"Untergangsstimmung? Das Ende des weströmischen Reiches im Spiegel zeitgenössischer Quellen" [2022] (original) (raw)
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Die Welt geht unter-aber ganz bestimmt nicht heute Inszenierungen des Untergangs im frühen 20. Jahrhundert Fünf Akte lang lässt Karl Kraus in dem satirischen Anti-Kriegsstück Die letzten Tagen der Menschheit Ereignisse des Ersten Weltkriegs Revue passieren. Unablässig wechselt er in einem Marathon von 220 Szenen die Schauplätze. Er führt an alle Fronten der Unmenschlichkeit, des Grauens und blutrünstigen Patriotismus, er konfrontiert den Zuschauer mit Zeitungsmeldungen, Leitartikeln, Gerichtsurteilen, militärischen Tagesbefehlen und Verordnungsblättern, mit Anzeigen und Gedichten. Und dann dieser gespenstische Schluss im Epilog "Die letzte Nacht", der das Kriegsende als Apokalypse der Menschheit, als bitterböse Travestie des Finales aus Richard Wagners Götterdämmerung zeigt: Plötzlich bricht eine völlige Finsternis herein, am Horizont lodern Flammen, dazu Todesschreie, als der Himmel, durch ein Feuerkreuz erleuchtet, Blut, Asche und einen Regen von Meteoren auf die marode Welt ausschüttet. "Ich habe es nicht gewollt", hört man nach einem langen Schweigen die Stimme Gottes sagen. Es ist jener Satz, mit dem der deutsche Kaiser Wilhelm II. seine Kriegserklärung kommentierte. Auch Wotan, einst Sachwalter von Ordnung und Gesetz, hat das selbstverschuldete Ende der Welt, das er fürchtete und aufzuhalten suchte, nicht gewollt. Doch anders als Wagner greift Karl Kraus, der "Satiriker der Apokalypse", wie ihn Edward Timm nannte, in fast Brecht'scher Manier zum Gestus des Zeigens, führt durch eine zerrissene Struktur unzähliger und unablässiger Variationen des Wahnsinns und aller Absurditäten eines mörderischen Krieges, dessen Szenen sich wie in einem Angsttraum türmen. Seine Götterdämmerung inmitten der schrecklichen Materialschlachten des Ersten Weltkrieges ist zerklüftet, heldenlos und ohne Hoffnung. Sie führt durch hundert Höllen der Barbarei und einer entmenschten Menschheit, an deren Ende die "Selbstzerfleischung der Welt in Blut und Not" steht (Hermann Broch). Flammte die Götterdämmerung in den Letzten Tagen der Menschheit heftiger auf, als Wagner sich dies je vorstellen konnte, so waren auch die Zeiten nicht mehr jene Zeiten, da der Komponist am letzten Teil seiner Ring-Tetralogie arbeitete, schwankend zwischen pessimistischer Prognose und einer Utopie der Erlösung vom korrumpierten Göttergesetz, die das verheerende Trauerspiel der Macht transzendieren sollte. Und es ist überaus bezeichnend, dass der Bayreuther Wagner, der den politischen Anarchismus der Märzrevolution widerrief und verleugnete, doch dessen ästhetischen Widerschein im Finale der Götterdämmerung nicht antastete. Er überlebte "als caput mortuum einer verlorenen und preisgegebenen Revolution"
Phantasmagorien des Untergangs_Richard Wagner, Lars von Trier
Sophie Wennerscheid Phantasmagorien des Untergangs bei Richard Wagner und Lars von Trier [A]m Horizont die Schleierfähre stygische Blüten, Schlaf und Mohn die Träne wühlt sich in die Meere dir, thalassale Regression. 1 Obwohl Slavoj Žižek bislang nicht durch einen Hang zur Mäßigung aufgefallen ist, sondern im Gegenteil immer wieder die exzessive, sich selbst überschreitende Dimension menschlichen Lebens hervorgehoben und mit seiner eigenen Person performativ in Szene gesetzt hat, problematisiert er in seiner 2001 erschienenen und sich vornehmlich mit Wagner auseinandersetzenden Schrift Der zweite Tod der Oper die übereilte Verklärung transgressiven Erlebens. Er mahnt: »Brecht folgend, sollte man -heute mehr denn je -die verführerische Verherrlichung des ekstatischen Überschreitungserlebnisses, des Erlebnisses, an die Grenzen (und darüber hinaus) zu gehen, als höchste, authentische menschliche Erfahrung zurückweisen.« 2 Dass Žižek diese Mahnung im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit Wagner ausspricht, kann kaum verwundern. Wird Wagner doch durch die Jahrhunderte hinweg immer wieder neu mit der Begeisterung für ein rauschhaftes Überschreitungserlebnis und mit einer passionierten Todesverklärung in Verbindung gebracht.
Historisches Jahrbuch, 2017
This article contends that Christian anxieties over secularism played a significant role in the political crisis at the end of the Weimar Republic. Although these anxieties flared when German Communists began to imitate elements of the Soviet antireligious campaigns after 1929, their roots lay in a struggle with secularist movements stretching back to the nineteenth-century “culture war” (Kulturkampf). Catholic and Protestant counter mobilizations of 1930 to 1933 generated theologico-political concepts and calls for state intervention that fed into the mounting political crisis. The Brüning government managed to curb excesses, but its inability to completely halt anticlericalism allowed nationalist opponents to capitalize on the new Kulturkampf. The article concludes by demonstrating how the NSDAP managed to portray itself as a non-confessional champion of Christian interests.
Phantasmagorien des Untergangs bei Richard Wagner und Lars von Trier
Sophie Wennerscheid Phantasmagorien des Untergangs bei Richard Wagner und Lars von Trier [A]m Horizont die Schleierfähre stygische Blüten, Schlaf und Mohn die Träne wühlt sich in die Meere dir, thalassale Regression. 1 Obwohl Slavoj Žižek bislang nicht durch einen Hang zur Mäßigung aufgefallen ist, sondern im Gegenteil immer wieder die exzessive, sich selbst überschreitende Dimension menschlichen Lebens hervorgehoben und mit seiner eigenen Person performativ in Szene gesetzt hat, problematisiert er in seiner 2001 erschienenen und sich vornehmlich mit Wagner auseinandersetzenden Schrift Der zweite Tod der Oper die übereilte Verklärung transgressiven Erlebens. Er mahnt: »Brecht folgend, sollte man -heute mehr denn je -die verführerische Verherrlichung des ekstatischen Überschreitungserlebnisses, des Erlebnisses, an die Grenzen (und darüber hinaus) zu gehen, als höchste, authentische menschliche Erfahrung zurückweisen.« 2 Dass Žižek diese Mahnung im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit Wagner ausspricht, kann kaum verwundern. Wird Wagner doch durch die Jahrhunderte hinweg immer wieder neu mit der Begeisterung für ein rauschhaftes Überschreitungserlebnis und mit einer passionierten Todesverklärung in Verbindung gebracht.
Moderne am Ende: Lektürebericht zweier zeitgenössischer Dystopien
2011
Contemporary Japan has provoked many dystopian visions. This paper reviews two versions from the field of social / political criticism and from opposite sides of the political spectrum. Saeki Keishi's Jiyū to minshushugi wo mō yameru ("We've had enough of freedom and democracy!", 2008) depicts contemporary Japan as a country that is metaphysically failing as a result of its successful modernization and democratization, and exhorts its readers to revert to the famed "traditional values" in order to avert impending social and political disintegration. Mutsū bunmei ("Painless Civilization", 2003) by Morioka Masahiro pictures a vision of how humanity, freedom and the joy of life are lost due to relentless welfare engineering and suggests that we return to a more authentic mode of life. In spite of their conspicuous differences in intent, substance, and moral agenda, both dystopias converge in their denials of the political as a mode of analysis and a frame of action.