Die Geheimnisse von Blackthorn Hall (original) (raw)

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Heute startet Cassies Kickstarter Projekt zu “Secrets of Blackthorn Hall”. Sobald wir mehr wissen, melde ich mich bei euch.

kajaono asked:

Hey danke für die Antwort. Aber wieso will sie das Buch als kickstarter rausbringende? Sie hat doch einen Verlag oder? Also… in Amerika wurden sich bisher alle ihre Bücher über einen Verlag veröffentlicht

10.10.2022: Emmas Tagebucheintrag XIV

Lieber Bruce,

bitte vergib mir, falls ich heute ein bisschen nachdenklich wirke. Es ist niemand mehr hier in Blackthorn Hall außer Julian und mir und es herrscht diese friedliche Stille. Julian ist oben in seinem Studio und ich sitze auf dem Bett, schreibe und denke über die vergangenen Monate nach.

Etwas kommt zum Ende, Bruce. Es sind natürlich noch so viele Sachen ungelöst – die Gefahr für Kit, die vom Feenreich ausgeht, und was immer mit der Kohorte in Idris vorgeht. Alec hat minimalen Kontakt zu ihnen, aber wer weiß schon, wie sich das entwickeln wird. Doch zwischen all dem endet etwas für Julian und mich, und ich weiß nicht, was danach kommt.

(Okay, ganz schön dramatisch, oder Emma? Ich weiß ein bisschen. Siehe unten.)

Vielleicht liegt es daran, dass die Bauarbeiter weg sind und ich mich an die Geräusche gewöhnt hatte, die sie rund um die Uhr gemacht haben. Round Tom hielt uns eine lyrische Abschiedsrede, die a) ganze fünf Minuten dauerte, was eine lange Zeit für jemanden ist, um sich zu verabschieden, und b) sehr freundlich war, aber gleichzeitig auch den Satz beinhaltete: „Aufregung und Abenteuer sind eure nahen Begleiter und ich bin nur ein einfacher Hersteller von Unterkünften, und so hoffe ich, dass ich keinen von euch jemals wieder treffe, so lange ich lebe.“

Julian war davon angefressen. Ich wies darauf hin, dass Feenwesen nicht lügen, und er meinte, dass Round Tom das alles gar nicht hätte erwähnen müssen. Womit er recht hat. Julian sagte außerdem, dass Toms normale Arbeiten für die Mitglieder der Höfe auch nicht gerade ohne Dramen verlaufen. Ein weiteres gutes Argument von Jules. Feenwesen sind die dramatischsten Schattenweltler. Dramatischer als Vampire, und die verbringen ihre ganze Zeit damit zu sagen: „Oh, ich bin untot, wie verflucht ich doch bin, lass mich mehr Kajal auftragen.“

Aber wir hatten nicht vor, enge Freunde mit Round Tom zu werden. Er hat gute Arbeit geleistet und war sehr höflich, während er sagte, dass er froh sei, von diesem Haus wegzukommen.

Sobald er und seine Crew weg waren, spazierten wir ein bisschen durch die Gärten, aber Julian meinte, er hätte jedes kleine Detail des Hauses und der Gärten in seinem Gehirn eingemeißelt, also ließen wir das Haus für eine Weile zurück und gingen runter zum Fluss.

Auf dem Chiswick gegenüberliegenden Themseufer gibt es einen kleinen Park; es ist ein Naturschutzgebiet namens Leg o‘ Mutton Reservoir[1]und es gibt dort einen schönen Weg um das Gebiet herum. (Ist es nicht das englischste, das du jemals gehört hast? Warum ist so vieles in London so charmant?) Es ist ein bisschen umständlich, da wir eine ganze Meile[2]zur Barnes Bridge laufen müssen, nur damit wir auf die andere Seite des Flusses gelangen, aber es war ein angenehm warmer Abend und es war schön, spazieren zu gehen. Julian und ich schlenderten gemütlich nebeneinander her, eine meiner Lieblingsbeschäftigungen.

Julian machte ein paar Sandwiches mit kaltem Hühnchen und wir nahmen sie zusammen mit etwas Limonade mit. (Bruce, ich habe eventuell eine gefährliche Abhängigkeit von britischer Limonade entwickelt. Ich bin mir sicher, dass man auch welche in Los Angeles bekommt, oder? Oder?!) Wir setzten uns am Rande des Reservoirs auf eine kleine Decke und beobachteten Kormorane, die nach Fischen tauchten.

Ich fühlte mich entspannt und friedvoll, also war es natürlich der perfekte Zeitpunkt für mich, das alles dadurch zu ruinieren, dass ich ein schwieriges Thema ansprach. Ich war zu entspannt, um mich daran zu erinnern, darüber besorgt zu sein. Ich sagte so etwas wie: „Es ist so schön hier. Aber …“ Julian sah zu mir hinüber, nicht sorgenvoll, aber neugierig, also meinte ich: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich immer in London leben möchte. Ich weiß, wir haben viel Zeit und Mühe und Geld aufgewendet, das Herrenhaus deiner Familie wieder herzurichten.“

Ich dachte, Julian würde wütend oder traurig sein, also war ich nicht auf seine tatsächliche Reaktion vorbereitet, welche ich als verdutzt beschreiben würde. „Ich habe niemals gedacht, dass wir die ganze Zeit hier leben würden“, sagte er, als ob er nie auch nur den Gedanken gehabt hätte. „Ich hatte angenommen, dass wir unsere Zeit zwischen L.A. und hier aufteilen würden. Aber nur, wenn du das möchtest.“

Ich weiß nicht, warum er den letzten Teil gesagt hat, weil er doch hoffentlich sehen konnte, dass ich nicht mehr besorgt aussah, sondern eher so, als ob ich ihn küsste wollte. „Du meinst halb und halb?“, fragte ich.

Er zuckte mit den Schultern. „Wie auch immer wir es wollen. Los Angeles, wenn es hier kalt und regnerisch ist, London, wenn es dort heiß und brennend ist.“

Ich habe ihn dann geküsst, also überspringe ich die nächsten fünf Minuten oder so, weil dich das sicher nicht interessiert, Bruce. Es gab viele Küsse, die nach Limonade schmeckten und schließlich küsste Julian mein Ohr (was mir einen Schauder über den Rücken jagte) und sagte: „Wo immer du bist, ist mein Zuhause, das weißt du doch, oder?“

„Sicher“, sagte ich, weil es süß und romantisch von ihm war, so etwas zu sagen. Aber er sah sehr entschlossen aus.

„Nein, ich meine …“ Er schüttelte den Kopf. „Es ist ja nicht so, dass wir unsere Zeit zwischen meinem Zuhause hier in London und deinem Zuhause in L.A. aufteilen würden. Ich habe auch ein Zuhause in Los Angeles. Und du hast ein Zuhause hier. Blackthorn Hall gehört meiner Familie und du, Emma, bist meine Familie. Und wir …“, er sah mich entschlossen an, „werden für immer zusammen sein. Es sei denn, du möchtest das nicht. Du bist die Einzige, für die ich jemals romantische Gefühle hatte, Emma. Und ich möchte, dass das für den Rest meines Lebens wahr bleibt.“

Ich musste nicht lange darüber nachdenken. „Das möchte ich auch“, erwiderte ich.

Ich hatte schon zuvor darüber nachgedacht, was es bedeuten würde, wenn wir uns verlobten, aber dafür ist es noch zu früh. Diese Art von Bindung, diese Versprechen, fühlen sich richtig und echt an.

Daraufhin lächelte er und atmete aus, als ob er ein bisschen nervös gewesen wäre. Dann stand er auf und hielt mir die Hand hin, um mir aufzuhelfen und sagte: „Lass uns zurück zum Haus gehen. Ich muss dir etwas zeigen.“

„Ich wette, dass du das musst“, sagte ich und wenn man so etwas in dem Tonfall sagt, in dem ich es gesagt habe, ist das normalerweise gut für weitere fünf Minuten, auf die ich hier nicht näher eingehen werde. Aber du kennst Julian, wenn er Hummeln im Hintern hat, und so liefen wir ein bisschen schneller nach Hause als auf dem Hinweg.

Als wir hineinkamen, ging er sofort hoch zum Ballsaal. Ich wusste natürlich, was los war – sein geheimes Projekt, an dem er während unserer ganzen Zeit hier gearbeitet hat. Ich habe ein bisschen den Überblick verloren, wegen des Geistes und des Fluches und der anderen Dinge, und ich habe nicht mitbekommen, dass er die ganze Zeit daran gearbeitet hat. Wahrscheinlich früh morgens, bevor irgendjemand (oder auch nur die Sonne) wach war.

Er hat einen großen Vorhang davor gehangen, wie der Geheimniskrämer der er ist, und ich wollte ihn damit aufziehen, aber dann hat er ihn heruntergezogen und ich habe das ganze Wandbild gesehen. Es nimmt die ganze Wand ein und es ist wunderschön. Die ganze Familie ist dort, alle Blackthorns. Jeder von ihnen ist …

Nein, das stimmt so nicht. Ich bin auch auf dem Wandbild. Ich bin dort abgebildet zusammen mit dem Rest der Familie, von ihnen allen umgeben. Und jeder von uns ist mit Blumen umkreist. Weiße Blumen für alle Verstorbenen. Selbst Rupert war dort, und Julians Eltern, alle umgeben von weißen Blüten. Und ganz oben Livvy, umhüllt von weißen Flügeln.

Und rote Blumen für alle, die noch am Leben sind. Helen und Aline, und Mark und Ty und Dru und Tavvy …

Ich fing praktisch sofort an zu weinen, die gute Art des Weinens, das Weinen der Liebe und der Ehrfurcht und des Überwältigt-Seins von Gefühlen. Julian fragte: „Gefällt es dir?“

Es gefällt mir. Es ist so wunderschön und perfekt für diesen Moment, wenn die Dinge enden und neue Dinge noch nicht begonnen haben. Und es fühlt sich wirklich an wie Blackthorn Hall – die Blackthorns, die ich kenne, die ich liebe, und nicht die seltsamen, die vor hundert Jahren dafür verantwortlich waren, was mit dem Haus passiert ist. Es kommt mir vor, als hätte sich ein großes Rad gedreht, und wir stehen zugleich am Anfang und am Ende von etwas Neuem und Aufregendem. Zum ersten Mal, seit ich hier bin, habe ich mich ins Bett gelegt, um dir zu schreiben, und gedacht: „Ich bin in unserem Schlafzimmer in unserem Haus“, und es fühlt sich richtig an.

Gute Nacht, Bruce. Ich stelle dich hinterher in ein Bücherregal, welches auf meiner Seite des Bettes ist. Herzlichen Glückwunsch, du bist nun auch ein Teil von Blackthorn Hall.

Emma

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[1]https://www.google.com/search?q=leg+o+mutton+reservoir

[2]Eine Meile ist laut Wikipedia etwas über 1,6 Kilometer.

~*~
Originaltext: © Cassandra Clare
Deutsche Übersetzung: © Cathrin L.
Bild: Audrey Estok (@audreyestok)

05.10.2022: Jem und Tessa schreiben an Alec

Kurzmitteilung an Konsul Alec Lightwood

Betr. Wilde Feenwesen Beziehungen

Nach mehreren Tagen der Anspannung, sind wir erleichtert berichten zu können, dass die Drohungen gegen Christopher Herondale und Wilhelmina Carstairs offenbar beigelegt wurden. Wir haben mit Gwyn ap Nudd, von der Jagd, Kontakt aufgenommen und er hat uns versichert, dass die keinem Hof zugehörige Elfe, die als Mutter Hawthorn bekannt ist, zu einem abgelegenen Ort gebracht wurde und ihr Aufenthalt dort in Zukunft von der Jagd verwaltet wird.

Bedauerlicherweise ist die Sicherheit von Christopher Herondale auf lange Sicht immer noch in frage gestellt. Bitte beachten Sie die beigefügten Seiten persönlicher Korrespondenz, um weitere informelle Gedanken und Fragen in Ruhe zu erörtern.

Unterschrieben,

James Carstairs

Tessa Herondale-Carstairs

Lieber Alec,

ich habe Jem den formalen Teil des Berichts schreiben lassen, weil ich bei so was anfange zu schielen. Ich fühlte mich schlecht, ihn darum zu bitten, aber er winkte ab – offenbar würde niemand glauben, wie viel Papierkram die Stillen Brüder ausfüllen. Ich war überrascht, weil „Papierkram“ und „Stadt der Stille“ für mich nicht so wirklich zusammenpassen, aber hey.

Der Bericht ist korrekt. Julian Blackthorn, clever wie er ist, hatte sich mit Gwyn in Verbindung gesetzt, der zustimmte, sich um Mutter Hawthorn zu kümmern. (Julian hat außerdem niemanden mitgeteilt, dass er dies getan hat, weil er dramatische Enthüllungen liebt, wie wir uns sicher alle gut erinnern können.) Nachdem wir so viel Angst hatten, war es natürlich wunderbar, als die ganze Wilde Jagd auftauchte und Mutter Hawthorn ergriff und Mina zu uns zurückbrachte.

Mina ist übrigens fröhlich und gesund und nicht im Geringsten aufgewühlt, anders als ihre Eltern. Sie war ganz begeistert von der Wilden Jagd und erzählt uns immer wieder aufgeregt, dass sie viele Pferde getroffen hat und die Pferde ihre Freunde sind. Kit ist natürlich genauso aufgewühlt wie wir, wenn nicht sogar noch mehr. Er hat Mina kaum aus den Augen gelassen, seitdem sie zurück ist. Er schläft sogar auf dem Boden ihres Zimmers. (Nach den ersten paar Nächten haben wir ein Tagesbett hineingestellt.) Es hat ihn ziemlich hart getroffen. Er wollte bisher nicht viel darüber reden, aber es ist offensichtlich, dass es an ihm nagt, und hinter seinen Augen ist ein vertrauter, besorgter Blick, der seit dem Vorfall geblieben ist. Wir fürchten, dass er zu verstehen beginnt, was sein Erbe wirklich bedeutet, so sehr wir auch versucht haben, ihn davor zu schützen.

Trotz Gwyns Hilfe wissen weder wir noch Julian wirklich, was genau zwischen der Jagd und Mutter Hawthorn passiert ist, und wir sind nicht geneigt, danach zu fragen. Wir wissen, dass das Feenreich brutal sein kann und noch viel brutaler zu Feenwesen, denn es hat seinen eigenen Sinn für Gerechtigkeit und Disziplin, der oft sehr … unmenschlich erscheint. Wir trauen Gwyn, nicht zuletzt weil wir Diana Wrayburn trauen. Wenn er sagt, dass Mutter Hawthorn Kit nicht wieder belästigen wird, dann glauben wir ihm.

Wir wissen immer noch nicht genau, was Mutter Hawthorn zu Kit gesagt hat in der Zeit, in der sie alleine waren – wir konnten sie und Mina sehen, aber wir konnten sie nicht hören. Kit sagte, es war nur das, was wir erwartet hatten, aber als er zu uns zurückkam, sahen seine Augen gequält aus. Ich wünschte, ich könnte verlangen zu erfahren, was sie gesagt oder angedroht oder verraten hat, aber ich weiß, dass ich das nicht kann. Er wird es uns sagen, wenn er bereit ist.

Wir wissen nicht, ob Mutter Hawthorn Verbündete hat, die Kits Geheimnis ebenfalls kennen könnten. Wie auch immer sie versucht haben mag Kit zu umgarnen, wir wissen, dass ihre Absichten feindlich sind; wir haben sie in Buenos Aires getroffen, bevor wir überhaupt von Kits Existenz wussten, und sie war sehr deutlich. Die Worte haben sich in meinem Kopf festgesetzt: „Es gibt immer noch einen Urerben auf der Welt. Und wenn sich dieser Urerbe erhebt in all seiner Pracht, hervorgebracht durch das Blut von Feenwesen und Nephilim, dann hoffe ich, dass die Prophezeiung nicht nur unsere Feenvölker, sondern auch die Schattenjäger treffen wird. Ich hoffe, die ganze Welt zerfällt in Schutt und Asche.“[1]

Ich kann Kit nicht ansehen – ausgestreckt auf seinem Tagesbett in Minas Zimmer seine Hand um eine der Gitterstreben ihres Kinderbettes gelegt, selbst wenn er schläft – und an Pracht denken. Er ist wie jeder andere Schattenjäger-Junge, auf eine ungewöhnliche Art gewöhnlich. Er mag Filme und Abende mit Spaghetti als Abendessen und er kaut seine Nägel. Er ist nur eine Person, kein Schicksal.

Im Moment wissen nur sehr wenige von Kits Herkunft. Emma und Julian natürlich, und du und Magnus, Jace und Clary … selbst Julians Geschwister wissen es nicht oder haben nur eine gewisse Ahnung. Aber wem könnte Mutter Hawthorn es erzählt haben? Sicherlich nicht dem Lichten Hof; wir sind uns beide sicher, dass die Königin schon Schritte eingeleitet hätte, um Kit in die Finger zu bekommen, wenn sie es wüsste. Kieran weiß es natürlich, aber wir wissen nicht, wem er es an seinem Hof erzählt haben könnte (Emma sagt, dass Mark und Cristina ein bisschen, aber nicht alles über die Situation wissen.) Kieran ist selbstverständlich ein Verbündeter und sein Hof ist ihm ergeben. Aber es ist zu einfach, sich vorzustellen, dass ein aufstrebender Höfling – oder ein wildes Feenwesen – von der Geschichte erfährt und dieses Wissen vorteilhaft nutzen will.

Uns ist klar geworden, dass Geheimnisse wie das von Kit irgendwann ans Licht kommen und nicht ewig geheim gehalten werden können. Bei Schattenjägern bedeutet, es in einem kleinen Kreis von vertrauenswürdigen Freunden geheim zu halten, immer noch ein Dutzend Leute.

Was uns zu unserer ersten wirklichen Bitte führt: Könnte Magnus in nächster Zeit nach Cirenworth kommen, um die Schutzschilde gegen das Eindringen derer zu verstärken, die Kit schaden wollen? Wir müssen gezwungenermaßen erkennen, dass sie nur eine temporäre Lösung sind, aber für den Moment sind sie das Beste, was wir tun können.

In der Zwischenzeit sind wir der festen Überzeugung (und wir sind sicher, dass du uns zustimmst), dass wir versuchen müssen, dieser Bedrohung einen Schritt voraus zu sein. Wir haben Kieran gebeten, dass seine Spione nach Gerüchten über Kit im Feenreich die Ohren aufsperren sollen. Wärst du bereit, dasselbe über die Allianz tun? Wir wissen, dass dies ein schlechter Zeitpunkt für dich ist – wir hätten sicherlich einen für den Rat weniger prekären politischen Moment gewählt, diesen Ärger zu haben, wenn wir es gekonnt hätten. Du sollst wissen, dass wir dich unterstützen und immer an deiner Seite stehen werden. Wir mögen uns aus dem aktiven Schattenjägerleben zurückgezogen haben, aber wir werden immer da sein, wenn du uns brauchst.

Du bist so jung, dass du das alles auf deine Schultern genommen hast. Scheint es nicht immer so, als käme die Verantwortung für uns Schattenjäger zu früh in unseren Leben? Ich sehe meinen lieben Kit an, und bin mir dessen sicher. Wir alle wissen, was auf uns zukommt, so wie man weiß, dass der Sonnenuntergang auch an einem Tag kommt, den man nicht enden lassen will. Der lange sonnige Tag von Kits Kindheit ist fast vorbei. Es schaudert mich, wenn ich daran denke, was ihn erwartet, wenn die Nacht kommt.

Mit den allerliebsten Grüßen

Jem und Tessa

[1]

Der ganze Satz in Mein verlorenes Land: Die Geheimnisse des Schattenmarktes 7 lautet eigentlich: „Das bedeutet, dass es noch immer einen Urerben gibt. Und wenn sich dieser Urerbe erhebt in all seiner Pracht, hervorgebracht durch das Blut von Feenwesen und Nephilim, dann hoffe ich, dass die Prophezeiung nicht nur unsere Feenvölker, sondern auch die Schattenjäger treffen wird. Ich hoffe, die ganze Welt zerfällt in Schutt und Asche.“ Da der erste Satz der deutschen Übersetzung aber vom Sinn her nicht passt, da er sich auf den vorherigen Satz bezieht („Auralines Kind hatte selbst irgendwann ein Kind.“), ist dieser ausnahmsweise von mir.
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2018 by Wilhelm Goldmann Verlag, München. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Franca Fritz und Heinrich Koop.

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Originaltext: © Cassandra Clare
Deutsche Übersetzung: © Cathrin L.

26.09.2022: Emma schreibt an Cristina IV

Liebe Cristina,

es tut mir leid, es tut mir so, so leid! Die Nachricht, die ich dir gerade geschickt habe, ergibt im Nachhinein betrachtet null Sinn, also wirf sie einfach weg, nachdem du sie gelesen hast und lies das hier.

Ich war in gewisser Weise hysterisch, als ich sie geschrieben habe – ich wollte dir schon seit Tagen erzählen, was es mit der Entführung von Mina auf sich hat, aber ich konnte nicht. Und als ich es konnte, sprudelte alles irgendwie aus mir raus. Noch mal, es tut mir leid!

Es war schrecklich, dir nicht erzählen zu können, was passiert ist. Ich habe, wie du ja weißt, Politik schon immer gehasst – aber egal wie ungewöhnlich deine (und Marks) Position auch ist, der Lichte Hof hätte dich mit Sicherheit als Teil von Kierans Gefolge angesehen und uns wurde ausdrücklich untersagt, auch nur einen der Höfe über die Tatsache zu informieren, dass Mina direkt aus ihrem Schlafzimmer hier in Blackthorn Hall entführt wurde. Und wir gehorchten aufs Wort.

Es stellte sich also heraus, dass die Person, die hinter der Entführung steckte, Mutter Hawthorn war, das Kindermädchen der Urerbin, die einen Schattenjäger heiratete. Mutter Hawthorn hat seitdem eine komplizierte Beziehung zu Schattenjägern, besonders bezüglich der Herondales (wer hat KEINE komplizierte Beziehung bezüglich der Herondales, frage ich dich) – und jetzt verlangte sie, Kit zu sehen, wenn wir Mina jemals zurückbekommen wollten.

Niemand wollte, dass Kit es tut, obwohl alle fürchterlich Angst wegen Mina hatten. Aber er war entschlossen. Man konnte ihn nicht aufhalten. Also wurden über eine Reihe von Feenwesen-Vermittlern Vorkehrungen getroffen, damit Kit Mutter Hawthorn treffen konnte. Sie forderte ein Treffen nahe eines fließenden Gewässers, also gingen wir zur Promenade in Chiswick. Es gibt dort einen klitzekleinen Park und einen kleinen Musikpavillon[1]. Wir alle – ich und Julian[2], Tessa und Jem und Kit – gingen ziemlich still und betrübt. Tessa strich immer wieder über Kits Rücken und es war offensichtlich, dass sie versuchte, nicht zu weinen. Jem sah so aus, als ob er jemanden umbringen wollte. Kit sah einfach entschlossen aus. Und Jules – ich komme gleich noch zu Jules.

Wir blieben ein Stücken entfernt, während Kit über das trockene Gras zum Musikpavillon weiterging. Als er näherkam, trat Mutter Hawthorn, mit Mina auf dem Arm, zwischen den Bäumen hervor und kam ihm entgegen.

Jules und ich spannten uns beide an, falls Jem oder Tessa Anstalten machen würden, das Baby greifen zu wollen. Wir hätten es ihnen nicht verübelt, aber wir wussten, dass wir es ihnen erlauben konnten – Kit musste versuchen können, Mina ohne einen gewaltsamen Kampf zu bekommen. Ich kann nur sagen, wurde offensichtlich, was sie alles durchgemacht und ertragen haben in all den Jahren, die sie schon am Leben sind. Sie hielten sich an den Händen und keiner der beiden bewegte sich, obwohl man sehen konnte, wie dringend sie zu ihren Kindern laufen wollten. Es war eine unglaubliche Demonstration von Kontrolle, aber auch herzzerreißend.

Kit und Mutter Hawthorn trafen sich vor dem Musikpavillon. Natürlich konnten wir ihr Gespräch nicht hören, aber wir konnten sehen, wie Mina sofort ihre Ärmchen nach Kit ausstreckte. Kit wollte sie nehmen, aber Mutter Hawthorn hob eine Hand. Sie wollte Mina offenbar nicht zurückgeben und sie fingen an zu diskutieren. Ich konnte sehen, wie wütend Kit war, auch wenn er versuchte, die Kontrolle zu bewahren. Er schüttelte andauernd den Kopf, fast jedes Mal, wenn Mutter Hawthorn sprach.

Nach ein paar Minten hin und her fing Mutter Hawthorn an zu lachen. Sie sah zu uns hinüber – ganz offensichtlich sah sie uns und es kümmerte sie nicht – und dann schnipste sie mit den Fingern. Kit wurde zu Boden geworfen, er rollte herum und kam wieder auf die Beine, aber da peitschten schon schwarze Ranken aus dem Boden, schlugen nach ihm und wickelten sich um seine Beine. Mina schrie so laut, dass wir sie hören konnten.
„Das ist genug“, knurrte Jem und wollte die Straße überqueren. Aber Julian legte eine Hand auf seine Schulter.

„Warte“, sagte er und wir starrten ihn alle an – ich habe absolutes Vertrauen in Julian, aber für einen Moment fragte ich mich auch, ob er verrückt geworden war.

Und dann. Dann gab es diesen gewaltigen Lärm. Ich dachte zuerst, es wäre ein Helikopter oder vielleicht mehrere Helikopter, aber dann bemerkte ich, dass der Lärm merkwürdiger war – es war Hufschlagen gegen den Himmel. Sie folgen über uns und – es waren Gwyn und Diana! Es war die gesamte Wilde Jagd, es waren ein paar Dutzend von ihnen, manche auf Pferden, andere auf Kreaturen mit Flügeln, die ich nie zuvor gesehen hatte. Gwyn ritt voraus, und Diana folgte ihm mit fliegendem Haar auf einem anderen Pferd.

Diana stieß herab und schnappte Mina direkt aus Mutter Hawthorns Armen. Gwyn war direkt hinter ihr und krallte sich Mutter Hawthorn mit einem Arm – der Typ ist, ähm, wohl ziemlich stark – und dann warf er sie über den Rücken seines Pferdes. Es sah für Mutter Hawthorn ziemlich gefährlich aus, aber ich hatte nicht viel Mitleid mit einer Entführerin.

Diana stieß zu uns (die Wilde Jagd macht viel im Sturzflug, wie du dich vielleicht erinnern kannst) und übergab Mina behutsam an Jem und Tessa. Dann zwinkerte Diana uns allen zu und flog wieder in den Himmel hinauf und sie und Gwyn und der Rest der Wilden Jagd stiegen schneller auf, als ich es für möglich hielt. Sie mussten wohl Mutter Hawthorn von uns entfernen, was Sinn ergibt. Jedenfalls verschwanden sie in die Wolken und waren weg.

Ich muss schon sagen, Dianas Zwinkern war ziemlich krass. Ich vermisse es, krasse Sachen zu machen. Vielleicht nehme ich heute Abend Cortana und köpfe ein bisschen Unkraut.

Jedenfalls rannte Kit zu uns zurück und Tessa weinte vor Erleichterung und Jem starrte dorthin, wo die Wilde Jagd verschwunden war. Mina war vollkommen unversehrt. Sie sagte die ganze Zeit „Pferdchen!“, was lustig war, und dann kam Kit und untersuchte sie von Kopf bis Fuß, und Julian und ich traten zurück, um den Vieren Platz für ihr Wiedersehen zu geben.

Julian hatte einen dieser Gesichtsausdrücke und ich hatte da so eine Vermutung. „Das warst du, oder?“, fragte ich. „Du hast die Wilde Jagd kontaktiert.“

Er zuckte mit den Schultern. „Mutter Hawthorn sagte, kein Kontakt zum Lichten oder Dunklen Hof, aber die Wilde Jagd gehört keinem an. Sie haben niemanden die Treue geschworen.“

„Mutter Hawthorn auch nicht“, sagte ich. „Es war also nach dem Motto: ‚Wilde Feenwesen, kommt eure wilde Freundin holen, sie wird zu wild‘?“

„So ungefähr“, meinte er und seine Stimmung war locker, aber ich konnte erkennen, dass er mit sich zufrieden war. Und gut, ich war auch zufrieden mit ihm, und das sagte ich ihm auch.

Auf dem Weg nach Hause fragten wir Kit, was Mutter Hawthorn denn überhaupt wollte. Er sagte, sie wollte ihm sagen, dass er der Nachfahre der ersten du-weißt-schon-was ist (ich weiß, dass Kieran dir etwas über Kits Feenerbe erzählt hat, aber nicht alles, und die meisten Leute wissen es nicht) und dass sie gekommen war, um ihn ins Feenreich zu bringen, wo er hingehört. Er sagte, er habe versucht, deutlich zu machen, dass er nicht im Feenreich leben wolle, dass er mit dem Leben, das er hatte, zufrieden sei (obwohl er zu Jem und Tessa geschaut hat, während er es sagte, und ich denke, „zufrieden“ ist vielleicht weniger peinlich zu sagen als das, was er tatsächlich fühlt, was viel besser ist als „zufrieden“). Sie sagte ihm nur immer wieder, dass es seine Vorsehung und seine Pflicht sei, dass sein Schicksal ihn früh genug holen würde, wenn er sich nicht fügte, bla bla, Feenwesen-Kram, du weißt, wie sie sind. (Öhm, nichts für ungut, Kieran, falls du das auch liest.)

Ich glaube allerdings, dass er nicht die ganze Wahrheit gesagt hat, denn Mutter Hawthorn hat viel Mühe auf sich genommen, um eine solche Botschaft zu senden. Das hätte sie auch auf eine Postkarte schreiben können. Im Grunde war es nichts, was Kit nicht schon wusste. Sie hat sicher noch mehr gesagt, was Kit nicht erzählen wollte – ich konnte es an seinem Gesichtsausdruck erkennen. Ich hoffe, er wird es Jem und Tessa erzählen, wenn er soweit it. Wenigstens wird Gwyn sicher dafür sorgen, dass Mutter Hawthorn von Kit fernbleibt – eine Angst weniger.

Das sind jetzt alle Neuigkeiten von hier und ich bin so erleichtert, dass ich nun alles mit dir teilen kann. Sollte Kieran mehr Informationen benötigen, dann sollte er Gwyn befragen; ich habe dir so ziemlich alles erzählt, was ich weiß.

Pass auf dich auf und wir sprechen uns bald und liebe Grüße an K und M!

Emma

[1]Ich gehe stark davon aus, dass dieser Park gemeint ist: https://en.wikipedia.org/wiki/Dukes_Meadows

[2]Im Englischen/Amerikanischen gibt es wohl kein „Der Esel nennt sich immer zuerst.“ Ich habe die Reihenfolge mal so gelassen. 😉

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Originaltext: © Cassandra Clare
Deutsche Übersetzung: © Cathrin L.

19.09.2022: Emmas Tagebucheintrag XIII

Bruce,

sicher hast du dir, wie wir alle, Sorgen um Mina gemacht. Nun, hier ist die schlechte Nachricht: Sie ist nicht zurück.

Es gibt keine guten Nachrichten.

Aber von vorne. Alle traten in Aktion, nachdem wir die gruselige Puppe und das Schreiben gefunden hatten, und wir durchsuchten das Haus und das Gelände. Obwohl natürlich keiner wirklich glaubte, dass sie noch hier wäre. Wir dachten, vielleicht findet sich ein Zeichen der Elfe (oder der Feenwesen), die sie entführt hat, aber natürlich gab es nichts, was wir Schattenjäger hätten erkennen können. Julian schickte eine Flammenbotschaft an Ty, um zu fragen, ob man den Sensor erneut modifizieren könnte, um nach Feenwesen anstelle von Geistern zu suchen und Ty hatte ein paar Ideen, aber das führte nur dazu, dass der Sensor die ganze Zeit losging. Logisch, weil das ganze Haus nun voller Feenwesen-Arbeit ist. Da wir nicht glauben, dass die geschnitzten Fensterstürze Mina entführt haben … nicht hilfreich.

Tessa hat dem Londoner Institut geschrieben, das die Brigade alarmierte und ein paar Schattenjäger zum Haus sandte, um zu helfen, was hauptsächlich aus Teekochen und besorgten britischen Lauten („ach herrje, ach herrje“ und so weiter) bestand. Jem ging zum Schattenmarkt, um dort Nachforschungen anzustellen (die, wie man mir sagte, hier Erkundigungen[1]genannt werden), aber ein paar Stunden später kam er ohne Ergebnisse zurück. Er sagt, dass die Feenwesen sich tatsächlich nicht weigern würden zu sprechen – sie scheinen vielmehr genauso verblüfft zu sein wie Round Tom oder wir. Die Feenwesen des Schattenmarktes halten sich wohl weitestmöglich von den Hofangelegenheiten fern, und alle waren sich einig, dass die Entführung eines Schattenjägers eine Sache der Höfe sein muss, denn irgendwelche Elfen wären nicht so dumm, das Abkommen so dreist zu brechen.

Oh, eine weitere Sache. Tessas Kontaktaufnahme zur Londoner Brigade war ein allerletzter Versuch, weil sie nun vom Bruch des Abkommens wissen und niemand einen Krieg mit dem Feenreich will. (Abgesehen vielleicht vom Entführer?) Andererseits kann ich mir nicht vorstellen, dass ausgerechnet Alec Lightwood einen Krieg erklären wird, bevor wir mehr wissen. Aber trotzdem werden die Spannungen noch verstärkt, was nicht gut ist.

Sollte ich jemals Raziel treffen, dann werde ich ihn fragen – okay, ich nehme stark an, dass ich, sollte ich Raziel jemals treffen, vom himmlischen Feuer in kleinste Stücke aufgelöst werde, aber sollte ich vorher eine Frage stellen können, würde ich fragen, warum wir keine Kinder orten können. Ich verstehe ja, dass es so ist, weil sie noch keine Runen haben, aber sind sie nicht diejenigen, die am ehesten geortet werden müssen? Das scheint mir ein großer Fehler im System zu sein. Ich sollte mit Clary darüber reden, vielleicht kann sie für die Zukunft eine Art Baby-Ortungs-Rune erschaffen. Was uns allerdings jetzt nicht hilft.

Die große Frage, abgesehen davon, wo Mina ist und wer sie entführt hat, ist, warum jemand so etwas tun sollte? Es ergibt einfach keinen Sinn. Julian überlegte, ob vielleicht jemand einen Rachefeldzug gegen Jem oder Tessa führt, aber es fiel ihnen niemand ein. Round Tom hat angedeutet, dass jemand versuchen könnte, dem Feenreich die Entführung anzuhängen, aber warum? Wie auch immer, wir haben weder Kieran noch Adaon bis jetzt kontaktiert, weil wir davor gewarnt wurden.

Bruce, ich fühle mich einfach schrecklich. Tessa und Jem kamen nur hier her, um uns mit dem Fluch zu helfen und nun das. Es macht mich krank – vielleicht ist mit Blackthorn Hall irgendetwas viel Schlimmeres falsch, als dass ein gebrochener Fluch es beheben könnte. Oder vielleicht bin ich einfach nur schwarzseherisch und besorgt. Wahrscheinlich sogar.
Julian ruft, bin gleich zurück.

Wieder da und mit Neuigkeiten. Die Entführerin hat eine Nachricht geschickt! Also eine weitere Nachricht. Und sich selbst identifiziert!

Euer Kind wird zurückgegeben, wenn, und nur wenn, ich eine private Audienz mit demjenigen, den Ihr Kit Herondale nennt, bekomme.

Zuallererst: „demjenigen, den Ihr nennt“ – also wirklich. Wie nennt sie Kit denn, den Großartigen Whizzo? Zweitens: Die Nachricht war mit „Mutter Hawthorn“ unterschrieben, was weder mir noch Julian etwas sagte, aber Jem und Tessa warfen sich einen Blick zu und Kit sah elend aus. Es stellte sich heraus, dass sie das Kindermädchen der Urerbin war. Also die allererste Urerbin, vor langer Zeit. Es geht also um Kit und um Feenpolitik, und es ist ein Chaos, und ich fühle mich schrecklich für Kit, der so blass und angespannt ist, wie ich ihn noch nie gesehen habe. (Und ich muss dich wohl nicht daran erinnern, Bruce, dass ich Kit schon verdammt blass und angespannt gesehen habe.)

Kit sagte natürlich sofort Ja, dass er sich mit ihr treffen würde, alles, um Mina zurückzubekommen. Julian wies darauf hin, dass es eine Falle sein könnte und Kit explodierte: „Natürlich ist es eine Falle! Aber ich kann nicht zulassen, dass Mina wegen mir verletzt wird.“

Ich glaube, ich habe ihn noch nie so gesehen, Bruce. So wütend oder so entschlossen. Er wird erwachsen. Auf eine Art erwachsen, so wie Julian schnell erwachsen werden musste; es ist herzzerbrechend. Kit scheint zu wissen, was auf ihn zukommt – nicht nur jetzt, sondern ganz allgemein – und dass er nicht davor zurückschrecken kann. Er muss es anpacken.

Round Tom meinte, dass Mutter Hawthorn unberechenbar sei, aber selbst sie würde zögern, das Abkommen so weit zu brechen indem sie Mina verletzt. Kit wies darauf hin, dass sie das Abkommen bereits gebrochen hat, indem sie sie entführte.

Jem, dem wohl klar war, dass Kit dem Treffen in jedem Fall zustimmen würde, schlug vor, dass wir es zumindest zu unseren Bedingungen machen sollten, an einem Ort, den wir selbst aussuchen, und mit vielen Vorsichtsmaßnahmen. Kit sagte: „Was auch immer ihr braucht. Aber ich werde mich mit dieser Mutter Hawthorn treffen und Mina zurückholen.“ Sie sind Cousins sechsten Grades oder so, aber er klang da wirklich wie Jace. Die Sturheit der Herondales scheint ein ziemlich dominant vererbter Charakterzug zu sein.

Julian war seltsam still, nachdem Kit ihn angeschrien hatte, und ich dachte, er sei verletzt, aber dann merkte ich, dass er diesen Gesichtsausdruck hat, der bedeutet, dass er eine Idee hatte, aber noch nicht bereit ist, sie zu teilen. Alle sprachen über Anti-Feen-Zauber und darüber, welche Runen man Kit geben sollte, und Julian saß irgendwie im Hintergrund und dachte nach – auf die Art, wie es alle anderen nicht tun. Völlig versunken in planerischem Denken.

Ich frage mich, was er in petto hat. Ich könnte deswegen damit nerven, aber ich habe gelernt, dass es besser ist, wenn er es mir sagt, wenn er bereit ist. Sein Gesichtsausdruck gab mir jedoch mehr Hoffnung als alles andere in diesem Gespräch.

Emma

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Originaltext: © Cassandra Clare
Deutsche Übersetzung: © Cathrin L.

[1]Englisch: enquiry vs. Amerikanisch: inquiry.

15.09.2022: Kit schreibt an Jace

Jace,

ich weiß nicht, warum ich schreibe, ich weiß nicht, warum ich dir schreibe, ich sitze hier einfach nur und versuche, ruhig zu bleiben, aber all diese Gedanken in meinem Kopf wiederholen sich immer wieder, und ich muss sie aufschreiben und irgendwohin schicken. Du hattest gesagt, du würdest immer da sein, wenn ich Redebedarf habe, also, hi, ja, hallo, ich habe Redebedarf. Ich kann nicht zu Jem und Tessa gehen, sie sind genauso traumatisiert wie ich, wahrscheinlich sogar mehr. Und Emma und Julian waren da und sie hatten so eine gute Zeit, sie genossen ihr Haus, das endlich sicher und angenehm und gemütlich war und plötzlich wurde ein Baby auf diesem sicheren und angenehmen Haus entführt, ohne dass irgendjemand etwas bemerkte.

Die Wahrheit ist – ich wollte es mir nicht eingestehen, aber es ist die Wahrheit, dass Mina schon immer in Gefahr war. Meinetwegen. Weil ich irgendwelche weit zurückliegenden Feenwesen-Vorfahren habe, sind alle, die mir nahestehen, in Gefahr. Ich kann nichts dagegen machen, ich habe nichts getan, um das zu verdienen. Und es bedeutet, dass die Tochter von Jem und Tessa entführt wurde, weil sie mich adoptierten, weil sie mich lieben.

Übrigens, da du jemand bist, der mir etwas bedeutet, gehörst auch du zu der Gruppe von Leuten, die ich in Gefahr gebracht habe. Tut mir leid. Aber du bist Jace Herondale! Du isst Gefahr zum Frühstück. Du isst Gefahrflakes mit Risikobeerentopping. Du kommst klar. Aber Mina … sie ist so klein. Und sie war noch nie von ihrer Familie getrennt.

Ich rede mir die ganze Zeit ein, dass sie ihr nichts tun werden. Sie wollen nicht sie. Sie wollen etwas anderes.

Alles deutet darauf hin, dass sie von Feenwesen entführt wurde. Die meisten von Round Toms Arbeitern sind schon gegangen und wir wissen nicht, ob es vielleicht einer von ihnen war oder dem Verantwortlichen geholfen hat. Round Tom selbst sagt, dass er nichts weiß und genauso verwirrst ist wie alle anderen – er interessiert sich nicht für Politik. Alle sind ihm gegenüber trotzdem misstrauisch, aber er kann nicht lügen und der Satz „Ich habe nichts von der Entführung Ihrer Tochter gewusst“ ist schwierig anders zu interpretieren.

Aber das ist vielleicht nicht wichtig. Falls Mina von den Feenwesen entführt wurde … insbesondere von Feenwesen, die im Auftrag eines der Höfe handeln … dann ist das ein Verstoß gegen das Abkommen. Und das bedeutet Krieg mit dem Feenreich. Ein erneuter Krieg mit dem Feenreich.

Wie kannst du mit sowas leben, Mann? Wie übersteht man jeden Tag, wenn man weiß, dass man mit seiner reinen Existenz andere in Gefahr bringt?

Ich kann das wohl selbst beantworten. Du bist der, der du bist, genau wegen allem, was du erlebt hast. Du händelst Dinge, weil du Dinge händeln musstest. Jem und Tessa haben mich adoptiert und dachten, sie könnten mich beschützen, aber vielleicht kann mich niemand beschützen. Ich habe mich treiben lassen, habe glückliche Familie gespielt, aber die Wahrheit ist, dass ich mich ändern muss. Ich muss härter werden. Stärker. Mächtiger. Jemand, vor dem die bösen Jungs Angst haben sollten. Nicht ein Kind, das beschützt werden muss. Das muss aufhören.

Ich bin kein Kind mehr.

Mir ist gerade klar geworden, dass du die ganze Situation schon kennst, denn Alec hat dich bestimmt schon informiert. Aber es hilft, wenn ich es selbst aufschreibe, wie ich schon sagte. Ich glaube nicht, dass du etwas tun kannst, und ich bitte dich auch nicht um Hilfe. Ich dachte nur, dass von allen Leuten du es verstehen würdest. Dass du jemand sein könntest, mit dem ich darüber reden kann. Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass du das für mich bist.

Kit

~*~
Originaltext: © Cassandra Clare
Deutsche Übersetzung: © Cathrin L.

05.09.2022: Emmas Tagebucheintrag XII

Lieber Bruce,

wir haben es geschafft! Der Fluch ist gebrochen! Rupert ist frei! Lang lebe Rupert!

Im Nachhinein ist es verrückt, wie viel wir versucht haben allein zu machen. Wir hätten wissen müssen, dass wir, wenn wir es endlich schaffen, ein ganzes Team dabei haben würden – in diesem Fall Jem, Tessa, Kit und Magnus. (Minas Hilfe bestand darin, moralische Unterstützung zu sein und alles mit ihrer Spielzeugstele zu bemalen.)

Alle sind immer noch hier und wir können uns in dem neu entfluchten Haus ein wenig ausruhen. (Es ist jetzt wirklich sehr gemütlich, nachdem es aufgeräumt ist und die dämonische Aura vertrieben wurde.) Alle sind da, außer Magnus, der am Nachmittag in großer Eile nach New York zurück aufbrach.

Ein neuer Absatz, um darüber zu sprechen, denn ich habe eine Menge Fragen, auf die es keine Antworten gibt, und ich kann nur dich fragen, Bruce. Magnus war also in Eile, zurückzukommen, weil Alec mit Luke und einigen anderen Schattenweltlern ein Treffen abhält, bei dem es um Pläne für Gespräche mit der Kohorte geht. Aber ich habe den Eindruck, als ob die Kohorte keine gute Verhandlungsposition hat, oder? Die Situation ist für sie viel schlimmer als für uns. Wir sollten in der Lage sein, das Ganze auszusitzen, oder etwa nicht?

Sie haben wohl einen symbolischen Vorteil. Wir sind alle Schattenjäger und wir alle vermissen Idris und Alicante und Lyn See, und viele von uns haben wahrscheinlich Sachen zurückgelassen, an die wir nicht ran können und oh, richtig, außerdem haben dort viele Leute gelebt, die in die ganze Welt evakuiert werden mussten und zurückkehren wollen. Ich verstehe das. Aber … Was isst die Kohorte dort überhaupt? Idris produziert eigentlich keine Lebensmittel. Sind die dort alle Gärtner? Betreiben sie Ackerbau? Stellen sie Butter her? Es ist schwer vorstellbar, dass Zara irgendetwas davon tut. Aber man weiß ja nie. Es gibt dort nicht einmal Dämonen zu bekämpfen. Was eine gute Erinnerung daran ist, dass Schattenjäger sich definitiv nicht in Idris verkriechen sollten, wo es keine Dämonen zu bekämpfen gibt. Ich denke, Raziel war bei diesem Punkt ziemlich deutlich.

Sie müssen dort ihren Verstand verlieren. Ich hoffe, sie haben ein paar Brettspiele oder so gefunden.

Vielleicht hat Zara sich selbst zur Königin auf Lebenszeit erklärt und sie muss keinen landwirtschaftlichen Tätigkeiten nachgehen, weil sie einfach nur herummarschiert und droht, jeden zu töten, der nicht _sofort_eine Kartoffel für sie anbaut.

Oder vielleicht haben wir gar nichts gehört, weil sie sich alle gegenseitig aufgegessen haben. Oder vielleicht haben sie gegen Zara gemeutert und jemand anderes darf jetzt drohen, Leute zu töten.

Okay, Schluss mit dem Gegrübel über die Kohorte. Ich bin gut gelaunt, oder war es zumindest, bevor ich diesen Eintrag begann. Wir verbringen Zeit mit Jem, Tessa und Kit und es ist wirklich toll. Wir haben Chinesisch bestellt (die Lieferanten haben immer ein bisschen Angst, die Auffahrt zu uns heraufzufahren, aber wir geben ihnen viel Trinkgeld, so dass sie uns mittlerweile kennen). Wir zündeten Kerzen an – für das Ambiente und nicht für dunkle Magie, was für eine Idee! – und aßen gefüllte Teigtaschen, bis wir zu voll waren, um uns zu bewegen, was ich seit der Hochzeit von Magnus und Alec nicht mehr getan habe. Wenn man mir gefüllte Teigtaschen anbietet, esse ich sie anscheinend so lange, bis ich selbst eine gefüllte Teigtasche bin. Dazu sage ich: Ich würde es nie ablehnen, das zu werden, was ich am meisten liebe.

Wie auch immer. Sogar Kit war heute Abend weniger grüblerisch als sonst! Er war mit Round Tom unterwegs und sie schienen sich gut zu verstehen. Oh, und fast hätte ich es vergessen! Wie konnte ich das vergessen! Die Arbeiter haben einen Sarg gefunden, der im Garten vergraben war. Darin befand sich aber keine grauenhafte Leiche, sondern ein Haufen alter Sachen! Einen Sarg als Zeitkapsel zu verwenden, schien mir eine seltsame Wahl zu sein, aber Tessa und Jem machten einige Grimassen und Geräusche, die darauf hindeuteten, dass dahinter eine längere Geschichte steckte, nach der wir später fragen müssen.

Jedenfalls war in dem Sarg EINE SCHWERTSCHEIDE FÜR CORTANA. Kannst du es fassen? Tessa sagte, dass sie einmal Cordelia Carstairs gehörte, die Cortana vor vielen Generationen führte. Die Schwertscheide muss gründlich gereinigt werden (sehr gründlich), aber dann kann sie wieder mit Cortana vereint werden. (Immerhin gehört sie wahrscheinlich eher Cortana als irgendjemand anderem; vielleicht freuen sie sich, wiedervereint zu werden.)

Es gab auch ein Schwert für Julian – oder was einmal ein Blackthorn Familienschwert war, denn es ist nur ein Schwertgriff übrig, die Klinge fehlt komplett, keine Ahnung warum. Er redet davon, sie neu zu schmieden. Großer Schock, Round Tom kennt da jemanden. Triangular Jerry. Nein, das mit dem Namen war ein Scherz, aber Round Tom kennt tatsächlich einen Schmied, und er und Julian haben angefangen, darüber zu reden, das zu erledigen. (Eigentlich möchte Round Tom eine Schmiede _auf dem Gelände_von Blackthorn Hall einrichten, was eine coole Idee ist, aber wollen wir noch ein weiteres Bauprojekt zu all den anderen? Aber eine Schmiede hier am Haus zu haben, wäre vielleicht ziemlich cool.)

Du fragst dich vielleicht, was mit Ruperts Ring ist, denn er konnte ihn ja nicht mitnehmen, und er ist auch nicht auf Geisterweise dafür zurückgekommen. Magnus hat den Ring untersucht und gesagt, dass er nicht mehr magisch ist, nur noch ein gewöhnlicher Ring, den Tatiana verzaubert haben muss, um Rupert zu binden. Aber natürlich wird ihn keiner von uns tragen. Also haben wir ihn auf den Kaminsims im Wohnzimmer gelegt. Und dort wird er auch bleiben.

Die Gray-Carstairs-Herondales kehren morgen nach Cirenworth zurück. Es war wirklich toll, sie hier zu haben, aber es wird auch schön sein, wenn sie weg sind und nur Julian und ich im Haus sind und uns nicht die ganze Zeit unheimlich fühlen. Das scheint eine gute Zeit für uns zu werden.

Bruce, die gute Zeit ist abgeblasen. Alles ist schief gelaufen. Ich schätze, ich war ein bisschen zu selbstgefällig darüber, wie alles lief; das Universum musste einschreiten und es mir vermasseln.

Mina ist weg.

Und mit „weg“ meine ich „entführt“.
Und mit „entführt“ meine ich, dass die Entführer eine gruselige, altmodische Porzellanpuppe (mit großen, toten Augen, igitt) an ihrem Platz zurückgelassen haben, und ein Schreiben.

Ich war gerade fertig mit dem Eintrag, als ich einen furchtbaren Schrei von oben und laute Schritte hörte und hinauskam, um alle in Minas Zimmer versammelt zu finden, die entsetzt starrten.

Ich dachte sofort: „Oh nein, noch ein Fluch, oder derselbe Fluch, oder der Fluch ist noch nicht vorbei“, und vielleicht hast du das auch gedacht, aber das ist nicht das, was es ist. Es geht um etwas ganz anderes. Etwas, das mit Feenwesen zu tun hat. Etwas, das mit dem Feenreich zu tun hat.

Tessa hob den Zettel auf, las ihn und reichte ihn Jem mit einem bestürzten Gesichtsausdruck. Julian öffnete bereits das Fenster, um draußen vielleicht noch jemanden zu entdecken und ich las über Jems Schulter:

Ihr werdet auf Anweisungen warten. Ihr werdet weder dem Lichten noch dem Dunklen Hof etwas sagen. Oder das Kind wird sterben.

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~*~
Originaltext: © Cassandra Clare
Deutsche Übersetzung: © Cathrin L.

29.08.2022: Magnus schreibt an Alec II

Liebreizender Liebesmuffin,

ich hoffe, dieser parfümierte Brief trifft dich wohlauf an und dass du und R und M eine exzellente Zeit während eurer exotischen Reise nach … nun, ich glaube, der Begriff, den du benutzt hattest, war „Upstate“[1]. Ich habe Legenden über dieses Upstate gehört, aber ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass meine Familie es mit all seinen Bergen, den putzigen Bauernmärkten und dem Fluss des Sohns des Huds[2]sehen würde.

Wichtiger noch, ich hoffe, dass die Kinder ihren Besuch bei Oma genießen, und ich hoffe, du nennst Maryse so oft wie möglich „Oma“, denn ich freue mich über das Gesicht, das sie jedes Mal macht, wenn wir das tun. Eine weit weniger angenehme, aber dringendere Anmerkung: Ich hoffe, du hattest die Gelegenheit, mit Luke für die Kohorte-/Idris-Sachen zu reden.

Aber ermüde deine schönen Hände nicht mit einer schriftlichen Antwort. Ich werde mich heute Nachmittag selbst auf den Weg nach „Upstate“ machen, um mich euch anzuschließen, weil ich erleichtert verkünden kann, dass die Angelegenheit mit dem verfluchten Haus der Blackthorn-Kinder mehr oder weniger geklärt ist. Es stand allerdings auf Messers Schneide.

Ich glaube nicht, dass ich dir den Brief von Jem gezeigt habe, der besagte: „Emma und Julian versuchen, dich nicht mit ihrem Haus zu belästigen, und das ist sehr nett von ihnen, aber im Gegensatz zu ihnen habe ich absolut keine Gewissensbisse, dich zu belästigen, und deshalb belästige ich dich jetzt mit dieser Nachricht. Wir brauchen einen Hexenmeister und du bist der Beste, den ich dafür kenne. Wir alle würden deine Hilfe sehr zu schätzen wissen.“

Wie es so oft der Fall ist, war ich gleichzeitig leicht genervt und leicht beeindruckt von Jem, der gleichzeitig sehr freundlich war _und_mich auch daran erinnerte, dass ich schwach werde, wenn es um ihn und Tessa geht und ich ihnen wann immer möglich zu Hilfe eile. Weil ich schwach werde, wenn es um ihn und Tessa geht, schrieb ich schnell zurück, dass ich kommen würde.

Ich weiß, was du nun denkst: „Wieso braucht Tessa einen Hexenmeister, wenn sie auch ein Hexenwesen ist?“ Aber verschiedene Hexenwesen haben verschiedene Fachbereiche, wie du ja weißt, und auch wenn Jem mir schmeichelte, dass ich die beste Wahl wäre, ist es nun mal eine Tatsache, dass ich mit deutlich mehr Flüchen zu tun _hatte_als Tessa. Das kommt davon, wenn man die letzten Jahrzehnte damit verbracht hat, seine Dienste an zwielichtige Gestalten zu vermieten, anstatt ein ruhiges Leben als Magieforscher im Spiral Labyrinth zu führen. Tessa war schon immer die Klügste von uns allen.

Jedenfalls muss ich Emma und Julian ein Lob aussprechen. Ich hatte erwartet, dass ich ankomme und sie die verfluchten Gegenstände aneinanderschlagen oder so, aber sie hatten einen einigermaßen angemessenen Schutzkreis errichtet und sogar einen Zauberspruch gefunden. Es war ein alter, ziemlich allgemeiner Zauberspruch, der meiner Erfahrung nach bei tatsächlichen Flüchen in der heutigen Zeit selten von großem Nutzen ist, aber immerhin.

Dummerweise habe ich selbst einen einfachen, alltäglichen Fluchbrecherkreis arrangiert und es ausprobiert. „Dummerweise“, weil ich vergessen hatte, wer den Fluch damals ausgesprochen hat. Dein schlimmster Vorfahre, Benedict Lightwood, Dämonenliebhaber und dilettantischer Nekromant. Wie sehr war Benedict mit Dämonen im Bett? Er starb buchstäblich an Dämonenpocken, was – falls du es nicht kennst, weil du so schön rein bist, mein Alec – eine sexuell übertragbare Dämonenkrankheit ist.

Aber ich vergas das in dem Moment, also war ich überrascht, dass der Fluch erstaunlichen Widerstand leistete. Er wand sich und zuckte und schlug um sich, so wie Max, wenn er in die Badewanne gesetzt wird. Die verfluchten Gegenstände leuchteten alle neongrün an den Stellen, an denen sie mit der Magie verbunden waren, und schließlich wurde mir klar, dass ich jeden einzelnen Gegenstand vorsichtig von dem Fluch befreien musste, einen nach dem anderen.

Ich schaffte es mit dem Flachmann, dem Dolch, einem der Kerzenhalter (frag mich nicht, wie DAS passiert), aber danach hing ich fest.

Es sieht nicht gut aus, wenn ein Hexenmeister eine beeindruckende magische Pose einnimmt und dann nichts passiert. Ich bin mir sicher, ich sah lächerlich aus, wie ein irdischer Zauberer, der nicht verstehen konnte, warum das Kaninchen nicht aus dem Hut kam. Julian und Emma waren sehr höflich und warteten geduldig, aber ich fühlte mich ziemlich dämlich.

Und dann habe ich kurz ganz die Konzentration verloren, weil die Tür sich öffnete und Kit hineinspazierte. Er sah sich alles an und meinte schließlich: „Professor Blum in der Bibliothek mit einem Kerzenhalter, wie ich sehe.“[3]

„Violett ist immer eine angemessene Farbe für einen Hexenmeister“, sagte ich. „Es ist die repräsentative Farbe der Magie.“

Emma sagte natürlich: „Deine Magie ist blau“, weil sie eine unverbesserliche Klugscheißerin ist.

„Vielleicht meinte er mich“, sagte Julian. „Ich trage einen lila Kapuzenpullover. Auch, weil es die repräsentative Farbe der Magie ist“, fügte er mit einem Kopfnicken in meine Richtung hinzu, was ich begrüßte.

„Vielleicht könntest du die Gegenstände auf eine lila Tischdecke anstatt auf eine weiße legen“, schlug Kit vor und während er sprach, kam er näher, um sich das Ganze genauer anzusehen.

Und als er dem Kreis wirklich nahe kam, Alec, spürte ich das seltsamste Gefühl. Ein Gefühl von … Macht, die irgendwie in Kit summte. Kennst du das, wenn dein Körper bei einem wirklich sehr tiefen Ton quasi vibriert? Dieses rumorende Gefühl? Es war wie das, nur lautlos. Das habe ich noch nie gespürt, wenn ich Kit gesehen habe. Ich konnte auch erkennen, dass Kit nichts Ungewöhnliches empfand. Und wenn doch, dann war er erstaunlich nonchalant deswegen.

Also habe ich vorgeschlagen, dass er sich zu uns in den Kreis stellen und seinen Fokus auf die Magie legen soll. „Besonders weil Jem und Tessa sich irgendwohin verzogen haben, anstatt uns zu helfen.“

„Sie sind draußen im Garten mit Mina“, sagte Kit ein wenig defensiv.

Ich lenkte die Aufmerksamkeit aller auf die Objekte zurück und stellte eine etwas abgewandelte Version meines üblichen Fluchbrechers auf. Ich wandte mich dem Kerzenhalter zu und BANG! Kein Widerstand mehr! Es gab einen großen blauen Knall und alle magischen Knoten, die die Gegenstände mit dem Fluch verbanden, zerbrachen.

Alle mussten ziemlich viel blinzeln. Irgendwann sagte ich so etwas wie: „Nun, das war eher das, was ich mir erhofft hatte. Ich schätze, vier Leute haben den Unterschied ausgemacht.“

Ich schaute nach. Der Fluch schien … verschwunden. Ich war tatsächlich etwas aufgewühlt. Ich habe es Tessa und Jem gegenüber nicht erwähnt, weil ich keine große Sache daraus machen wollte, aber ich denke, es hat wegen Kit funktioniert. Nicht, weil wir eine vierte Person benötigten.
Irgendetwas ist los mit ihm, irgendeine Magie, die völlig außerhalb seines Bewusstseins liegt. Ich denke, es hat etwas damit zu tun, dass er der Nachkomme des Urerben ist, aber ich war noch nie ein Experte für diese Art von Feenzauber. (Verbrenne diesen Brief nachdem du ihn bekommen hast – sehr wenige von uns wissen, dass Kit der Urerbe ist und es ist besser, wenn es so bleibt.)

Es macht mich traurig, daran zu denken. Kit ist ein guter Junge, der ein gutes, normales Leben verdient hat. Ich weiß, dass Jem und Tessa sich das für ihn wünschen, mehr als alles andere, nach dem Chaos, in dem er aufgewachsen ist. Aber ich bin mir nicht sicher, ob er eine Wahl in dieser Angelegenheit haben wird. Die Feenwesen werden ihn vielleicht nicht wählen lassen.

Julian streckte die Hand aus und nahm den Flachmann auf. Er hielt ihn einen Moment lang und runzelte die Stirn.

„Was?“, fragte Emma.

„Nichts“, sagte Julian. Er sah mich an. „Das war’s? Kein Fluch mehr?“

„Kein Fluch mehr“, erwiderte ich. „Hoffe ich.“

Und dann schwebte Rupert der Geist von der Decke herab. Ich habe Rupert Blackthorn zu Lebzeiten nie getroffen. Ich weiß nicht, was ich von ihm halten soll. Einerseits scheint er ein Unschuldiger gewesen zu sein, der zur falschen Zeit am falschen Ort war, ein Geist, der in einem Haus gefangen war, in dem er nie gelebt hat, aufgrund eines Übels, von dem er vor seinem Tod nichts gewusst hat. Andererseits hat er Tatiana Lightwood getroffen und sich gedacht: „Diese Dame scheint eine gute Heiratskandidatin zu sein“, also muss irgendetwas an ihm komisch gewesen sein.

Rupert war über dem Tisch und er schwebte hinunter, bis er direkt darüber war. Er starrte etwas darauf an.

„Was ist los, Rupert?“, fragte Emma. „Was siehst du?“

Kit folgte seinem Blick und schob die Gegenstände aus dem Weg. „Es ist ein Ring“, sagte er.

Emma fragte: „Welcher Ring?“

In der Tat, welcher Ring? Unter den verfluchten Gegenständen befand sich kein Ring. Aber es lag nun ein Ring auf dem Tisch. Es war ein silberner Ring, mit einem schwarzen Stein und einem Dornenmuster.

„Blackthorn Familienring?“, fragte Kit.

„So sehen Familienringe normalerweise nicht aus“, meinte Emma.

„Ehering?“ schlug Kit vor.

„Schattenjäger tragen keine Eheringe“, antwortete Emma, aber Julian hatte diesen nachdenklichen Gesichtsausdruck, den er manchmal bekommt.

„_Ein Band aus Silber hält mich hier_“, meinte er leise.

„Schattenjäger können Eheringe austauschen“, sagte ich. „Es wird nur nicht von ihnen erwartet. Aber sie können es tun, wenn sie möchten.“

Was auch immer es war, es gehörte Rupert. Er war Kits Hand gefolgt, als sie den Ring aufhob, und nun griff er mit einer dünnen Geisterhand nach ihm. Er wickelte sie um den Ring, was absolut nichts bewirkte, da er ein Geist ist – Kit hielt ihn einfach für ihn fest. Dann schlossen sich seine Augen (Ruperts, meine ich) und er bekam diesen Ausdruck von Erleichterung, Dankbarkeit und Frieden auf seinem Gesicht, und er… verschwand einfach, genau da. Er verblasste langsam und war weg. Kein Rupert mehr. Auf zu einem besseren Ort und hoffentlich nicht zu einem Wiedersehen mit seiner Frau, denn sie war über hundert Jahre lang seine Gefängniswärterin.

„Er hat sich nicht einmal verabschiedet“, meinte Emma leise.

„Das ist auch gut so“, sagte ich. „Er hätte niemals hier sein sollen.“

„Rupert, wenn du mich hören kannst“, sagte Emma, „es war schön, von dir heimgesucht zu werden.“

„Fünf Sterne“, sagte Kit feierlich und legte den Ring zurück auf den Tisch. „Würde mich wieder heimsuchen lassen.“

Und dann gingen alle Kerzen auf einmal im Raum aus. Was, wenn es Rupert war, eine nette Geste war. Vielleicht war es aber auch nur ein Luftzug.

Wir gingen alle schweigsam aus dem Raum. „Es ist anders,“ sagte Julian. Er sah sich im Flur um. „Ich kann es bereits fühlen.“

Ich konnte es auch spüren. Es herrschte eine Leichtigkeit, die vorher nicht da war. Eine Art angenehme Gemütlichkeit, die ein gutes Haus ausstrahlt und die all in der Zeit, seitdem ich Blackthorn Hall kenne, immer gefehlt hat. Es ist schwierig zu beschreiben, aber auf einmal fühlte es sich auf eine Art und Weise wie das Zuhause von Julian und Emma an, wie es vorher nicht der Fall war. Ich kannte es immer als einen abweisenden Ort, und dann als eine abscheuliche Ruine, aber zum ersten Mal dachte ich, dass dies ein Ort ist, den die Blackthorns mit Freude füllen könnten.

Und ich bin sicher, das werden sie auch.

Wir sehen uns sehr bald, mein Liebling. Ich werde dich küssen, bis uns ein Kleinkind trennt und Aufmerksamkeit verlangt. Plane also einen Kuss von etwa 30-60 Sekunden ein, basierend auf früheren Erfahrungen. Aber ich wünsche mir, wie immer, dass er endlos sein könnte.

In Liebe

Magnus

[1]Magnus macht hier einen New Yorker Witz. Von Wikipedia: „Unter Upstate New York versteht man denjenigen Teil des US-Bundesstaates New York, der sich weder dem Großraum New York City noch Long Island zurechnen lässt.“ Der gängige Witz ist, dass die New Yorker es als eine bedeutende Reise betrachten, obwohl es eigentlich ganz nah ist.

[2]Magnus meint hier selbstverständlich den Hudson River.

[3]Kit bezieht sich auf das Spiel Cluedo. Im Englischen/Amerikanischen heißt der Professor „Plum“, also Pflaume, was auch eine Farbbezeichnung für Lilatöne sein kann.

~*~
Originaltext: © Cassandra Clare
Deutsche Übersetzung: © Cathrin L.