Visionäre Erkenntnis. Caspar David Friedrichs Konkretionen des Unsichtbaren (original) (raw)

Ich sehe was, was Du nicht siehst – Moritz Schlick, die Erkenntnis und ihr Fundament

Moritz Schlick. Leben, Werk und Wirkung. Schlickiana, Band 1 S. 247-276, 2008

Moritz Schlicks Plädoyer für ein empirisches Fundament unserer Erkenntnis enthält weder reduktionistische noch phänomenalistische Extrempositionen. Seine Beispiele für Fundamentalsätze haben allesamt die Form: "Hier jetzt so und so"; aber nicht alle diese Sätze sind Fundamentalsätze. Was muss man für die letzten drei Wörter dieses Schemas einsetzen, um wirklich beim Fundament anzukommen? Ich schlage vor, die Frage durch Rückgriff auf das interpretationstheoretische Prinzip des Wohlwollens zu beantworten. Demzufolge sind diejenigen Sätze (der Form "Hier jetzt so und so") Fundamentalsätze, über die kein inhaltlicher Streit aufkommen kann; wer bei solchen Sätzen – unter denselben Umständen – zu einem anderen Urteil kommt als wir, der bezeugt dadurch keine Meinungsverschiedenheit in der Sache, sondern nur einen anderen Gebrauch sprachlicher Ausdrücke. Bei welchen Ausdrücken funktioniert dieses Kriterium besonders gut? Einerseits bei Ausdrücken, die mit Gesichtsfeldern zu tun haben; noch besser bei Ausdrücken aus dem eindeutig phänomenalistischen Bereich unserer Sprache.

Figurationen des Unsichtbaren: Kleists Theatralität

Deutsche Vierteljahrsschrift Fur Literaturwissenschaft Und Geistesgeschichte, 2013

Ausgehend von Goethes Bemerkung über Kleists »unsichtbare[sl Theater« versucht der Beitrag diese contradictio in adjecto für die Bestimmung der Theatralität seiner Dramatik fruchtbar zu machen. Taking Goethe's remark of Kleist's »invisible theater« as point of departure this article strives to exploit this contradictio in adjecto for a theorization of the theatricality of his plays. 1 Der folgende Beitrag wurde ursprünglich als Eröffnungsvortrag der Tagung »Heinrich von Kleist's Invisible Theater« gehalten, die vom 1. bis zum 3. Dezember 2011 an der University of Chicago stattfand und großzügig von der Max Kade Stiftung und dem Center for Interdisciplinary Research on German Literature and Culture unterstützt wurde. Die anderen Beiträge in diesem Heft wurden ebenfalls als Vorträge auf dieser Tagung präsentiert.

Vom Sichtbarmachen des Unsichtbarwerdens –– vom Unsichtbarmachen des Sichtbarwerdens

Hermeneutische Blätter

Dass Geschichten, in denen von den Erscheinungen des Auferstandenen erzählt wird, mit visuellen Aspekten arbeiten, mag auf der Hand liegen. Überraschendes Sichtbar-und Unsichtbarwerden gehört wohl wesenhaft dazu. Trotzdem fällt in dieser Hinsicht eine Erscheinungsgeschichte ganz besonders auf, nämlich die Erzählung von der Erscheinung des auferstandenen Christus auf dem Weg nach Emmaus in Lukas 24. Die visuelle Spannung von Sichtbar-und Unsichtbarwerden in Lukas 24 Jesus gesellt sich zu zwei Jüngern, die auf dem Weg von Jerusalem zu einem Dorf namens Emmaus sind. Kaum hat die Begegnung stattgefunden, fällt auch der erste visuelle Kommentar des Erzählers: «Doch ihre Augen waren gehalten, so dass sie ihn nicht erkannten.» (V. 16) 1 Die gehaltenen Augen sehen ihn also, aber erkennen ihn nicht, oder anders gesagt: Er erscheint den Jüngern sichtbar, aber seine eigentliche Identität bleibt ihnen verborgen, unsichtbar. Im Markusevangelium hatte Jesus diese Spannung auch bereits thematisiert, in Anlehnung an Jesaja 6, 9-10: Denen, die draussen sind, hiess es dort, werde alles in Gleichnissen erzählt, «damit sie sehend sehen und nicht erkennen». Aufgrund dieses Nichterkennens nimmt nun die Geschichte für den Leser, der ja weiss, wer sich da zu den zwei Jüngern gesellte, eine ironische Wendung. Auf die Frage, was sie denn für Worte miteinander wechselten, antwortet der eine der Jünger dem Auferstandenen: «Du bist wohl der Einzige, der sich in Jerusalem aufhält und nicht erfahren hat, was sich in diesen Tagen dort zugetragen hat.» (V. 18) Der Nichtsahnende vermutet, der Unbekannte habe von all dem, was sich zugetragen hat, nichts erahnt, und dabei war ja gerade dieser Unbekannte im Zentrum dieses Geschehens! Das Missverständnis 1 Ich zitiere die Geschichte nach der in diesem Jahr erschienenen revidierten Fassung der Zürcher Bibel, Zürich, Genossenschaft Verlag der Zürcher Bibel beim TVZ, 2007.

Vom Sichtbarmachen des Unsichtbaren - vom Unsichtbarmachen des Sichtbaren

2007

Dass Geschichten, in denen von den Erscheinungen des Auferstandenen erzählt wird, mit visuellen Aspekten arbeiten, mag auf der Hand liegen. Überraschendes Sichtbar-und Unsichtbarwerden gehört wohl wesenhaft dazu. Trotzdem fällt in dieser Hinsicht eine Erscheinungsgeschichte ganz besonders auf, nämlich die Erzählung von der Erscheinung des auferstandenen Christus auf dem Weg nach Emmaus in Lukas 24. Die visuelle Spannung von Sichtbar-und Unsichtbarwerden in Lukas 24 Jesus gesellt sich zu zwei Jüngern, die auf dem Weg von Jerusalem zu einem Dorf namens Emmaus sind. Kaum hat die Begegnung stattgefunden, fällt auch der erste visuelle Kommentar des Erzählers: «Doch ihre Augen waren gehalten, so dass sie ihn nicht erkannten.» (V. 16) 1 Die gehaltenen Augen sehen ihn also, aber erkennen ihn nicht, oder anders gesagt: Er erscheint den Jüngern sichtbar, aber seine eigentliche Identität bleibt ihnen verborgen, unsichtbar. Im Markusevangelium hatte Jesus diese Spannung auch bereits thematisiert, in Anlehnung an Jesaja 6, 9-10: Denen, die draussen sind, hiess es dort, werde alles in Gleichnissen erzählt, «damit sie sehend sehen und nicht erkennen». Aufgrund dieses Nichterkennens nimmt nun die Geschichte für den Leser, der ja weiss, wer sich da zu den zwei Jüngern gesellte, eine ironische Wendung. Auf die Frage, was sie denn für Worte miteinander wechselten, antwortet der eine der Jünger dem Auferstandenen: «Du bist wohl der Einzige, der sich in Jerusalem aufhält und nicht erfahren hat, was sich in diesen Tagen dort zugetragen hat.» (V. 18) Der Nichtsahnende vermutet, der Unbekannte habe von all dem, was sich zugetragen hat, nichts erahnt, und dabei war ja gerade dieser Unbekannte im Zentrum dieses Geschehens! Das Missverständnis

Die besten Weiber lesen träumend». Jean Pauls Utopie von der Unmittelbarkeit des Verstehens

Leseträume – Traumlektüren / Lire en rêve – lire des rêves. Hg. Claire Gantet u. Helmut Zedelmaier. Basel, Schwabe Verlag, 2022

«The Best Women Dream while They Read». Jean Paul's Utopia of the Immediateness of Understanding This article analyses the various constellations of the realms of ‹dream› and ‹reading› in the work of the German early romantic Jean Paul. As a pioneer of a modern, anti-classical aesthetic, he showed great interest in the productive power of dreams. Less well known and less researched than the role of dreams in the creative writing process is the connection between ‹dreaming› and ‹reading› that Jean Paul repeatedly evoked in different contexts. The partly idealised, partly pejorative projection of this uncontrollable dreamlike reading practice applied to female readers, reveals an ambivalence towards rationally controlled aesthetic processes which are characteristic of Jean Paul.