George in der nichtdeutschsprachigen Literaturkritik (original) (raw)

IFB-Rezension Jürgen Egyptien zu Stefan George

BIOGRAPHIE 18-2 Stefan George : Dichter und Prophet / Jürgen Egyptien. -Darmstadt : Theiss, 2018. -472, [32] S. : Ill. ; 23 cm. -ISBN 978-3-8062-3653-8 : EUR 29.95 [#5879] Stefan George (1868 -1933) war sicherlich einer jener Dichter deutscher Sprache, die zu den meisten kontroversen Einschätzungen Anlaß gaben. Höchst unterschiedlich sind denn auch bis heute die Reaktionen auf ihn, seine Lyrik sowie nicht zuletzt das, was man den George-Kreis zu nennen pflegt. Nachdem es Thomas Karlauf gelungen war, mit einer umfangreichen George-Biographie eine neue Diskussion anzustoßen, 1 die dann von Ulrich Raulffs Buch über den Kreis nach Georges Tod fortgeführt wurde, 2 sind erst in jüngster Zeit wieder eine Reihe von Artikeln etwa in der FAZ erschienen, die sich sehr kritisch mit George, dem Kreis und einem sozusagen spätberufenen Georgeaner wie Wolfgang Frommel 3 beschäftigen, wozu hier indes nichts weiter gesagt werden soll. 4 Daß es auch in der Zeit einer etwas erregten Debatte möglich ist, ein eminent sachliches und fundiertes Buch zu George und seinem Kreis vorzulegen, zeigt Jürgen Egyptien mit seinem Werk, das zwar vom Titel her George

Zeitenwende und Diagnose der Moderne: Die Figur des ›Neuen‹ in der Lyrik Stefan Georges und einiger Zeitgenossen

Paul Verlaine, Stéphane Mallarmé, Arthur Rimbaud, Baudelaires Schüler und Interpreten (die »Heiligen Drei Könige der modernen Poetik«, wie Paul Valéry sie genannt hat1), zeigen in ihren Dichtungen das Spektrum dessen, was durch Baudelaire möglich wird. Diese neue Lyrik ist ›universell‹, nationalkulturelle Traditionen spielen in ihr, wie Valéry betont hat, keine oder nur eine marginale Rolle. In Deutschland erkunden, zeitlich versetzt, George, Rilke, die frühen Expressionisten das neue Terrain. Man ist also gut beraten, auf Baudelaire (und seine frühen Ausleger) zurückgehen, wenn man verstehen will, warum es in Europa um 1900 eine moderne Lyrik gibt und nicht einfach ›Lyrik‹ oder, ganz einfach, Prosa – die ›Prosa der Moderne‹. Denn dass in Zeiten der Prosa Lyrik überhaupt überlebt, ist alles andere als selbstverständlich.

NIETZSCHE UND DIE FRÜHROMANTISCHE SCHULE Wenn man den Begriff des Kritikers im engeren Sinne nimmt, nämlich

Wenn man den Begriff des Kritikers im engeren Sinne nimmt, nämlich als Polemiker oder Opponenten, wie dies Nietzsches aggressiver Denkstil nahezulegen scheint, dann habe ich mit dem Thema "Nietzsche und die frühromantische Schule" zu dieser Konferenz über "Nietzsche als Kritiker seines Jahrhunderts" nicht viel beizutragen. Denn in Nietzsche ist kaum ein Antagonismus gegen die Repräsentanten dieser Schule wahrnehmbar. Mit ihnen ist der Kreis der Schriftsteller angesprochen, der sich wenige Jahre vor der Jahrhundertwende, genauer: von 1795-1800 um die Zeitschrift Athenäum bildete und hauptsächlich die Brüder Schlegel und Novalis, im weiteren Sinne auch Wackenroder, Tieck oder sogar Schleiermacher umfaßte, mit dessen Stellung in der protestantischen Theologie Nietzsche vertraut war. Wenn sich Nietzsche aber gelegentlich gegen Schleiermacher wendet und diesen als "Schleier-Macher" verulkt, 1 dann richtet er sich nicht gegen den jungen Mitarbeiter des Athenäums und den Autor der Reden über die Religion, sondern den späten Theologen der Glaubenslehre. Nietzsches Spott über den "deutschen Jüngling", der sich in der Vaterschaft Fichtes wähnt, 2 ist nicht auf diese Frühromantiker gemünzt, sondern erweist sich bei näherem Zusehen als Persiflage der sogenannten Romantik der "dreißiger und vierziger Jahre", genauer gesprochen der Bewegung des Jungen Deutschland, die Nietzsche mit "Feuerbachs Wort von der ,gesuiiden Sinnlichkeit*" in Verbindung brachte, das ihm durch Wagner bekannt war. 3 Nimmt man den Begriff des Kritikers jedoch im klassischen Sinne als Beurteiler und Richter, der das Wahre vom Falschen zu scheiden bemüht ist, dann ist mein Thema freilich von hohem Anspruch, und zwar sowohl für die 1 EH, Der Fall Wagner, Aph. 3. Wenn nicht anders angegeben, wird Nietzsche nach der folgenden Ausgabe zitiert: Nietzsche Werke. Kritische Gesamtausgabe. Herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Mpntinari. Angeführte Textstellen sind in der Orthographie geringfügig modernisiert, ohne jedoch das Lautbild zu verändern. Bei den von Nietzsche selbst veröffentlichten Werken erfolgen die Stellennachweise mit Angabe des betr. Werkes und Aphorismus. Verweisungen auf den Nachlaß und Briefwechsel erfolgen mit Angabe der Abteilung und der Band-und Seitenzahl der KG.

Dichtende Dichtungskritik. Romantische Kritikpraxis in Ludwig Tiecks "Goethe und seine Zeit". In: Zeitschrift für deutsche Philologie, 133 (4/2014), S. 533–552.

In der Einleitung zu seiner Ausgabe der Schriften von J.M.R. Lenz aus dem Jahre 1828, die 1848 unter dem Titel „Goethe und seine Zeit“ neu herausgegeben wurde, unternimmt Ludwig Tieck den Versuch, die Bedeutung Goethes und seines Werks für die deutsche Literatur und Kultur zu bestimmen. Formal ist diese umfänglichste essayistische Arbeit Tiecks dabei als Gespräch einer Gruppe von Freunden angelegt und greift auf unterschiedliche literarische Formen zurück. Der vorliegende Beitrag legt dar, dass in „Goethe und seine Zeit“ die frühromantische Forderung nach einer anti-normativen und liberal-pluralistischen Dichtungskritik sowohl explizit thematisiert als auch in der formalen Anlage des Essays selbst umgesetzt wird. Der Text wird somit als Exempel einer selbst dichtenden Dichtungskritik verstanden und darüber hinaus in den Kontext von Tiecks allgemeineren Überlegungen zu Literatur und Literaturkritik gerückt. In the introductory essay to his edition of the works of J.M.R. Lenz from 1828 – a text published again in 1848 under the title ‘Goethe und seine Zeit’ – Ludwig Tieck explores the significance of Goethe and his work for German literature and culture. This essay, the most extensive in Tieck’s œuvre, consists of conversations among a group of friends and employs various literary forms. The present article analyses the extent to which the early-romantic demand for an anti-normative and liberal-pluralistic mode of literary comment is explicitly expressed in the essay and also imminently reflected in its formal structure. Understood in this light, Tieck’s text exemplifies an intentionally poetic form of literary criticism. It is then evaluated within the larger context of Tieck’s general reflections on literature and criticism.