Die Erinnerung und ihre Kritiker/innen (original) (raw)
„Der Holocaust hat keinen Platz im deutschen Familiengedächtnis“. Oder: „Deutschland schafft sich nicht selbst, sondern seine Tätererinnerung ab“. Mehr noch frappiert die Aussage, dass „Auschwitz und die Kristallnacht zum gemeinsam durchlittenen, romantisiert verklärten Horror von Juden und guten Deutschen gegen die bösen gesellschaftlichen Mächte“ wurden. Schenkt man Kritikern wie Harald Welzer, Max Czollek oder Michal Y. Bodeman Aufmerksamkeit, sieht man sich mit zum Teil verblüffenden Aussagen zur kollektiven Erinnerung an den Holocaust konfrontiert. Worauf stützen sich diese Auffassungen, und welche Argumente können dagegen ins Feld geführt werden? Diese Arbeit setzt sich mit der kollektiven Erinnerung, der Erinnerungskultur und ihren Kritikern auseinander. Sie ist in drei Teile gegliedert: Der erste Teil versteht sich als theoretischer Zugang über den Begriff des kollektiven Gedächtnisses und widmet sich der Frage, in welchem argumentativen Zusammenhang dieses bei der Gedächtnisforscherin Aleida Assmann eingebettet ist. Da mein Interesse der Erinnerung an den Nationalsozialismus und insbesondere an den Holocaust gilt, wird im zweiten Teil die Frage im Fokus stehen, wie das kollektive Gedächtnis einer deutschen Trägerschaft diese Erfahrung gespeichert hat. Zu diesem Zweck ziehe ich die vom Forschungsteam um Harald Welzer geführten Interviews mit Zeitzeugen und deren Nachfolgern heran. Basierend auf daraus resultierenden Forschungsergebnissen führe ich Haupteinwände gegen die Erinnerungskultur an und gehe auf die eingangs erwähnten provokativen Äußerungen ein. Aleida Assmanns Antwort auf diese Einwände runden das Vorhaben ab, womit die Erinnerungskultur „rehabilitiert“ und die Ansicht vertreten wird, dass die Anfechtung derselben auf einer antidemokratischen Grundannahme basiert.
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2021
The author attempts to approach the problem of remembering Austria's Nazi-past on both, a structural-social as well as on an individual-biographical level. After 1945, a collective memory has been institutionalized in Austria which understands national socialism as a system not belonging to the country's history. This process of "externalizing" national socialism can be a structuring resource for the work of individual remembering. By such means, emotional bonds and those of identification which were built up within different roles and in the adoption of certain ideas of the Nazi-regime are excluded from the reflexive conscience. On the basis of a case study, the article attempts to show in what ways the problem of the general culture of memory is represented in the problem of individual remembering and forgetting. To make terminologically plausible the relation between collective and individual aspects of memory, the author extends the socio-structural approach by...
1984
Der ägyptische Begriff Maat verdankt WOLFHART WESTENDORF vielfältige Aufhellung. 1' So darf die folgende Studie das Interesse des Jubilars er warten, auch wenn sie ganz im Gegensatz zu seinen eigenen Arbeiten auf diesem Gebiet keine neuen Entdeckungen zu bieten hat und sich auf dem Boden wohlbekannter Textstellen bewegt. Meine Überlegungen zur Maat sind aus dem Versuch heraus erwachsen, anhand einer Analyse dieses Be griffs oder besser: Prinzips die umfassende sinnfundierende Funktion der Religion, nicht im, sondern als Rahmen der altägyptischen Kultur v.j_... 2) edtg ':t?3 deutlich zu machen.
Gewalt, Erinnerung, Darstellung
2018
Das Werk des sudafrikanischen Zeichners, Filme- und Theatermachers William Kentridge ist sowohl als kunstlerische Praxis wie als intellektuelle Reflexion und politische Intervention im Horizont eines asthetischen Widerstands zu begreifen. Ausgehend von Benjamins Postulat der Unbrauchbarkeit emanzipativer Kunst fur totalitare Zwecke werden in diesem Beitrag Prinzipien einer Freudschen Asthetik der Assoziation skizziert, wie sie fur das Zusammenspiel von biographischer Erinnerung, historisch-politischem Kontext und kunstlerischer Praxis wichtig sind. Anhand des gezeichneten Films Felix in Exile (1994) wird dann Kentridges kunstlerische Verarbeitung von Gewalterfahrungen erortert, in der sich autobiographische und historische, kunstlerische und dokumentarische Dimensionen mit einer medialen Reflexion der asthetischen Mittel innerhalb des kunstlerischen Arbeitsprozesses uberkreuzen.
Bewahren – Vergessen – Erinnern
Außerordentliches, 2019
BEWAHREN-VERGESSEN-ERINNERN VON DER AUFGABE EINER ERINNERUNGSKULTUR AM BEISPIEL DER RABBINISCHEN TRADITION Es ist mir naturgemäß eine große Ehre, meinem verehrten Kollegen, Freund und langjährigen Weggefährten am Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte, Albert Lichtblau, einen Beitrag zu seinem Geburtstag zu widmen. Albert Lichtblaus Expertise, seine umfassenden Studien in den Bereichen Erinnerungskultur, Oral History und Genozidforschung, paaren sich mit einer herausragenden Persönlichkeit, der im positivsten Sinne jegliche Allüre fehlt und die in so erfrischender Weise hemdsärmelig daherkommt, wie es für wahrhaft große Wissenschaftler, die Eitelkeit nicht nötig haben, vorbildlich ist. Über sechs Jahre haben wir gemeinsam am Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte in Salzburg gearbeitet, kannten uns längst vorher, haben dieses Zentrum mit einer Reihe von Kolleginnen und Kollegen aufgebaut. Im folgenden Beitrag möchte ich ein Thema aufgreifen, das Albert Lichtblau seit Langem beschäftigt, Erinnerung. An wenigen Beispielen versuche ich, ein paar Impulse dazu aus meinem Fach zu geben, der Judaistik mit Schwerpunkt auf rabbinische Literatur. Ich beginne mit einer Erzählung: Es war einmal ein reicher, frommer, aber kinderloser Mann. Auch im fortgeschrittenen Alter hörte er nicht auf, um einen Sohn bei Gott zu bitten. Nach vielen Gebeten wurde er schließlich erhört und bekam tatsächlich den ersehnten Sohn. Er erzog ihn im Sinne der Tradition und trug ihn auf seinen Schultern zum Lehrhaus. Er gab dem Lehrer den Rat, seinem Sohn das biblische Buch Genesis nahezubringen, jenes Werk, das von der Ehre Gottes handelt, des Schöpfers der Welt und Erhalters aller Völker. Als der Sohn größer wurde und sich bereits allein auf den Schulweg machte, fiel er Räubern in die Hände, die ihn in ein fremdes Königtum brachten, das Buch Genesis in Händen. Als der Knabe sich bereits einige Jahre als Sklave am Königshof aufhielt, erkrankte der König des Reiches. Er wünschte, dass man ihm ein Buch aus der Bibliothek bringe. Die Wahl fiel durch Zufall auf Genesis. Da aber keiner am Hof dieses Buch zu lesen und auszulegen vermochte, holte man den Jungen, der schließlich vom König reich belohnt wurde und wieder nach Hause zurückkehren durfte. Diese Geschichte, hier kurz nacherzählt, wird in einem mittelal
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Jakob Tanner, Die Krise der Gedächtnisorte und die Havarie der Erinnerungspolitik. Zur Diskussion um das kollektive Gedächtnis und die Rolle der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges, in traverse, Zeitschrift für Geschichte, Revue d‘histoire, Zürich 1999/1, S. 16-37., 1999