Historische Erinnerung angesichts neuer Herausforderungen (original) (raw)
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Unabhangige historische Erinnerung
Die unabhängige historische Erinnerung der demokratischen Opposition in Ungarn "Unsere Generation, die am Vergessen interessiert ist, würde das gute Gedächtnis gern per Dekret abschaffen. Auch ich wäre froh, wenn man meine frühen Gedichte aus den Bibliotheken und dem Gedächtnis der Menschen entfernte. Armselige Menschen korrigieren ihre Vergangenheit. (…) Wenn sie sich über jemanden ärgern, erklären sie, er sei ja schon in der Wiege ein Verbrecher gewesen. Das spielt heute natürlich keine Rolle mehr." 1 Das historische Gedächtnis der demokratischen Oppositionellen in Ungarn war unabhängig von der Ideologie des kommunistischen Regimes. Diese Unabhängigkeit war die Ursache für die Entstehung und Arbeit der Opposition, nicht deren Folge. Publizistische Plattform der ungarischen Oppositionellen war die Samizdat-Presse. Die Autoren befassten sich vor allem mit aktuellen, nur selten mit historischen Ereignissen. Ihre Arbeit war aber unmittelbar mit dem Bedürfnis nach einem unabhängigen Gedächtnis verbunden. Dieses Gedächtnis war konstitutiver Teil der demokratischen Opposition. Die wichtigste Samizdat-Zeitschrift war Beszélő 2 (Der Sprecher). Beszélő erschien erstmals Ende 1981, nach der selbstbegrenzten Revolution in Polen. 3 Die Herausgeber der Zeitschrift hatten enge Verbindungen zu demokratischen Oppositionellen, insbesondere zu SZETA, einer Organisation zur Unterstützung der Armen, deren Existenz vom Regime geleugnet wurde. Die Herausgeber unterhielten Ende der 1980er Jahre auch enge Bezie-1 Eörsi, István (1986): Búcsú egy naiv embertől (Abschied von einem naiven Mann), in: Fanny Havas u.a. (Hg.): Beszélő Összkiadás (Beszélő Gesamtausgabe), Bd. 1, Nr. 1, Budapest 1992, S. 135-137. 2 Die Herausgeber waren János Eörsi, Miklós Haraszti, Gábor F. Havas, Gábor Iványi, János Kis, Ferenc Kőszeg, Bálint Nagy, György Petri, Ottília Solt und Sándor Szilágyi. 3 Am 13. Dezember hatte Wojciech Jaruzelski in Polen den Notstand ausgerufen, um die oppositionelle Gewerkschaftsbewegung Solidarność zu verbieten, die das kommunistische Machtmonopol bedrohte. 3. vom Regime tabuisierte Themen; 4. Rezension illegaler oder im Ausland erschienener Bücher zu politischen und moralischen Fragen; Berichte über legale und illegale demokratische Organisationen, ihre Veröffentlichungen und Aktivitäten. Da stets die aktuellen Entwicklungen im Vordergrund standen, lag der Fokus auf den relevanten Problemen der 1980er Jahre: (1) die Krise der ungarischen Wirtschaft und mögliche Lösungen, (2) Zensur und die Oppositionspresse, (3) die Lage der ungarischen Minderheiten im Ausland (vor allem in der Tschechoslowakei und in Rumänien), (4) das Verhältnis von Kirchen und Machthabern, Unterdrückung und Verfolgung, (5) die Machtübernahme des Militärs in Polen 1981 und das Verbot der Solidarność, (6) die Lage der Armen in Ungarn, (7) die Notwendigkeit einer Interessensvertretung der Arbeiter, (8) der Kampf gegen das Staudammprojekt in Gabčikovo-Nagymaros, (9) die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, die von der offiziellen Presse verschwiegen wurde und (10) die Wahlrechtsreform. Beszélő veröffentlichte nur sehr wenige Artikel, die sich explizit mit der Geschichte Ungarns befassten, berücksichtigte aber bei der Diskussion aktueller Ereignisse die historische Perspektive und führte die gegenwärtigen Probleme auf bestimmte historische Prozesse zurück. Eine Ausnahme vom Gegenwartsbezug machte die Redaktion beim Aufstand von 1956. Die Autoren formulierten in Beszélő nicht nur ihre eigene Interpretation der Revolution, sie bemühten sich auch, durch Interviews und die Veröffentlichung von Memoiren und Dokumenten die Perspektive der Beteiligten aufzugreifen. Damit machte Beszélő die Dokumente zu 1956 auch für die Forschung zugänglich. In ihren Beiträgen über die Revolution von 1956 behandelten die Autoren das Ereignis allerdings nicht als historisches, sondern als ungelöstes und deshalb aktuelles Problem der ungarischen Gesellschaft. Indem sie das Schweigen des Kádár-Regimes zu 1956 und den sich anschließenden Vergeltungsmaßnahmen brachen und die Wahrheit über die Revolution veröffentlichten, leisteten sie einen wesentlichen Beitrag zur Delegitimierung des Regimes. Weitere Tabuthemen, die im Beszélő immer wieder angesprochen wurden, waren die Machtübernahme der Kommunisten 1947 und das Schicksal der übrigen Parteien, die Lage der Juden und die ungarische Emigration nach 1945. Neben solchen landesspezifischen Themen reflektierten die Autoren von Beszélő auch die sozialen, politischen und wirt-7 Eörsi, István (1986): Búcsú egy naív embertől (Abschied von einem naiven Mann), in: Havas, Fanny u.a. (Hg.): Beszélő Összkiadás (Beszélő Gesamtausgabe), Bd. 1, Nr. 1. Budapest 1992. S. 135-137. 8 Csurka, István : Bibó-felejtés (Bibó-Vergessen), in: Rainer M., János: A monori tanácskozás jegyzőkönyve (Die Protokolle des Treffens von Monor), Budapest 2005, S. 75-85. 9 Haraszti, Miklós (1987): Emlék és panasz 1956-ból (Erinnerungen an und Klagen über
2000
Das Thema "Erinnerung und Geschichte" hat – wie auch die beiden Herausgeber Elisabeth DOMANSKY und Harald WELZER zu Beginn des Buches anmerken – schon seit einiger Zeit Hochkonjunktur. Der vorliegende Band selbst zeugt nun ein weiteres Mal davon. Erklarungsansatze fur diesen "Erinnerungsund Geschichtsboom" (S.9) werden in der Einfuhrung allerdings nur kurz gestreift. In diesem Buch stehen nicht die Ursachen der aktuellen Prasenz des Vergangenem im Mittelpunkt (vgl. z.B. JOHNSTON 1991), sondern vielmehr die unterschiedlichen Manifestationen der alltaglichen "Gegenwart von Vergangenem" (AUGUSTINUS) und ihre Folgen fur die individuelle bzw. kollektiv geteilte Sicht auf die Vergangenheit. Ziel des Bandes ist es, die "komplexen Prozesse, in denen sich individuelles und soziales Gedachtnis wechselseitig konstituieren" (S.23), von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Aus politischer, kultureller und wissenschaftlicher Perspektive sind Fragen von Erinn...
Mit Geschichtsbewusstsein in die Zukunft
Rechtsmedizin, 2012
Überlegungen zur Entwicklung des Fachs Rechtsmedizin an der Universität Freiburg Es ist mittlerweile eine schöne Tradition, dass den Ausrichtern der Jahrestagung die Möglichkeit eingeräumt wird, im Kongressheft der Zeitschrift Rechtsmedizin über Geschichte, Gegenwart und Zukunftsperspektiven des Fachs aus der Sicht des jeweiligen Standorts zu berichten. Am 22.09.2010 hat die Mitgliederversammlung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (DGRM) beschlossen, dass die 91. Jahrestagung in Freiburg stattfinden wird. Die Einbindung eines Symposiums der International Academy of Legal Medicine (IALM) soll die Veranstaltung für Gäste aus aller Welt attraktiv machen und zugleich die gewachsene Bedeutung der klinischen Rechtsmedizin unterstreichen. Im Jahr 2012 jährt sich die Gründung der Universität Freiburg zum 555. Mal, und seit 50 Jahren verfügt die Freiburger Rechtsmedizin über ein eigenes Institutsgebäude-zwei Anlässe, die einen Rückblick auf die geschichtliche Entwicklung und einen Ausblick in die Zukunft angezeigt erscheinen lassen.
Blog "Erinnerungskulturen" der Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien, 2015
Wie lässt sich die Beziehung zwischen verschiedenen Opfergeschichten neu erörtern? Michael Rothbergs „Multidirectional Memory“ ist ein Versuch, Erinnerungskultur in mehrere Richtungen, sozusagen gegen den Strich, zu denken. Damit stellt „Multidirectional Memory“ ein Modell vor, das eine interdisziplinäre und transnationale Untersuchung von Erinnerungskultur stützt.
Die erzählte Erinnerung: Ein Faszinosum aufgespannt zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
KULT_online, 2017
Erinnerungen faszinieren seit Anfang der Menschheit. Mit Rückgriff auf literarische und philosophische Werke insbesondere des letzten Jahrhunderts zeichnet der Philosoph Emil Angehrn in seiner Monographie Sein Leben Schreiben die Wege der Erinnerung nach. Er arbeitet heraus, wie sich die Erinnerung in ihrer existentiellen Bedeutung zur Lebensbeschreibung und zur menschlichen Zeiterfahrung verhält. Seine Ausführungen sind ein gelungenes und äußerst lesenswertes Abbild der Verstrickungen von Erinnerungen, Zeit, Selbst und Sprache, das sich nicht zuletzt der Frage stellt, wieso der Mensch überhaupt nach Erinnerungen verlangt. Since the dawn of men memories have been of great interest. By drawing on literary and philosophical works, especially from the last century, the philosophical monograph Sein Leben Schreiben attempts to make the ways of memories observable. Emil Angehrn explores memories in their existential meaning and their interaction with the concept of life-writing and human temporal experiences. His considerations are highly worth reading and a thoroughly well written reflection on the entanglement between memories, time, language, and the self. Moreover, he raises the question why we desire memories in the first place.
Gegen Die "Kunst Des Vergessens": Gedächtnis – Museum – Geschichte
Museologica Brunensia, 2017
MARLIES RAFFLER "Ohne die Erinnerung und die Verdinglichung, die aus der Erinnerung selbst entspringt, weil die Erinnerung der Verdinglichung für ihr eigenes Erinnern bedarf, würde das lebendig gehandelte, das gesprochene Wort, der gedachte Gedanke spurlos verschwinden." 2 "Museums are in the business of history" 3-"Museums are in the memory business" 4 Sowohl der "Geschichte"-im Sinne einer wissenschaftlichen Disziplinund der Institution "Museum" ist, wie schon F. Waidacher und andere als Merkformel definierten, gemeinsam, das existentielle menschliche Bedürfnis "Erinnerung" wach zu halten und daraus Definitions-und Orientierungshilfen für Gegenwart und Zukunft abzuleiten. 5
Archiv - Zukunft braucht Vergangenheit
2009
Uber die Funktion (digitaler) Archive. Unveroffentlichter deutscher Text einer italienischen Veroffentlichung, vgl. http://edoc.ku-eichstaett.de/4243/
Nostalgie. Historische Annäherungen an ein modernes Unbehagen
2021
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