Topos und Utopik bei Sidney Corbett Betrachtungen zum Werk Utopie und Nähe für Violine und 6 Stimmen mit Texten von Ernst Bloch (original) (raw)

Die Arbeit mit kompositorischen Topoi–eine Diskussion

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Linda Maria Koldau (Frankfurt am Main) Der Vortrag Filmmusik als "Baukastenprinzip": Kompositorische Traditionen und ihre Wirkung im Film, der das 2. Kieler Symposium zur Filmmusikforschung am 11. Juli 2008 in Kiel eröffnete, gab Anlass zu ungewöhnlich heftiger Diskussion zwischen Vertreterinnen und Vertretern der Musikwissenschaft. Da es aus Zeitgründen nicht möglich war, in notwendiger Differenzierung auf die Kritik der Fachkollegen einzugehen, soll die Diskussion hier dokumentiert werden. Der Vortrag selbst, der einen neuen Ansatz in der Analyse von Filmmusik vorstellt, ist mittlerweile in ausgearbeiteter Form unter dem Titel "Die Arbeit mit kompositorischen Topoi: Eine Analysekategorie der Filmmusik" in der musikwissenschaftlichen Fachzeitschrift Archiv für Musikwissenschaft (2008) erschienen. Die Beispiele, die hier nur kurz umrissen werden, sind dort ausführlich analysiert. Da der Begriff des "Baukastenprinzips" trotz differenzierender Erläuterung im Vortrag zu Missdeutungen geführt hat, wird im Folgenden von "musikalischkompositorischen Topoi" gesprochen; diese Begriffswahl wird im genannten Aufsatz genauer erläutert. 1 Grundlage des Eröffnungsvortrags ist ein Ansatz, in dem Filmmusik auf ihre kompositorischen Mikrostrukturen hin untersucht wird. Da es hier nicht um Fragen eines Personalstils, einer bestimmten Filmepoche oder einer speziellen Filmmusikschule geht, sondern um die grundsätzliche Frage nach Traditionen und Konventionen in der westlichen Musiksprache, die sich in der Komposition von Filmmusik bis heute fortsetzen, wurden Beispiele aus Filmen ganz unterschiedlicher Genres, Entstehungszeiten und Inhalte ausgewählt. Berücksichtigt wurden Filmmusiken, die sich an die klassische Tradition der westlichen Musik anlehnen; ausgeklammert wurde ethnisch geprägte Musik, die eigenen Traditionen folgt und in Filmen häufig geographisch-kulturelle Verweisfunktion besitzt. Vorgestellt wurde die semantische Belegung spezifischer kompositorischer Strukturen am Beispiel von Ostinati und der Mikrostruktur der kleinen Sekunde. Dabei wurde mehrfach hervorgehoben, dass eine derartige "Mikroanalyse" eines speziellen 1 Ebenso finden sich in dem Aufsatz ausführliche Hinweise auf Sekundärliteratur aus der Filmmusikforschung und der Musikwissenschaft, die auch im Literaturverzeichnis zu diesem Beitrag aufgeführt sind. Kieler Beiträge zur Filmmusikforschung, 3, 2009 / 23 filmischen Elements selbstverständlich der Kontextualisierung und Einbindung in das filmische Ganze bedarf. Diese Einbindung kann die Deutung von kompositorischen Traditionen zu einem gewissen Grad relativieren; häufig zeigt sich jedoch, dass der Rückgriff auf bestimmte Strukturen und Konventionen in der Komposition zur Intensivierung der filmischen Aussage beiträgt und dass es deshalb in der Erforschung von Filmmusik sinnvoll und notwendig ist, eben diese Strukturen im Detail auf Traditionen ihrer Verwendung, die damit verbundene semantische Belegung und ihren Einsatz im Film zu untersuchen. Die Thesen dieses Vortrags stießen auf verschiedene Einwände von Seiten der Fachkollegen, die im Rahmen der vorliegenden Dokumentation nun ausführlicher diskutiert werden können. Als erster Einwand wurde angeführt, dass die Diskussion um die Bedeutung von Musik alt sei und dass sie letzten Endes zu nichts geführt habe. Dem ist erstens entgegenzuhalten, dass diese Frage, und zwar in detailliertem Eingehen auf spezifische musikalische Strukturen, in der Filmmusikforschung bislang nicht gestellt worden ist -demnach ist sie in der Erforschung von Filmmusik also keineswegs "alt". Gerade in einer künstlerischen Gattung, in der das Zusammenwirken sämtlicher inhaltlicher, visueller, akustischer und technischer Parameter auf das Erzeugen einer speziellen Bedeutung abzielt, ist es sinnvoll, die Frage nach dem Ausdrucksgehalt von Musik neu zu stellen. Zweitens aber hält die Aussage, dass die Diskussion um die Bedeutung bzw. den Ausdrucksgehalt von Musik "zu nichts geführt" habe, einer Überprüfung an der Forschungsgeschichte nicht stand, da sie die Arbeit der Systematischen Musikwissenschaft auf diesem Gebiet außer Acht lässt. Über den inhaltsbezogenen Hermeneutikbegriff von Hermann Kretzschmar und Arnold Schering -der unter Einbeziehung philosophischer und rezeptionsästhetischer Überlegungen längst zu einem offenen Konzept von Hermeneutik als "eine[r] bewegliche[n] und dennoch verbindliche[n] Basis für den Vollzug musikalischer Verstehensprozesse" 2 geführt hat -lässt sich zweifellos diskutieren, ebenso über jüngere Deutungsansätze, die spätere Strömungen repräsentieren. Gleichwohl greifen diese Deutungsmuster auch in der ursprünglich von Kretzschmar und Schering vorgestellten Form auf jahrhundertealte kompositorische Traditionen, Topoi und Konventionen zurück, sie sind also historisch begründet. Eine pauschale Ablehnung hermeneutischer Verfahren in der Analyse und Deutung von Musik schreibt die im 19. Jahrhundert entwickelte Ästhetik einer "absoluten Musik" fort, die in der Musikwissenschaft längst differenziert betrachtet wird. Insbesondere die Filmmusikforschung verlangt nach einer offenen musikwissenschaftlichen Betrachtungsweise, da diese Kunstgattung in hohem Maße den Ausdrucksgehalt sämtlicher visueller und akustischer Elemente fordert und ausschöpft. Eine Weigerung, hermeneutische Verfahren in die Analyse von Filmmusik zu integrieren, würde eine entscheidende Ebene in der Deutung von Filmmusik und ihrem Zusammenwirken mit den anderen filmischen Parametern ausblenden. Hier ist demnach die Offenheit gefragt, viel diskutierte Ansätze der Musikwissenschaft in eine andere Kunstgattung zu überführen, die stark auf dem Einsatz und der Wirkung von Musik beruht und kompositorische Konventionen -gerade auch in der Deutung außermusikalischer Inhalte -gezielt einsetzt. 2 Mauser 1993, S. 47. Kieler Beiträge zur Filmmusikforschung, 3, 2009 / 24 Die im Vortrag erläuterten Beispiele der Verwendung von Ostinati in der Filmmusik wurden dahingehend kritisiert, dass den melodischen Strukturen von Ostinatoformeln letzten Endes kein spezifischer Ausdrucksgehalt zuzuordnen sei. Insgesamt ließe sich der Einsatz von Ostinatotechniken in der Filmmusik allenfalls auf rhythmische Komponenten reduzieren, die zwar antreibend wirken mögen, ansonsten aber keine spezielle Aussage im filmischen Kontext träfen. Hier ist darauf hinzuweisen, dass bestimmte Ostinatoformeln im 17. Jahrhundert mit ganz spezifischen Affekten assoziiert wurden, was sich insbesondere in der Vokalmusik durch die entsprechenden Texte belegen lässt. 3 Zu nennen ist dabei vor allem das absteigende Tetrachord, das in seiner Moll-Version zum "Emblem of Lament" wurde und als Träger von Klagen und traurigen Affekten in zahlreichen Kompositionen bis weit ins 18. Jahrhundert, punktuell auch darüber hinaus, eingesetzt wurde. 4 In Filmen tritt dieser Quartbass häufig an affektiv entsprechend geprägten Stellen auf, sowohl als isolierte musikalische Figur als auch als ostinate Bassformel unter Oberstimmen. Die 9 Flückiger 2001, S. 113, 133.

Topophilie und Topophobie in Stig Sæterbakkens Roman Gjennom natten

AUC Philologica, 2021

This article focuses on the emotional perception of space in Stig Saeterbakken's novel Gjennom natten (2012). Topoanalysis is used to examine the various emotions that the protagonist Karl feels about specific spaces-be it a house, an apartment, a part of an apartment, or a city. It turns out that space serves as a projection surface for Karl's feelings. Therefore, his descriptions of the respective spaces usually coincide with the narrator's mood, and in this sense, topoanalysis allows us to predict and better understand the motivations behind the protagonist's actions. Based on Gaston Bachelard's space concept and Yi-Fu Thuan's terminology, Karl's feelings are classified as topophilia (love of place) and topophobia (fear of place). However, the analysis has shown that the binary opposition topophilia-topophobia is not sufficient for determining the emotions presented and, therefore, the terms "topoaversion" and "topoanimosity" are introduced.

Ritualistische Topoi in Orffs Carmina Burana und Stravinskys Psalmensymphonie

Orff im Wandel der Zeit: Kunst trifft Pädagogik (Orff - Forschung und Diskurse) Anna Maria Kalcher (Herausgeber), 2022

Carl Orffs Carmina Burana ist zweifelsohne sein bekanntestes Werk, vor allem der erste Satz, "O Fortuna" erfreut sich größter Beliebtheit, ruft jedoch ein breites Spektrum an Reaktionen hervor, von Begeisterung bis zur Ablehnung; letzteres vor allem dann, wenn mit dem Werk dessen Verwendung zu Propagandazwecken assoziiert wird. Ein Vergleich mit dem ersten Satz von Stravinskys Psalmensymphonie soll eruieren, welche musikalischen Mittel beide Sätze prägen und wie diese auf Zuhörer*innen wirken. Die Analysen stützen sich dabei auf die amerikanische Topic Theory, die Verbindungen zwischen musikalischen Charakteristiken und deren Ursprüngen in sozialen Kontexten musikalischer Gebrauchsmusik herstellt. Dieser Logik folgend, ist der Aufsatz in drei größere Abschnitte eingeteilt: Zu Beginn stelle ich dar, warum sich der Vergleich mit dem ersten Satz von Stravinskys Psalmensymphonie anbietet (Einleitung). Nach einer kurzen Einführung in die Topic Theory 1 untersuche ich, welche-beiden Sätzen gemeinsamen-musikalischen Charakteristiken anhand der Topic Theory als ritualistische Elemente interpretiert werden können (Analyse). Vor dem Hintergrund aktueller Erkenntnisse aus der Kognitionsforschung sollen die so erarbeiteten Analysen die Frage beantworten, warum, im Gegensatz zu Stravinskys Psalmensinfonie, die Musik von "O Fortuna" so wirkungsvoll für propagandistische Zwecke eingesetzt werden kann (Schlussfolgerungen).

"Das Ganze wiederhohlte sich daher, wie eine wohlgesetzte Musik". Wiederholung als ästhetisches Kompositionsprinzip in K. Ph. Moritz' Roman Andreas Hartknopf Predigerjahre (1790)

Geist lebendig mache. " 3 Dabei handelt es sich um ein leicht variiertes Zitat aus dem zweiten Paulusbrief an die Korinther: "Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig" (2. Kor 3,6), der ebenso als das Motto des ersten Hartknopf-Romans wie mehrmals im Text selbst aufgeführt wird -eine der zahlreichen sinnstiftenden und poetisch wirkungsvollen Wiederholungen in Hartknopf. Freilich berichtet der Abschnitt "Hartknopfs Antrittspredigt" nicht nur von den Worten des Predigers, sondern auch von den sie begleitenden nichtsprachlichen Ereignissen, also vom gesamten Predigtgeschehen. Das Sprachliche und das Nichtsprachliche, Wort und Ereignis, werden hier als eng miteinander verbunden dargestellt -gemäß der Definition der Gattung ,Predigt', mit der die "(zumeist) liturgisch eingebundene, […] an eine bestimmte Hörerschaft (Gemeinde) gerichtete, einen traditionalen (meist biblischen) Sinngehalt in die eigene konkrete Situation vermittelnde und dadurch auf die ,Kommunikation des Evangeliums' zielende religiöse Rede" 4 gemeint ist. Berichtet wird darüber hinaus von einem performativen Akt, genauer gesagt von einer ,Performance/Aufführung' 5 , als welche jede mündlich vorgetragene Rede anzusehen ist. Als Aufführung zeichnet sich Hartknopfs Predigt durch die ,transformative Kraft' aus, die nach Erika Fischer-Lichte generell darin besteht, "eine soziale Wirklichkeit zu schaffen, die es vorher nicht gegeben hat, und Wirkungen auszulösen, welche die Betroffenen in unterschiedlicher Hinsicht zu verwandeln vermögen. " 6 Das Ereignis wird folgendermaßen erzählt: Als Hartknopf die Kanzel bestieg, schwebte sein böser Genius über ihm. Ganz in seinen Gegenstand vertieft, dachte er nicht an das, was über ihm war, und die Länge seines Körpers war Schuld, daß er mit der Stirne gerade gegen

„…wer diese Kunst nicht gerne höret, der ist und bleibt ein Asinus!“ – Der Esels-Topos und seine musikalische Anwendung in Christoph Ludwig Fehres Kantate „Der Schulmeister in der Singstunde“

Nicht erst seit der griechischen Antike gilt der Esel als Inbegriff von Dummheit und Sturheit. In zahlreichen antiken Fabeln ist er als lächerliche Figur dem Gespött der anderen Tiere ausgesetzt. Als „onos lyras“ bzw. „asinus ad lyram“ besitzt der „Esel an der Leier“ zudem den sprichwörtlichen Ruf vollkommener Unmusikalität. Der Komponist Christoph Ludwig Fehre (1718–1772) greift diesen Topos in seiner Kantate Der Schulmeister in der Singschule auf besonders geistvolle wie unterhaltsame Weise auf. In der ursprünglich Georg Philipp Telemann zugeschriebenen Kantate (TWV 20:57) versucht ein eitler Schulmeister mit Hang zur Selbstüberschätzung die ihm anbefohlenen Kinder im Singen anzuleiten, wobei ihm einige Missgeschicke passieren. Formen und Satztypen der damaligen Zeit werden zielsicher eingesetzt, um neben amüsanter Situationskomik auch musikwissenschaftliche Exkurse zur Solmisation oder Seitenhiebe auf berühmte zeitgenössische Komponisten oder antike Lehrmeis-ter thematisieren zu können. Untersucht werden die Ebenen musikalischer Komik und die Art und Weise ihrer musikali-schen Umsetzung. Dazu treten Überlegungen zur Lehrerpersönlichkeit und zum Lehrer-Schüler-Verhältnis in Geschichte und Gegenwart.

"Musik und Gefühl bei Arthur Schopenhauer und Eduard Hanslick," in Musik&Ästhetik 66 (2013): 31–46.

2013

The aesthetics espoused by Schopenhauer and Hanslick, which can be approached after a concept-critical examination of the respective understandings of the connection between feeling and music, are here subiected to critical questioning with reference to their music-historical classification. The similar lines of thought on dynamic emotional aspects in particular, which both authors believe can be represented through musical progressions, are accentuated as a point of systematic intersection. This shows that they do not simply belong to the opposing camps of feeling-based and formal aesthetics, but actually represent a more nuanced musical thinking than they are usually credited with. Overall, the present article seeks to provide the currently immobile specialist discourse with new impulses in order to deal productively with these aesthetic concepts which, primarily in the Anglo-American discourse, are being developed further in a constructive manner.