Die Anschauung des Werdens (original) (raw)
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Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 2021
Etwa 30 Jahre nach Kriegsende erschien in Berlin (DDR) eine Darstellung zur DDR-Geschichte unter diesem Titel. 1 Sie gab im Osten lange die offizielle Auffassung vom Aufbruch nach 1945 vor. Gemeint waren ein zwingendes historisches Werden im Klassenkampf und ein krisenfreies Wachsen zum und im Sozialismus. Haderte die Geschichtswissenschaft anfänglich noch mit der Verwendung des Begriffs Revolution für die ersten Nachkriegsjahre, so sah sie schließlich einen "einheitlichen revolutionären Prozess" von der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung zum "Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse". 2 Die Darstellung vermittelte: So wie es kam, so musste es kommen! Und sie versicherte in einem teleologischen Verständnis von historischen Abläufen: Alles geht dem bekannten großen Ziel entgegen. Das bundesdeutsche DDR-Bild zeigt heute strukturelle Ähnlichkeiten zu diesem Ostnarrativ im 25. Jahr der DDR: Die Geschichten sind reichhaltiger als die bisherigen; der Ruf nach Verallgemeinerungen und Lehren wächst; der Rückblick gerät zugleich gewisser, die Einbindung in die Weltpolitik entschiedener. Nur bringt das Aus des ostdeutschen Experiments jetzt den Erfolg des westdeutschen Wegs zum Leuchten. Die Folge ist ähnlich fatal wie seinerzeit beim Ostnarrativ. Lutz Niethammer hatte 1998 konstatiert, es gehöre zum "Sonderweg der deutschen Zeitgeschichte" als Fach, "der jüngsten Vergangenheit Deutschlands eine gleiche oder noch größere Aufmerksamkeit als früheren Epochen in der Öffentlichkeit zu verschaffen, dabei aber die Tradition einer eindeutigen Vorrangstellung der Politikgeschichte fortzuführen und eng mit den jeweiligen politischen Gegenwartsinteressen zu verflechten". 3 Man müsse aber befürchten, dass dieser ost-wie westdeutsch verwurzelte Umgang mit Zeitgeschichte "das Interesse des Publikums bald in ähnlicher Weise verstopft […], wie es seinem Vorgänger in der DDR bereits gelungen war".
Die Vollendung von Goethes Metamorphosenlehre durch Rudolf Steiner »Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen, Als dass sich Gott-Natur ihm offenbare? Wie sie das Feste lässt zu Geist verrinnen, Wie sie das Geisterzeugte fest bewahre.« 1 Johann Wolfgang von Goethe Anthroposophie ist eine Wissenschaft des Geistigen. Sie liefert eine Fülle neuer Begriffe und Ideen, die vollkommen transpa rent miteinander zusammenhängen. Auch stellte Rudolf Steiner seine Forschungsmethode immer wieder dar. Und schließlich ist die Anthroposophie empirisch. Sie macht ihre Beobachtungen jedoch nicht in der sinnlichen Welt, sondern im Seelischen und Geistigen. Allerdings unterscheidet sie sich von den gängigen Wissenschaften durch ihre Forderung, das Erkennen und damit sich selbst als Mensch weiterzuentwickeln. Durch meditative Selbstschulung können drei höhere Erkenntnisstufen, die man als »Imagination«, »Inspiration« und »Intuition« bezeichnet, aus gebildet werden. Einen Ansatz zur imaginativen Erkenntnis fand Steiner bereits bei Goethe, die inspirative und intuitive entwik kelte er selbst. Am Beispiel der Erkenntnis von Pflanzen, Tieren und Menschen soll diese stufenweise Erkenntnisvertiefung hier nachgezeichnet werden. Von seinem 21. bis zu seinem 36. Lebensjahr war Rudolf Steiner Herausgeber von Goethes naturwissenschaftlichen Schriften. Bereits im ersten, 1884 erschienenen Band seiner
Subjektwerdung im Blick. Die Szene des Gesehenwerdens
Einer der vitalsten Blickstrahlen, die bildlich festgehalten wurden, ,schaute' ver mutlich aus dem Selbstporträt von Rogier van der Weyden, das sich im Brüsseler Rathaus befand und heute nicht mehr erhalten ist. Den Blick dieser Bildgestalt hat der Philosoph und Theologe Nikolaus von Kues als einen aktiven und omnipotenten beschrieben. "Schaut es an", fordert er die Mönche vom Tegernsee, seine damali gen Adressaten auf: Schaut es an und jeder von Euch, von welcher Stelle er es auch betrachtet, wird erfahren, daß jenes Bild ihn gleichsam allein anblickt. Dem Bruder, der im Osten steht, scheint das Antlitz in östlicher Richtung zu blicken, dem im Süden, in südlicher und dem im Westen, in westli cher. Zuerst werdet ihr euch darüber wundem, wie es geschehen kann, daß es alle und jeden einzelnen zugleich ansieht. Denn derjenige, welcher im Osten steht, kann sich in keiner Weise vorstellen, daß der Blick des Bildes auch in eine andere Richtung, nach Westen oder Süden, gerichtet ist. Nun mag der Bruder, der im Osten steht, sich nach Westen begeben und erfahren, daß der Blick hier ebenso auf ihn gerichtet ist wie vordem im Osten. Und da er weiß, daß das Bild fest hängt und unbeweglich ist, wird es[sic!J sich über die Wandlung des unwandelbaren Blickes wundern. Auch wenn er seinen Blick fest auf das Bild heft et und von Osten nach Westen geht, wird er erfahren, daß der Blick des Bildes ununterbrochen mit ihm geht und, kehrt er von Westen nach Osten zurück, ihn auch dann nicht verläßt. Er wird sich wundem, wie dieser Blick sich unbeweglich bewegte. Und noch weniger wird sein Vorstel lungsvermögen es fassen können, daß er sich mit einem anderen, der ihm selbst aus entge gengesetzter Richtung begegnet, in derselben Weise bewegt. ' Kues 1967:97. Hervorhebung d. Verf.
Jahresbericht der Archäologischen Bodenforschung Basel-Stadt
Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert geben Ausgrabungen den Archäologinnen und Archäologen immer wieder Einblicke in die bis zu drei Meter mächtigen Siedlungsablagerungen unter dem Asphalt des Münsterhügels. Zahlreich sind dabei die Befunde und Funde, die der Spätantike (ausgehendes 3. bis etwa zur Mitte des 5. Jahrhunderts) zugewiesen können. Dank moderner computergestützten Grafikprogramme besteht heute die technische Möglichkeit, die archäologischen Erkenntnisse in Lebensbildern zu visualisieren. In diesem Beitrag wird anhand ausgewählter Beispiele aufgezeigt, wie das neue Lebensbild des spätrömischen Basels entstand.
Die Destruktion als Ursache des Werdens, Sabina Spielrein
Bei meiner Beschäftigung mit sexuellen Problemen hat mich eine Frage besonders interessiert: warum dieser mächtigste Trieb, der Fortpflanzungstrieb, neben den a priori zu erwartenden positiven Gefühlen negative, wie Angst, Ekel, in sich beherbergt, welch letztere eigentlich überwunden werden müssen, damit man zur positiven Betätigumg gelangen kann. Die negative Stellung des Individuums zur Sexualbetätigung ist natürlich bei Neurotikern besonders aufgefallen. Soweit es mir bekannt ist, haben einzelne Forscher die Erklärung dieses Widerstandes in unseren Sitten, in der Erziehung gesucht, welche bestrebt ist, den Trieb in Schranken zu. halten und deshalb jedes Kind belehrt, die Realisierung des sexuellen Wunsches als etwas Schlechtes, Verbotenes zu betrachten. Manchen ist die Häufigkeit der mit sexuellen Wünschen verknüpften Todesvorstellungen aufgefallen, jedoch wurde der Tod als Symbol des moralischen Falles aufgefaßt (Stekel 1), Gross leitet das Ekelgefühl vor den Sexualprodukten von der räumlichen Koexistenz mit den toten Exkreten ab. Freud führt die Widerstände, die Angst auf Verdrängung der sonst positiv gefühlsbetonten Wünsche zurück. Bleuler sieht in der Abwehr das notwendige Negativ, welches bei der positiv gefühlsbetonten Vorstellung auch vorhanden sein muß. Bei Jung fand ich folgende Stelle: "Die leidenschaftliche Sehnsucht, d. h. die Libido hat zwei Seiten: sie ist die Kraft, die alles verschönt und unter Umständen alles zerstört. Man gibt sich öfter den Anschein, als ob man nicht recht verstehen könne, worin denn die zerstörende Eigenschaft der schaffenden Kraft bestehen könne. Eine Frau, die sich, zumal unter heutigen Kulturumständen, der Leidenschaft überläßt, erfährt das Zerstörende nur zu bald. Man muß sich um ein Weniges aus bürgerlich gesitteten Umständen herausdenken,
Überzeugungen über das Erscheinungsbild
Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 2011
Zusammenfassung. Theoretischer Hintergrund: Das Appearance Schemas Inventory-Revised (ASI-R) ist ein Selbstbeurteilungsinstrument, das die Überzeugungen im Sinne der selbstevaluativen Salienz bzw. die motivationale Salienz bezüglich des eigenen Erscheinungsbildes misst. Das ASI-R hat sich an einer US-amerikanischen Stichprobe (N = 603) als valide und reliabel erwiesen. Fragestellung: Ist das Konstrukt auch in der deutschen Version valide und reliabel? Methode: Stichproben aus unterschiedlichen Populationen (Studierende, Patientinnen mit der Diagnose einer Essstörung, Personen mit medizinischkosmetischem Behandlungswunsch, Bevölkerungsstichprobe, Psychotherapiestichprobe) bekamen das ASI-R und weitere Instrumente zur Feststellung von Reliabilität und konvergenter und divergenter Validität vorgelegt, Gesamtstichprobe N = 1.256). Ergebnisse: Die Reliabilität des Instruments liegt bei Cronbachs = .72-.89. Die konvergente Validität bewegt sich zwischen .51-.68 (EDE), und -.07--.33 (RSE), die divergente Validität für die Gesamtskala zwischen .28 (ADS-K), .35 (GSI SCL-90-R) und .44 (GSI BSI). Das ASI-R ist diskriminant valide in Bezug auf Geschlecht und spezifische psychische Störungen. Faktorenanalysen bestätigen die Konstruktvalidität in einer studentischen Stichprobe und einer Stichprobe von Personen mit kosmetisch-medizinischem Behandlungswunsch. Schlussfolgerung: Das ASI-R ist geeignet, Überzeugungen über das Erscheinungsbild reliabel und valide zu erfassen. Die Unterteilung in selbstevaluative und motivationale Aspekte scheint nur für Studierende, Personen mit körperdysmorphen Störungen und Personen mit einem Wunsch nach kosmetisch-medizinischer Behandlung relevant zu sein. Schlüsselwörter: Körperschema, Investition in das Erscheinungsbild, Überzeugungen über Erscheinungsbild, körperdysmorphe Störung, Esstörungen
(Un)Endlichkeit des Fortschritts: Die Dialektik des Werdens
Šum JOURNAL FOR CONTEMPORARY ART CRITICISM AND THEORY, 2022
Ist menschliche Entwicklung gleichzusetzen mit Fortschritt? In Anlehnung an Gramsci führt eine Unterscheidung zwischen dem Werden als allgemeinem Prozess der menschlichen Entwicklung und dem Fortschritt als Beurteilung dieser Entwicklung als "immer besser" zu einer Untersuchung der kulturellen Evolution im Lichte der planetarischen Krisen. Mit dieser expansiven Sicht auf die menschliche Zivilisationsgeschichte wird die Dialektik des Werdens als ökologisch sensible Erweiterung der Dialektik der Aufklärung vorgeschlagen - um das zerstörerische Potenzial des gegenwärtigen Weges der zivilisatorischen Entwicklung zu betonen und dann zu fragen, ob eine Abkehr möglich ist.
Werden, Bewegung und Veränderung.
Ausgehend von der Veränderung wahrnehmbarer Gegenstände unserer Umwelt führt diese Schrift in einige Grundfragen der Philosophie ein. Nach einer Unterscheidung der verschiedenen Arten von Veränderung und Bewegung werden, ausgehend von der aristotelischen Definition der Bewegung, die Theorien von Akt und Potenz sowie von Form und Materie vorgestellt. Weiterhin werden die Unterschiede von Substanz und Akzidenz sowie von Wesenheit und Existenz auf der Grundlage der aristotelisch-thomistischen Philosophie erläutert. Abschließend wird nach den Ursachen der Veränderung und des Werdens gefragt und die Antwort durch die Vier-Ursachen-Lehre gegeben. Diese Einführung richtet sich besonders an philosophisch Interessierte und an Studierende der Philosophie im Grundstudium.
Vom Wachsen und Werden im Prozess der Trauer
2015
Leben und Tod gehören zusammen, heißt es, und wir Menschen nicken bei diesen Worten wissend und zustimmend. Bricht jedoch der Tod wirklich und real, also nicht denkerisch und irreal, ins eigene Leben ein, wird das bisher Gedachte und Dagewesene gleichsam außer Kraft gesetzt. Routinen und Gewohnheiten lösen sich schlagartig auf. Träume und Pläne werden zerschlagen. Hinter die gemeinsame Vergangenheit wird ein endgültiger Punkt, ein Ausrufezeichen gesetzt. Aus! Schluss! Vorbei! Für immer! Nichts kann mehr hinzugefügt werden. Endgültige, vollendete Vergangenheit. Das distanzierende Denkwissen weicht einem gefühlten Erfahrungswissen. Der Zurückbleibende wird durch den Tod aufgerufen-ja, gewissermaßen gezwungen-, in ein neues Leben einzutreten, eine neue Zukunft zu entwerfen, auch wenn dies manchmal und zunächst kaum vorstellbar erscheint. Für viele Trauernde ist dieser Weg ins neue Leben schmerzhaft und kräfteraubend. Es ist ein Auf und Ab in den Gefühlen. Es ist ein Zurückwollen und doch Weitergehenmüssen. Es ist ein erzwungenes Ja-sagen-Müssen zu etwas, wofür der Mensch in seinem Herzen vielfach nur ein Nein hat. Wie intensiv ein Mensch trauert, wie lange die Trauer anhält, wie sehr sie sein Leben beeinträchtigt oder vielleicht streckenweise sinnlos erscheinen lässt, ist weder vorhersehbar noch berechenbar. Wir möchten Trauer vor diesem Hintergrund als eine zutiefst individuelle, spontane, nachhaltige, den ganzen Menschen