Adorno, Kracauer und die Ursprünge der Jargonkritik (original) (raw)
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Im Vorraum. Lebenswelten Kritischer Theorie um 1969, 2019
»Wer ist Dein Freund Axel Kluge?«, wollte Siegfried Kracauer am 10. Dezember 1962 von Theodor W. Adorno wissen, nachdem er Alexander Kluges Erstlingswerk Lebensläufe gelesen hatte. Der 73-Jährige, der seit dem Ende des Ersten Weltkriegs mit Adorno befreundet und im Gegensatz zu diesem nach 1945 nicht nach Frankfurt zurückgekehrt war, zeigte sich spürbar berührt von diesem Buch aus dem Umkreis der jungen Menschen, die sein einstiger Schüler nun um sich versammelt hatte. Es sprach ihn an, weil Kracauer darin Parallelen zu seiner eigenen Art des Nachdenkens und Schreibens entdeckte, nämlich ein starkes Interesse an der gesellschaftlichen Wirklichkeit und eine emphatische Hinwendung zur Erfahrungswelt der Individuen. Das ist eine interessante Konstellation: Adornos Lehrer trifft Adornos Schüler und es werden geistige Verwandtschaften deutlich, ohne dass die Schüler bis dahin den Lehrer ihres Lehrers kannten – ob und inwiefern über die Bande Adorno gespielt oder gerade unabhängig von diesem Dritten ist die Frage.
Adornos Kulturkritik : zwischen Apokalypse und Messianismus
2009
Das Strohfeuer des Kulturbetriebs anläßlich des 100. Geburtstages von Theodor W. Adorno ist fast schon wieder verbrannt, die Geschäfte sind gemacht. Was bleibt, ist die "Wunde Adorno", wie er einmal von der "Wunde Heine" sprach. Ein Ärgernis - das wäre sein bestes Vermächtnis. Von Heine sagte er: "Sein Name ist ein Ärgernis und nur wer dem ohne Schönfärberei sich stellt, kann hoffen, weiterzuhelfen." (Die Wunde Heine, 146
Praxis und Kritik: Bemerkungen zu Adorno, 2011
Pre-print version of contribution to Kapital und Kritik, edited by W Bonefeld and M Heinrich, VSA, Hamburg, 2011
07/2014 Kritik der Postmodernekritik: Adorno und Derrida
Vortrag gehalten in Münster am 17. Juli 2014 Man hat sich daran gewöhnt, dass kritische Theorie irgendwie gleichbedeutend geworden zu sein scheint mit einer „Kritik der Postmoderne“. Unter „Postmoderne“ subsumieren solche Kritiken sehr unterschiedliche und sich wechselseitig kritisierende Theorien, die allesamt durch eine bestimmte Interpretation der kritischen Theorie Adornos zu widerlegen seien. Adorno selbst formulierte hohe Ansprüche an eine solche Widerlegung: Immanent, d.h. aus den Widersprüchen dieser anderen Theorie selbst, müsste eine solche Widerlegung erfolgen. Kritiken, die unter „der Postmoderne“ eine Vielzahl unterschiedlicher Theorien als identische behandeln und in einem Zug abhandeln, dürften diesem Anspruch nicht genügen. Wer nun eingedenk immanenter Kritik Jacques Derridas Texte liest, stellt fest, dass sie sich mit Problemen herumschlagen, die auch Adornos Werk prägen: Wie ist das Medium des Philosophierens, die Sprache zu begreifen und welche Konsequenzen hat es für das Philosophieren, dass es immer schon sprachlich ist? Und wie ist über etwas zu reflektieren, was man notwendigerweise in dieser Reflexion selbst tut, nämlich das Sprechen, Schreiben oder Lesen? Zentrale These des Vortrags wird es sein, dass Derrida und Adorno für eine sprachphilosophische Reflexion plädieren, die als eine Kritik jenes ‚linguistic turns’ kritischer Theorie nach Habermas oder des Ausfalls der sprachphilosophischen Reflexion gewisser ‚orthodoxer’ Adorno-Lesarten zu begreifen ist. Eine Lektüre, die sich in die Spannungsfelder zwischen der Dekonstruktion Derridas und der immanenten Kritik Adornos begibt, könnte vielleicht kritischer Theorie das zurückgeben, was ihre Erbverwalter, jene Postmodernekritiker irgendwie zu fürchten scheinen: dass sie Andere irritiert, wirklich trifft, dass sie verändernd wirkt.
Hat adorno Ratzinger Gelesen? Lazarus im "Jargon der Eigentlichkeit
Cuestiones teológicas, 2020
Professor Ottmar Fuchs, a well known professor in several universities in Germany and abroad, former dean of the Catholic Faculty of Theology in the German University of Tubingen, has granted us permision to public this article. Prof. Fuchs analyzes here the interpretation given by Pope Benedict XVI of the parable of the rich man and Lazarus, in his book "Jesus of Nazareth". Of course, the Pope signed his book in his position as Joseph Ratzinger, the theologian, and not as a Pope and, by doing so, he clearly stated that his book was not an "act of the Magisterium". Morever, Prof. Fuchs takes into account the limitations of the analysis of the whole book based only on a passage like Lk 16, 19-31. But he thinks it is possible, even in this case, to appreciate the way a person reads the text and, furthermore, based in this analysis, it is also possible to raise questions on the legitimacy of such interpretation. Actually, what does Ratzinger is to render here a reading normally unknown to us. It is not a reading focussed on a social level but on a spiritual emphasis concerning faith and incredulity. Having in mind Adorno´s work "The Jargon of Authenticity" where the German philosopher criticizes Heidegger and other German philosophers who denied the existence of objective truth, Fuchs wonders about the objective legitimacy of this interrpetation of the Gospel and stresss on the meaning he considers to be the objective meaning of the biblical text.
Zur kritischen Theorie der Moral bei Adorno
Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 1992
Wer Äußerungen zum Thema Moralphilosophie aus dem Kreis der Begründer der Kritischen Theorie suchte, die geeignet erscheinen, über den systematischen Ort ethischer Reflexionen im Zusammenhang der Kritischen Theorie Aufschluß zu geben, sah sich bislang vor allem auf Gedanken von Horkheimer verwiesen. Dieser hatte im frühen Stadium der Entfaltung Kritischer Theorie das Konzept einer dialektischen Aufhebung derjenigen Intentionen, die in der idealistischen Moralphilosophie in falscher Gestalt aufbewahrt sind, durch befreiende gesellschaftliche Praxis vertreten. Die Idee der revolutionären Inauguration eines ebenso rationalen wie humanen gesellschaftlichen Bewegungsgesetzes schließt die materialistisch transformierte Vorstellung des Ubergangs einer abstrakt-postulativen Moralität in konkrete Sittlichkeit ein. "Die Überwindung" der bürgerlich-idealistischen Moral, so Horkheimer 1936, "liegt nicht im Aufstellen einer besseren, sondern im Herbeiführen von Zuständen, unter denen ihr Daseinsgrund hinwegfällt. Die Verwirklichung der Sittlichkeit, eines menschenwürdigen Zustands, ist kein bloß seelisches, sondern ein geschichtliches Problem." 1 Ohne von den frühen Intentionen grundsätzlich abzurücken, legte Horkheimer in späteren Jahren den Schwerpunkt darauf zu betonen, daß Kritische Theorie kein affirmatives Moralprinzip aufstellen könne. "Das jüdische Verbot, Gott darzustellen, und das Kantische, in intelligible Welten auszuschweifen, enthalten zugleich die Anerkennung dessen, eben des Absoluten, dessen Bestimmung unmöglich ist. Dasselbe gilt von der Kritischen Theorie, sofern sie erklärt, das Schlechte, zuvorderst in der Sphäre des Sozialen, dann aber auch in der des einzelnen Menschen, der des Moralischen, lasse sich bezeichnen, nicht jedoch das Gute. Der Begriff des Negativen, sei es das Relative oder das Böse, enthält in sich das Positive als seinen Gegensatz. Im Praktischen folgt aus der Denunziation einer Handlung als schlecht zumindest die Richtung der besseren Handlung. [...] Die kritische Analyse der Gesellschaft bezeichnet das herrschende Unrecht; der Versuch, es zu überwinden, hat wiederholt zu größerem Unrecht geführt. Einen Menschen zu Tode zu quälen ist Untat schlechthin, ihn, wenn möglich zu retten, menschliche Pflicht. Will man das Gute als den Versuch, das Schlechte abzuschaffen, definieren, so läßt es sich bestimmen. Eben dies ist die Lehre der Kritischen Theorie, jedoch das Gegenteil, nämlich das Schlechte durch das Gute zu definieren, wäre-selbst in der Moral-eine Unmöglichkeit." 2 Um zu zeigen, daß es auch bei Adorno ein systematisch folgenreiches Konzept