Erzähltes Leben – erzähltes Geschlecht? (original) (raw)
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Narration und Geschlecht: Texte, Medien, Episteme
2006
Die Beiträge dieses Bandes untersuchen narrative Strukturen und narratologische Konzepte in ihrer Relevanz für die Konstitution von Geschlecht. Erzählen wird dabei als eine Form des doing gender verstanden, das medienübergreifend in zahlreichen Diskursen und Epistemen wirksam ist. Der analytische Blick auf Aspekte des Performativen richtet sich dabei auf das Verhältnis von Narration und Geschlecht in Literatur, Film und Fernsehen wie auch in wissenschaftlichen Diskursen, die – insofern sie sich auf zeitliche und räumliche Strukturen sowie Handlungsabläufe beziehen – ebenfalls Schauplätze des Narrativen sind. Hierbei ergeben sich sowohl theoretische Schnittstellen mit einer kulturwissenschaftlich orientierten Narratologie als auch spezifische Neuansätze in medialen und epistemischen Fragen.
Die Sozialisation des Erzählens
1994
Fragestellung der Fallanalyse Die Fallanalyse steht unter der Fragestellung, welches die Prozesse der sozialen Interaktion zwischen Mutter und Kind beim gemeinsamen Bilderbuchlesen sind. In diesen Prozessen lernt das Kind, soziale Beziehungen und die in Medien verwendeten Symbole zu verstehen. Die Fallanalyse richtet sich auf die sozial-kognitiven Voraussetzungen und die sozial-interaktiven Bedingungen des kindlichen Aufbaus von Medienkompetenz. Die inhaltliche Fragestellung grenzt das ein, was der zu rekonstruierende Fall ist. Idealiter ist der Fall die Totalität des vorliegenden Textes und der ihm zugrunde liegenden Regeln. Realiter kommt jedoch nur ein Ausschnitt dieser Totalität in den Blick, der durch das theoretische und inhaltliche Erkenntnisinteresse eingegrenzt wird. In diesem Sinne ist unser Fall das interaktive Geschehen des gemeinsamen Bilderbuchlesens einer Mutter und ihres Kindes. 1 Unser herzlicher Dank für anregende Diskussionen und wertvolle Hinweise gilt Stefan Aufenanger, Michael Barth, Klaus Neumann-Braun, Christian Roesler sowie Ulrich Oevermann und den Teilnehmern an dessen Seminar im Frühjahr 1990. 2 Vorbemerkungen zum methodischen Vorgehen Gegenstand der Analyse ist das Protokoll eines Filmausschnitts. Die Videoaufnahme zeigt eine Mutter mit ihrem Kind, die gemeinsam ein Bilderbuch anschauen. 2.1 Zur Vorgehensweise der fallanalytischen Rekonstruktion von Interaktionsstrukturen Mit einer struktural-hermeneutischen Fallanalyse soll die sequentielle, interaktive Konstitution von Sinnstrukturen rekonstruiert werden. Bei der Anwendung dieser Methode gehen wir davon aus, daß soziales (Sprech-) Handeln nur in gegebenen Kontexten Bedeutung gewinnt, also über Sinnzusammenhänge strukturiert wird.
Die (autobiografische) Provokation der Genres : Geschlecht und Gattung rhetorisch verfasst
2010
Die (autobiographische) Provokation der Genres. Geschlecht und Gattung rhetorisch verfasst l AnnaBabka Die Frage der literarischen Gattung ist keine formale Frage: sie verschränkt sich mit dem Mt)tiv des (7/'selzes überhaupt, [ ... ] der sexuellen Differenz zwi,chen männlichem und weiblichem Geschlecht (genre), de,; Hymens zwischen beiden, dem Motiv einer beziehungslosen Beziehung zwischen beiden. einer Identität und einer Differenz zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen Jacques Derrida ,.Die Frage der literarischen Gattung ist keine formale Frage [.,. J" ~. so beginnt Derrida seine Reflexion in und auf ,.Das Gesetz der Gattung". Ausgehend von einer signifikanten Verwobenheit der Gattung mit dem , Moti v des Gesetzes' denkt er die Frage weiter. Er schreibt von einer losen Beziehung, wenn er "beziehungslos" und ,,Beziehung" verbindet und die Kategorien der Identität und Differenz an dieses Wortspiel anschließt. Mit im Spiel ist zugleich die Verbindung zwischen dem weiblichen und dem männlichen Geschlecht (genre), und mehr eng als lose scheinen die Zusammenhänge zwischen Geschlecht und Gattung zu sein, wenn nicht sogar entscheidend verschränkt-doch wie geartet? Identisch und different zugleich, rhetorisch, sprachlich verfasst, vielfaltig figuriert und nicht zuletzt etymologisch perspektiviert, weil sich das Wortfeld von "Geschlecht, Art, Gattung" von lateinisch genus ableitet. auf das auch das französische genre zurückgeht. Derridas Fragehorizont zum Gesetz der Gattung ist weit gespannt. und mannigfaltig erscheinen die Gründe, die Frage der Gattung mit der frage des Geschlechts zu verbinden, den Gesetzmäßigkeiten dieser Kategorien nachzugehen-wie es auch Mary Jacobus formuliert, wenn sie, der Logik der Verwobenheit von Gender und Genre folgend, Derridas "Gesetz der Gattung" auf das "Gesetz von Gender" umlegt. 2 Den beiden "Gesetzen" haftet ein Unbehagen an, das sich schon im ersten Satz von Derridas "Gesetz der Gattung" ankündigt: ,.Die Gattungen nicht vermischen" (202). Dieser Imperativ ohne Ausrufe-Vgl. zu diesen Ausführungen auch Anna Babka, Gender / Genre-(in)~troilhle und Babka. Unterbrochen. Vgl. Denida, Das Gesetz der Gattung und Mary Jacobus, The WW ofl and Gemler Auf der Basis postfeministisch-dekonstruktiver Theorieansätze argumentierend geht es mir im Folgenden nicht um die Vergeschlechtlichung kultureller Formen bzw. die Verwobenhcit eines bestimmten Genres. wie dem der Autobiographie, mit einem bestimmten Geschlecht sondern um die rhetorische Veifasstheit von Genre I Gender als identität'iStiftende und zugleich disseminierende Kategorien.
Erzählen statt Erzähltwerden - Überlebende als Autoren ihres Zeugnisses?
Sonja Knopp/Sebastian Schulze/Anne Eusterschulte (Hg.): Videographierte Zeugenschaft. Ein interdisziplinärer Dialog, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft, 2016
In seinem 1997 veröffentlichten Beitrag über »Die Memoiren Überlebender« 2 hebt Jan Philipp Reemtsma eine bemerkenswerte Beobachtung im Umgang mit den Zeugnissen Überlebender der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie hervor, nämlich dass man dieser neuen Literatur von Autorinnen und Autoren, die nicht über fremdes oder gar erfundenes, sondern über ihr eigenes Leid schreiben, eine scheinbar uneingeschränkte Autorität einräumt. Die autobiographischen Texte von Primo Levi, Ruth Klüger oder Jorge Semprún sind für ihn »Ausdruck einer Leides-, Schmerz-und Überwältigungserfahrung« 3 , der höchst subjektiv, eben autobiographisch und somit zunächst ganz und gar nicht literarisch motiviert ist. Dennoch -und dies hebt Reemtsma hervor -wird den Autorinnen und Autoren »gerade aus diesem Grund eine Deutungsautorität zugesprochen« 4 . Eben das ist neu in der literarischen Darstellung von Leiden, die bisher -literaturgeschichtlich -zumeist über das Ansehen von Autorinnen und Autoren zu literarischem Ruhm gelangte, die mit dem beschriebenen Leid nichts zu tun hatten und sich so ganz auf die ästhetische Ausarbeitung der Darstellung zu konzentrieren vermochten. 5 Was dagegen die von der erzählten Geschichte selbst gezeichneten Überlebenden heute schreiben, beansprucht eine ganz eigene, ungeahnte Autorität: 1 Zeugnis von Shmuel B., Beer Yaacov, 27. 4. 2003, Interviewer: Dori Laub, Oshrit Ben Ari. Im Folgenden im direkten Textzusammenhang zitiert unter Nennung des Transkriptabschnitts und der Seite. Die Zitate werden der englischen Transkription des hebräischen Interviews von Esti Pelled, Universität Haife, entnommen. 2 Jan Philipp Reemtsma, »Die Memoiren Überlebender. Eine Literaturgattung des 20.
Queere Lesarten des Buchs Ruth und der Schöpfungsberichte
Hanna Rohn/Lisa Scheer/Eva Maria Zenz (Hg.), Frauenin/transFormation. Beiträge zur FrauenFrühlingsUniversität Graz, planetVERLAG, Wien, 2011
Queer Readings of the Book of Ruth and the Creation Accounts The author offers queer readings of two selected texts from the Hebrew Bible, namely ways of reading the Book of Ruth and the two accounts of creation in the Book of Genesis. Her discussion of this biblical story and the creation accounts shows the diversity of possible queer interpretations based on particular understandings of queer or on different approaches to the queer theory. Referring to the Book of Ruth, the authors explains why certain biblical passages are especially suited to queer appropriation for lesbian, bi-sexual and polyamorous midrashim and ceremonies (1.1.). She describes the blurring of sexually defined roles in the Hebrew Bible (1.2.). She offers a line of argument analogous to a biblical Halakha for queer persons today (1.3.). In connection with the creation stories, queer readings are presented in accordance with approaches of the queer theoreticians Monique Wittig and Judith Butler (2.1.). Finally, the author points to the interpretation of a biblical figure as androgynous (2.2.) To concentrate exclusively on the issue of sexuality (in connection with queer) is a result of contemporary concerns. In conclusion, she deals with the striking points of overlap between the blurring of sexually defined roles, ethnicity, religion, age, survival and power(lessness) in the Book of Ruth and her queer re-reading of Gen 1:27 in reference to the creation of humankind. Ich liefere queere Lektüren zweier ausgewählter Texte der Hebräischen Bibel, nämlich Lesarten des Buchs Ruth und der beiden Schöpfungsberichte des Buchs Genesis. Anhand meiner Diskussion dieser biblischen Erzählung und Berichte zeige ich die Vielfalt möglicher queerer Interpretationen, die sich auf bestimmte Auslegungen von queer bzw. auf verschiedene Ansätze der Queer-Theorie gründen. Auf das Buch Ruth bezugnehmend erkläre ich, warum sich bestimmte biblische Textstellen für queere Aneignungen durch lesbische, bisexuelle und polyamore Midraschim und Zeremonien besonders anbieten (1.1.). Ich lege das Verschwimmen sexuell definierter Rollen in der Hebräischen Bibel dar (1.2.). Ich liefere die einer biblischen Halacha analoge Argumentation für heutige queere Personen (1.3.). Im Zusammenhang mit den Schöpfungsberichten werden queere Lesarten anhand von Ansätzen der Queer-Theoretikerinnen Monique Wittig und Judith Butler vorgeführt (2.1.). Und zuletzt weise ich auf die Auslegung einer biblischen Figur als androgyn hin (2.2.). Sich allein auf das Thema Sexualität (im Zusammenhang mit queer) zu konzentrieren, entspringt einer Fragestellung der Gegenwart. Zum Schluss komme ich auf die auffallenden Überschneidungen vom Verschwimmen sexuell definierter Rollen, Volkszugehörigkeit, Religion, Alter, Überleben und (Un)Vermögen im Buch Ruth und auf meine queere Relektüre von Gen 1,27 bezüglich der Erschaffung der Menschheit zu sprechen.
„Erzähl uns deine Erdgeschichte!“ Narrative Identität im Anthropozän
2020
Kreisen auf positive Resonanz stoßen kann. Es ist daher nicht abwegig, dass auch die Erdgeschichte in den Sog postfaktischer Tendenzen gerät-insbesondere im Rahmen von Konstrukten, die von Skeptikern oder Leugnern des menschengemachten Klimawandels verwendet werden. 3 "Erzähl uns deine Erdgeschichte!" Meine Intention, mit dieser Aufforderung die folgenden Gedankengänge zu überschreiben, ist eine andere. Sie lässt sich erschließen, wenn man der Irritation nachgeht, die sich durch die Anklänge der Naturgeschichte an die eigene Lebensgeschichte ergibt. Die Bitte an jemanden, seine Geschichte zu erzählen, zielt ja offensichtlich auf dessen Biographie. Sie soll dazu verhelfen, mehr über ihn zu erfahren, ihn kennenzulernen, seine Herkunft nachzuvollziehen und den Weg, den er bisher gegangen ist. Es geht darum, von signifikanten Begegnungen zu hören und prägenden Ereignissen. Mit anderen Worten: Auf diese Weise erhofft man sich Verständnis von der Identität einer Person. Erzähl mir deine Geschichte und ich weiß, wer du bist-oder doch wenigstens mehr, als sich durch Beobachtung, Messung und Erklärung herausfinden lässt. Die Überzeugung, dass Identität primär narrativ zu verstehen ist, findet sich nicht nur implizit im lebensweltlichen Umgang miteinander, sondern lässt sich auch als veritable Position in Philosophie und Psychologie explizieren. In meinem Beitrag folge ich einer bestimmten Interpretation aus der mittlerweile großen Bandbreite narrativer Identitätstheorien. Durch den Untertitel Narrative Identität im Anthropozän möchte ich den im Titel angedeuteten irritierenden Zweiklang von Erd-und Lebensgeschichte bewusst verstärken. Denn hier setzt die These meines Beitrags an: Im Anthropozän zu leben heißt auch (neben vielem anderen), dass die eigene Lebensgeschichte nicht mehr ohne Bezug auf die Erdgeschichte zu erzählen ist. Wer sich selbst verstehen will und bei diesem Verständnisprozess auf Erzähltechniken zurückgreift, muss auch unseren Planeten miteinbeziehen. Nimmt man diese These einer im Anthropozän unhintergehbaren narrativen Relation des Menschen zur Erde ernst, dann stellt sich allerdings beiläu