernichtungswille und jene Ungeistigkeit in einer Weise universell TRANS Nr. 15: Martin A. Hainz (Universität Wien): Die Enthüllung al...

Die Aneignung außeralltäglicher Erfahrungen

legen beide ein literarisches Zeugnis ihrer eigenen Erfahrungen in Auschwitz ab. 1 Während Ruth Klüger ihre Erfahrungen mit "weiter leben" betitelt, stellt sich für Primo Levi die Frage: "Ist das ein Mensch?" Aus einer vordergründig gleichen Erfahrung ergeben sich völlig verschiedene Schreibweisen, völlig verschiedene Schlüsse, völlig verschiedene Konsequenzen. Während Ruth Klüger aus ihren Erfahrungen ein auch als Imperativ verstehbares "weiter leben" ableitet, begeht Primo Levi nach seinem Überleben Suizid. Und doch gibt es bei beiden das Bedürfnis, wenn nicht gar die Verpflichtung, Zeugnis abzulegen von dem, was sie erfahren haben. In vorliegender Arbeit geht es mir darum, zu verstehen, warum manche Erfahrungen, die außerhalb des Gewohnten liegen, es vermögen ‚neue Menschen' aus uns zu machen. Wieso machen zwei Menschen in einer gleichen Situation -wenn es denn eine gleiche Situation geben kannunterschiedliche Erfahrungen? Wie ist es zu verstehen, dass eine Erfahrung einen Auftrag an uns richtet? Warum lassen uns andere Erfahrungen stumm, gelähmt und handlungsunfähig zurück? Wie ist es möglich, sich aus dieser Erstarrung und Fixierung auf ein traumatisches Ereignis wieder zu lösen? Wieder man selbst zu werden? Mit den Erfahrungen im Lager, die Klüger und Levi schildern, ist bereits eine Erfahrungssituation in den Blick genommen, die ohne weiteres als außeralltäglich gelten kann. Aber, wie Klüger und Levi zeigen, ist damit noch lange keine gleiche Erfahrung gefunden, von der aus diese Untersuchung starten könnte. Wenn man verstehen will, wie Erfahrungen die Menschen verändern, muss man offenbar bei den Wirkungen beginnen. Die Veränderungen, die durch Erfahrungen bewirkt wurden und die die Betroffenen an sich selbst feststellen, müssen den Ausgangspunkt der Untersuchung bilden. Die Grundlage einer solchen Untersuchung müssen dann Erfahrungsberichte sein, in denen Menschen schildern, was durch eine Erfahrung mit ihnen 1 Klüger, Ruth: weiter leben. Eine Jugend. 12. Aufl. München 2004. Levi, Primo: Ist das ein Mensch? 12. Aufl. München 2003.

Theorien modernen Unglücks: Das Glücksparadox

Zusammenfassung Die Philosophie ist für gewöhnlich auf Probleme der Optimierung von Glück bezogen, die Analyse des Un-glücks hingegen steht zumeist im Schatten dieses Anliegens. Ein Grund für diese systematische Bevorzugung des Glücks scheint bisher nicht gefunden. Mag sein, dass Unglück einerseits im normalen Sprachgebrauch und im Alltag verankert ist, ohne theoretische Fragen aufzuwerfen. Oder dass dieses Gefühl auf der anderen Seite allzu befremdlich, dunkel und schwer erscheint. Beides jedenfalls macht das Unglück einer begrifflich-rationalen Behandlung unzugänglich. Und erweckte daher eher das Interesse der Kunst. Doch trifft diese erste, spontane Erklärung für das philosophische Schattendasein des Unglücks wirklich zu? Abstract Theories of modern Unhappiness: The Paradox of Happiness. Philosophy usually focuses on ways of maximizing happiness at the expense of the analysis of unhappiness. The reason for this systematic (over)emphasis of happiness seems unclear. It might be tha...

Die Erfahrung des Unmöglichen

transcript Verlag eBooks, 2022

Die literaturtheoretischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben zu einer Öffnung der Philologien insbesondere für kultur-und medienwissenschaftliche Fragestellungen beigetragen. Die daraus resultierende Erweiterung des Literaturbegriffs bedingt zugleich, dass die unscharfen Ränder der kulturellen Grenzen in den Blick rückten, wo Fremdes und Eigenes im Raum der Sprache und Schrift ineinander übergehen. Die Reihe Literalität und Liminalität trägt dem Rechnung, indem sie die theoretischen und historischen Transformationen von Sprache und Literatur ins Zentrum ihres Interesses rückt. Mit dem Begriff der Literalität richtet sich das Interesse auf Schriftlichkeit als Grundlage der Literatur, auf die Funktion der Literaturtheorie in den Kulturwissenschaften sowie auf das Verhältnis literarischer Texte zu kulturellen Kontexten. Mit dem Begriff der Liminalität zielt die Reihe in theoretischer und historischer Hinsicht auf Literatur als Zeichen einer Kultur des Zwischen, auf die Eröffnung eines Raums zwischen den Grenzen. Die Reihe wird herausgegeben von Achim Geisenhanslüke und Georg Mein.

Verkohltes Papier. Von einer brennenden Zelle, gewaltvoller Verdinglichung und dem gemeinsamen Versuch, der Abschiebung zu entgehen

PERIPHERIE, 2019

The article discusses the question, which terms might be helpful to apprehend the resistance of illegalized people against deportation. How useful are concepts like „civil disobedience“, „acts of desperation“ and „political protest“ and what does resistance mean in the context of an almost total deprivation of possibilities and rights? In order to follow this question, the text will take up on a burning prison cell in detention pending deportation in a prison in Vienna. Through Interviews with one of the prisoners as well as through observation protocols from the trail against the six inmates that tried to prevent their deportation through setting their prison cell on fire, it discusses cynical reification of Non-European „others“ as a colonial continuity and as a form of production of illegalized workforce. Against the reification and the denial of rights the article suggests „endorsing listening“ as a practice for both research and jurisdiction. Focusing on marginalized forms of resistance it wishes to overcome the notions of collectivity and the public sphere as alleged characteristic features of resistance. Only through that shift of perspectives will research be able to grasp the very forms of resistance that take place in the midst of reification and the deprivation of rights as well as before and below any community: resistance that escapes collectivity and the public sphere in the same extent as it breaks with the dichotomy between desperation and political protest. __________________ Der Artikel geht der Frage nach, welche Begriffe hilfreich sein könnten, den Widerstand von Illegalisierten wahrzunehmen, die sich ihrer Abschiebung widersetzten. Wie nützlich sind hier Konzepte wie „ziviler Ungehorsam“, „Verzweiflungstat“ und „politischer Protest“; und was bedeutet gemeinsamer Widerstand im Kontext nahezu totaler Beraubung an Möglichkeiten und Rechten? Dafür beschäftigt sich der Text mit einer brennenden Zelle in der Schubhaft im Polizeianhaltezentrum Wien Hernals. Mit Hilfe von Interviews mit einem der Gefangenen sowie Beobachtungsprotokollen aus der Gerichtsverhandlungen gegen jene sechs Schubhaftgefangenen, die versuchten ihre Abschiebung durch Inbrandsetzung der Zelle zu verhindern, diskutiert er die zynische Verdinglichung von nicht-europäischen „anderen“ als koloniale Kontinuität und Produktion illegalisierter Arbeitskraft. Gegen Verdinglichung und Entrechtlichung schlägt der Text dann das „billigende Hören“ als Praxis der Forschung wie der Rechtsprechung vor. Über den Fokus auf marginalisierte Formen des Widerstands soll er dazu beitragen, über die Vorstellung von Kollektivität und Öffentlichkeit als vermeintliche Wesenszüge des Widerstands hinauszugehen. Nur durch diese Perspektivenverschiebung, so das Argument, kann es der Forschung zukünftig gelingen, jene marginalen Formen des Widerstands wahrzunehmen, welche inmitten der Entrechtlichung und Verdinglichung sowie vor und unterhalb jeder Gemeinschaft stattfinden: Widerständigkeit, die sich der Kollektivität und Öffentlichkeit im gleichen Maße entzieht, wie sie mit der Dichotomie von Verzweiflung versus politischem Protest bricht.

Bedingte Weltabsage. Autobiographische Reflexion über den letzten Anfang (Mai 2019)

Bedingte Weltabsage. Autobiographische Reflexion über den letzten Anfang Ich bin in einem Alter, das manche nur noch als Tote erleben, in dem andere nur noch Präsident oder Papst werden, nachdem sie für untergeordnete Stellen nicht mehr zu brauchen sind. So scheiden sich am irdischen Ende die Geister und die Körper untereinander. Dass man etwas selbst erfahren muss, um es zu kennen, gilt auch für das Alter. Ich hatte es mir bis jetzt anders, oder eigentlich gar nicht richtig vorgestellt. Und dann tue ich, was die anderen Alten auch tun, so weit sie Intellektuelle sind: Vor ein paar Jahren schon schrieb ich eine Autobiographie, und jetzt versuche ich mich an einer Art abschließender Selbstbesinnung. Allerdings bin ich in einer anderen Situation als die Alten vor mir. Ich sehe nicht nur mein Ende nahen, sondern in zufälligem Zusammenfall auch das der menschlichen Zivilisation. Das ist in der Zeit des Anthropozän etwas ganz anderes und Rationaleres als die Weltuntergangsängste mancher früherer Epochen. Gerade hat mir das Herz signalisiert, dass es etwas außer Takt gerät. Kein Wunder, es spiegelt den Weltzustand. Der häufige Trost, dass es nach dem eigenen Tod doch irgendwie weitergehe, wenn nicht mit der Familie, so wenigstens mit der Menschheit, funktioniert nicht mehr. Mich hat er sowieso noch nie angesprochen. Warum soll das bloße Weitergehen, Slogan konservativer Parteien ("Keine Experimente", Weiter so"), in irgendeiner Weise positiv sein?

Heilsgeschichte zwischen Erfahrung und Reflexion

2014

Die zeitgenössische Exegese und Theologie braucht einige Begriffe, die die exi­ stentielle, die kerygmatische Eigenart der Heiligen Schrift hervorheben. Im Unter­ schied zu den vergangenen rationalistischeren Jahrhunderten betonen die zeitgenös­ sischen Exegeten viel mehr das Kerygma als die theologische Synthese, mehr eine subjektive Erfahrung oder das Bewußtsein des prophetischen Berufes als eine objek­ tive Offenbarung, mehr den Pluralismus biblischer Theologien als eine einzige bibli­ sche Theologie1. Aus dieser Grundorientierung der neueren Bibel Wissenschaft erge­ ben sich bedeutende Folgerungen für die Beziehung zur systematischen Theologie und zur Philosophie. Betont man nachdrücklich soziologische, psychologische, lite­ rarische und gedankliche Besonderheiten der Heiligen Schrift, so wird man lieber in­ nerhalb der engen Grenzen der eigenen wissenschaftlichen Methode bleiben, als daß man eine Brücke zur Philosophie und zur systematischen Theologie baut2. Dies stellt uns vor...