Bernd Steinbrink - Academia.edu (original) (raw)
Papers by Bernd Steinbrink
J.B. Metzler eBooks, 2011
Die Suche nach Gedanken, Argumenten und Beweisen, die man besser inventorische Forschung nennt, w... more Die Suche nach Gedanken, Argumenten und Beweisen, die man besser inventorische Forschung nennt, weil sie methodisches Vorgehen ebenso wie Findigkeit und Einfallsreichtum erfordert, zielt auf das Finden und Erfinden moglichst aller zweckdienlichen sich aus einer Sache ergebenden Moglichkeiten zu ihrer rednerischen Ausfuhrung. Der Autor wird sich also zunachst so umfassend wie moglich uber das ihm gestellte Thema, seinen Fall informieren. Cicero, die Gerichtsrede als Beispiel vor Augen, schildert sein praktisches Vorgehen: »Ich fur mein Teil bemuhe mich zumeist darum, das jeder mich selbst uber sein Anliegen unterrichtet und das kein anderer dabei ist, damit er um so freier reden kann. Dabei vertrete ich gewohnlich den Standpunkt des Gegners, damit er seinen eigenen verteidigt und alles vorbringt, was er sich zu seinem Fall gedacht hat. So ubernehme ich, wenn er gegangen ist, vollkommen unparteiisch drei Rollen in einer einzigen Person, die meine, die des Gegners und die des Richters. Wenn ein Gesichtspunkt derart ist, das er mehr nutzt als schadet, beschliese ich ihn vorzubringen; das, worin ich mehr Negatives als Positives finde, verwerfe ich vollkommen und lasse es beiseite. Damit erreiche ich, das ich erst uberlegen kann, was ich zu sagen habe, und dann rede. Diese beiden Dinge tun die meisten im Vertrauen auf ihr Talent gleichzeitig. Doch wurden sie bestimmt erheblich besser reden, wenn sie der Meinung waren, sie sollten sich erst Zeit zum Uberlegen und dann zum Reden nehmen. Sobald ich einen Fall und Sachverhalt erst grundlich kenne, zeigt sich mir sogleich der springende Punkt in der Auseinandersetzung. Denn es gibt keine Auseinandersetzung zwischen Menschen, mag der Kern in einem Schuldvorwurf bestehen, wie bei einer Untat, oder in einem Rechtsstreit, wie bei einer Erbschaft, oder in einer Uberlegung, wie bei einem Krieg, oder in einer Personlichkeit, wie bei einer Lobrede, oder in einem Meinungsstreit, wie bei der Frage nach der rechten Lebensweise, es gibt nichts, wobei man nicht entweder fragt, was war, beziehungsweise ist und sein wird, oder welcher Art es ist, oder wie es bezeichnet wird.« (Cic. de or. 2, 102–104)
The German Quarterly, May 1, 1982
Rhetorik, Nov 22, 2022
The article focuses on the role of psychological topics in the efforts of persuasion. Even Aristo... more The article focuses on the role of psychological topics in the efforts of persuasion. Even Aristoteles mentioned psychology as an important part of rhetoric, but the research results of social psychology has been neglected during the adaption of rhetoric in the modern age. Introducing topics of this field, the article discusses exemplarily ways that lead to conviction, and that have been explored and described by different psychologist, with a special focus on Robert Cialdini’s „weapons of influence“ in his Psychology of Persuasion. The integration of the insights of social psychologists could lead to a new coalescence of the rhetorica docens and the rhetorica utens, helping to raise practical rhetoric on a more ambitious level.
J.B. Metzler eBooks, 1994
Die Geschichte der Rhetorik beginnt, so die Uberlieferung, mit den Sizilianern Korax und Teisias ... more Die Geschichte der Rhetorik beginnt, so die Uberlieferung, mit den Sizilianern Korax und Teisias im 5. Jahrhundert vor Christus. Zwar hatte es die praktische Redekunst schon immer gegeben (auch bei Homer spielt sie eine Rolle, so das einige Rhetoren in ihm den Begrunder der Beredsamkeit sehen wollten), die beiden Sizilianer aber waren die ersten, die sich theoretisch mit der uberzeugenden Rede und besonders mit dem Wahrscheinlichkeitsschlus[1] befasten. Cicero (106–43 v. Chr.) sah spater, Aristoteles (384–322 v. Chr.) folgend, den Grund fur das aufkommende Interesse an der Beredsamkeit darin, das »nach Abschaffung der Tyrannen in Sizilien Privatangelegenheiten nach langer Unterbrechung wieder bei den Gerichten angebracht wurden«[2], und er betonte weiter den »scharfen Blick« dieses Volkes bei dem »ihm von Natur innewohnenden Hange zum Streiten«[3].
J.B. Metzler eBooks, 2011
J.B. Metzler eBooks, 2011
Die Geschichte der Rhetorik im Mittelalter ist gepragt durch das Zusammentreffen der uberkommenen... more Die Geschichte der Rhetorik im Mittelalter ist gepragt durch das Zusammentreffen der uberkommenen antiken Kultur mit der christlichen Lehre. Der Kirchenvater Hieronymus (ca. 345–420) verglich das christliche Erbe an den Wissensdisziplinen der Antike mit der Behandlung einer gefangenen Frau.[1] Er deutete eine Bibelstelle allegorisch und lieferte damit ein im Mittelalter oft wiederholtes Argument: Wer in einem Kriege Gefangene genommen und ein mitgefangenes »Weib von schoner Gestalt« liebgewonnen habe, der mag sie getrost in sein Haus nehmen. »Und sie schere dann ihr Haupt, beschneide ihre Fingernagel, lege ihre Gefangenenkleidung ab, verbleibe in deinem Hause und betrauere noch einen Monat lang ihren Vater und ihre Mutter. Danach magst du zu ihr eingehen und sie ehelichen, das sie dein Weib sei.«[2]
J.B. Metzler eBooks, 1986
Inventio ist die Bezeichnung fur das Auffinden der Gedanken und stofflichen Moglichkeiten, die si... more Inventio ist die Bezeichnung fur das Auffinden der Gedanken und stofflichen Moglichkeiten, die sich aus einem Thema bzw. aus einer Fragestellung entwickeln lassen. Voraussetzung dafur ist das sorgfaltige, grundliche Studium aller Umstande, die mit der zu behandelnden Sache in Zusammenhang stehen; der erste Schritt liegt deshalb in der intellectio (das Erkennen des Redegegenstandes): dem Aufnehmen, Verstehen und Beurteilen des Vorgegebenen. »Sobald ich den Gegenstand der Rechtssache grundlich erforscht habe, so tritt mir sogleich der eigentliche Streitpunkt vor die Seele« (Cic. de or. 2,24,104; vgl. auch Cic. de or. 2,50,132). Dieses Erkennen des Streitpunktes ist wichtig fur das Auffinden passender Gedankengange und sicherer Beweise. Sie sollen — hinsichtlich der geforderten Mannigfaltigkeit der Rede (s. Cic. de or. 2,41,177) und ihrer drei Uberzeugungsmittel des docere (belehren), delectare (unterhalten) und movere (bewegen, mitreisen) — reichhaltig sein.
J.B. Metzler eBooks, 2011
Renaissance, Humanismus, Reformation, Klassizismus, schlieslich Barock — das sind noch nicht alle... more Renaissance, Humanismus, Reformation, Klassizismus, schlieslich Barock — das sind noch nicht alle Bezeichnungen, mit denen man den Zeitraum zwischen dem Ausgang des Mittelalters und der Fruhaufklarung begrifflich hat fassen wollen, sie alle benennen bestimmte charakteristische Eigentumlichkeiten, ob sie mehr das Gewicht auf die Aneignung der Antike, auf den Umbruch im religiosen Denken oder auf einen stilistischen Grundzug legen, doch keine umfast die gesamte Zeitspanne von drei Jahrhunderten. Dennoch berechtigen die einheitlichen Merkmale, die ihre Kultur ausgepragt hat, dazu, sie als eine Gesamtheit historischer Tendenzen zu betrachten, die trotz aller unterschiedlichen Zuge (etwa mehr klassizistischer oder mehr barocker Richtung) einen gemeinsamen Ursprung haben und in ihm einen gemeinsamen Nenner enthalten.
J.B. Metzler eBooks, 1986
Der wahre Redner ist, im Sinne Quintilians, in erster Linie immer Piidagoge: Aus Griinden der Erz... more Der wahre Redner ist, im Sinne Quintilians, in erster Linie immer Piidagoge: Aus Griinden der Erziehung, und nicht urn des sophistischen Blendungsspiels willen, hat Lessing so sehr die witzigen A pori en geschiitzt-sie dienten seinem Appell, das Gegebene nicht als Fatalitiit aufzufassen, sondern immer auch das Gegenteil zu bedenken, sich auszumalen, die Welt ware anders als jetzt, das Potentielle sei praktikabel und die Dinge stiinden plotzlich auf dem Kopf.
J.B. Metzler eBooks, 2005
1. Die Frage nach Eigenart und Sinngehalt der Rhetorik begleitet die Redekunst seit ihren Anfange... more 1. Die Frage nach Eigenart und Sinngehalt der Rhetorik begleitet die Redekunst seit ihren Anfangen; es ist immer (anders als etwa bei der ahnlich gewichtigen Frage nach dem Wesen der Philosophie) ein zweifelnder Unterton darin, der nicht nur den Gegenstandsbereich, das Erfahrungswissen, Abgrenzungsprobleme oder die Methode betrifft, sondern auch die Berechtigung der Rhetorik als einer eigenen, selbstandigen und gesellschaftlich nutzlichen Disziplin. Schon die antiken Rhetoriker verbanden die Erorterung dieser Frage mit ethischen Reflexionen, und Quintilian, der bedeutendste Lehrer der Beredsamkeit im kaiserlichen Rom, hat sein erstes, leider verlorenes Buch uber den Verfall der Beredsamkeit geschrieben (»De causis corruptae eloquentiae«); gleich zu Beginn seiner zwolf Bucher uber »Die Ausbildung des Redners« (»Institutionis oratoriae«), dem wichtigsten rhetorischen Lehrwerk der europaischen Geschichte, erortert er den Zusammenhang von Ethik und Rhetorik: »Denn ich mochte nicht zugeben, die Redenschaft uber rechtes, ehrbares Leben sei, wie einige gemeint haben, der Zustandigkeit der Philosophen zuzuweisen […]. Deshalb mochte ich […] entschieden dafur eintreten, das diese Dinge von Rechts wegen wirklich unsere Sache sind und ihrem eigentlichen Wesen nach zur Redekunst gehoren.« (Vorrede, 10f.) Quintilian schliest sich ausdrucklich Platons Meinung an, wenn er die Kenntnis der Gerechtigkeit als Voraussetzung rhetorischer Vollkommenheit dekretiert. Sicher ist jedenfalls, das die Redekunst nach ihrer rein technisch-wissenschaftlichen Seite hin keine Gewahr gegen ihren Misbrauch bietet — sie teilt damit freilich das Schicksal aller anderen Disziplinen, keine Natur- und keine Geisteswissenschaft, die davon ausgenommen ist.
J.B. Metzler eBooks, 1994
J.B. Metzler eBooks, 2011
»Die Rhetorik stelle also das Vermogen dar, bei jedem Gegenstand das moglicherweise Glaubenerweck... more »Die Rhetorik stelle also das Vermogen dar, bei jedem Gegenstand das moglicherweise Glaubenerweckende zu erkennen. Denn dies ist die Funktion keiner anderen Theorie. Jede andere namlich will uber den ihr zukommenden Gegenstand belehren und uberzeugen: wie die Medizin uber das, was gesund bzw. krank ist, die Geometrie uber die Vorgange, die die Grose betreffen, die Arithmetik uber die Zahl und in gleicher Weise auch die ubrigen theoretischen Anweisungen und Wissenschaften. Die Theorie der Beredsamkeit dagegen scheint sozusagen in der Lage zu sein, das Glaubenerweckende an jedem vorgegebenen Gegenstand zu untersuchen. Darum behaupten wir auch von ihr, das sie kein ihr eigenes, auf eine bestimmte Gattung beschranktes Gebiet theoretischer Anweisungen besitzt.« (Ar. Rhet. I,2,1 [1355b])
J.B. Metzler eBooks, 1994
Die Suche nach Gedanken, Argumenten und Beweisen, die man besser inventorische Forschung nennt, w... more Die Suche nach Gedanken, Argumenten und Beweisen, die man besser inventorische Forschung nennt, weil sie methodisches Vorgehen ebenso wie Findigkeit und Einfallsreichtum erfordert, zielt auf das Finden und Erfinden moglichst aller zweckdienlichen sich aus einer Sache ergebenden Moglichkeiten zu ihrer rednerischen Ausfuhrung. Der Redner wird sich also zunachst so umfassend wie moglich uber das ihm gestellte Thema, seinen Fall informieren. Cicero, die Gerichtsrede als Beispiel vor Augen, schildert sein praktisches Vorgehen: »Ich fur meinen Teil bemuhe mich zumeist darum, das jeder mich selbst uber sein Anliegen unterrichtet und das kein anderer dabei ist, damit er um so freier reden kann. Dabei vertrete ich gewohnlich den Standpunkt des Gegners, damit er seinen eigenen verteidigt und alles vorbringt, was er sich zu seinem Fall gedacht hat. So ubernehme ich, wenn er gegangen ist, vollkommen unparteiisch drei Rollen in einer einzigen Person, die meine, die des Gegners und die des Richters. Wenn ein Gesichtspunkt derart ist, das er mehr nutzt als schadet, beschliese ich ihn vorzubringen; das worin ich mehr Negatives als Positives finde, verwerfe ich vollkommen und lasse es beiseite. Damit erreiche ich, das ich erst uberlegen kann, was ich zu sagen habe, und dann rede. Diese beiden Dinge tun die meisten im Vertrauen auf ihr Talent gleichzeitig. Doch wurden sie erheblich besser reden, wenn sie der Meinung waren, sie sollten sich erst Zeit zum Uberlegen und dann zum Reden nehmen. Sobald ich einen Fall und Sachverhalt erst grundlich kenne, zeigt sich mir sogleich der springende Punkt in der Auseinandersetzung.
J.B. Metzler eBooks, 1994
Verlag J.B. Metzler eBooks, 2005
J.B. Metzler eBooks, 1994
J.B. Metzler eBooks, 2011
J.B. Metzler eBooks, 2011
Die Suche nach Gedanken, Argumenten und Beweisen, die man besser inventorische Forschung nennt, w... more Die Suche nach Gedanken, Argumenten und Beweisen, die man besser inventorische Forschung nennt, weil sie methodisches Vorgehen ebenso wie Findigkeit und Einfallsreichtum erfordert, zielt auf das Finden und Erfinden moglichst aller zweckdienlichen sich aus einer Sache ergebenden Moglichkeiten zu ihrer rednerischen Ausfuhrung. Der Autor wird sich also zunachst so umfassend wie moglich uber das ihm gestellte Thema, seinen Fall informieren. Cicero, die Gerichtsrede als Beispiel vor Augen, schildert sein praktisches Vorgehen: »Ich fur mein Teil bemuhe mich zumeist darum, das jeder mich selbst uber sein Anliegen unterrichtet und das kein anderer dabei ist, damit er um so freier reden kann. Dabei vertrete ich gewohnlich den Standpunkt des Gegners, damit er seinen eigenen verteidigt und alles vorbringt, was er sich zu seinem Fall gedacht hat. So ubernehme ich, wenn er gegangen ist, vollkommen unparteiisch drei Rollen in einer einzigen Person, die meine, die des Gegners und die des Richters. Wenn ein Gesichtspunkt derart ist, das er mehr nutzt als schadet, beschliese ich ihn vorzubringen; das, worin ich mehr Negatives als Positives finde, verwerfe ich vollkommen und lasse es beiseite. Damit erreiche ich, das ich erst uberlegen kann, was ich zu sagen habe, und dann rede. Diese beiden Dinge tun die meisten im Vertrauen auf ihr Talent gleichzeitig. Doch wurden sie bestimmt erheblich besser reden, wenn sie der Meinung waren, sie sollten sich erst Zeit zum Uberlegen und dann zum Reden nehmen. Sobald ich einen Fall und Sachverhalt erst grundlich kenne, zeigt sich mir sogleich der springende Punkt in der Auseinandersetzung. Denn es gibt keine Auseinandersetzung zwischen Menschen, mag der Kern in einem Schuldvorwurf bestehen, wie bei einer Untat, oder in einem Rechtsstreit, wie bei einer Erbschaft, oder in einer Uberlegung, wie bei einem Krieg, oder in einer Personlichkeit, wie bei einer Lobrede, oder in einem Meinungsstreit, wie bei der Frage nach der rechten Lebensweise, es gibt nichts, wobei man nicht entweder fragt, was war, beziehungsweise ist und sein wird, oder welcher Art es ist, oder wie es bezeichnet wird.« (Cic. de or. 2, 102–104)
The German Quarterly, May 1, 1982
Rhetorik, Nov 22, 2022
The article focuses on the role of psychological topics in the efforts of persuasion. Even Aristo... more The article focuses on the role of psychological topics in the efforts of persuasion. Even Aristoteles mentioned psychology as an important part of rhetoric, but the research results of social psychology has been neglected during the adaption of rhetoric in the modern age. Introducing topics of this field, the article discusses exemplarily ways that lead to conviction, and that have been explored and described by different psychologist, with a special focus on Robert Cialdini’s „weapons of influence“ in his Psychology of Persuasion. The integration of the insights of social psychologists could lead to a new coalescence of the rhetorica docens and the rhetorica utens, helping to raise practical rhetoric on a more ambitious level.
J.B. Metzler eBooks, 1994
Die Geschichte der Rhetorik beginnt, so die Uberlieferung, mit den Sizilianern Korax und Teisias ... more Die Geschichte der Rhetorik beginnt, so die Uberlieferung, mit den Sizilianern Korax und Teisias im 5. Jahrhundert vor Christus. Zwar hatte es die praktische Redekunst schon immer gegeben (auch bei Homer spielt sie eine Rolle, so das einige Rhetoren in ihm den Begrunder der Beredsamkeit sehen wollten), die beiden Sizilianer aber waren die ersten, die sich theoretisch mit der uberzeugenden Rede und besonders mit dem Wahrscheinlichkeitsschlus[1] befasten. Cicero (106–43 v. Chr.) sah spater, Aristoteles (384–322 v. Chr.) folgend, den Grund fur das aufkommende Interesse an der Beredsamkeit darin, das »nach Abschaffung der Tyrannen in Sizilien Privatangelegenheiten nach langer Unterbrechung wieder bei den Gerichten angebracht wurden«[2], und er betonte weiter den »scharfen Blick« dieses Volkes bei dem »ihm von Natur innewohnenden Hange zum Streiten«[3].
J.B. Metzler eBooks, 2011
J.B. Metzler eBooks, 2011
Die Geschichte der Rhetorik im Mittelalter ist gepragt durch das Zusammentreffen der uberkommenen... more Die Geschichte der Rhetorik im Mittelalter ist gepragt durch das Zusammentreffen der uberkommenen antiken Kultur mit der christlichen Lehre. Der Kirchenvater Hieronymus (ca. 345–420) verglich das christliche Erbe an den Wissensdisziplinen der Antike mit der Behandlung einer gefangenen Frau.[1] Er deutete eine Bibelstelle allegorisch und lieferte damit ein im Mittelalter oft wiederholtes Argument: Wer in einem Kriege Gefangene genommen und ein mitgefangenes »Weib von schoner Gestalt« liebgewonnen habe, der mag sie getrost in sein Haus nehmen. »Und sie schere dann ihr Haupt, beschneide ihre Fingernagel, lege ihre Gefangenenkleidung ab, verbleibe in deinem Hause und betrauere noch einen Monat lang ihren Vater und ihre Mutter. Danach magst du zu ihr eingehen und sie ehelichen, das sie dein Weib sei.«[2]
J.B. Metzler eBooks, 1986
Inventio ist die Bezeichnung fur das Auffinden der Gedanken und stofflichen Moglichkeiten, die si... more Inventio ist die Bezeichnung fur das Auffinden der Gedanken und stofflichen Moglichkeiten, die sich aus einem Thema bzw. aus einer Fragestellung entwickeln lassen. Voraussetzung dafur ist das sorgfaltige, grundliche Studium aller Umstande, die mit der zu behandelnden Sache in Zusammenhang stehen; der erste Schritt liegt deshalb in der intellectio (das Erkennen des Redegegenstandes): dem Aufnehmen, Verstehen und Beurteilen des Vorgegebenen. »Sobald ich den Gegenstand der Rechtssache grundlich erforscht habe, so tritt mir sogleich der eigentliche Streitpunkt vor die Seele« (Cic. de or. 2,24,104; vgl. auch Cic. de or. 2,50,132). Dieses Erkennen des Streitpunktes ist wichtig fur das Auffinden passender Gedankengange und sicherer Beweise. Sie sollen — hinsichtlich der geforderten Mannigfaltigkeit der Rede (s. Cic. de or. 2,41,177) und ihrer drei Uberzeugungsmittel des docere (belehren), delectare (unterhalten) und movere (bewegen, mitreisen) — reichhaltig sein.
J.B. Metzler eBooks, 2011
Renaissance, Humanismus, Reformation, Klassizismus, schlieslich Barock — das sind noch nicht alle... more Renaissance, Humanismus, Reformation, Klassizismus, schlieslich Barock — das sind noch nicht alle Bezeichnungen, mit denen man den Zeitraum zwischen dem Ausgang des Mittelalters und der Fruhaufklarung begrifflich hat fassen wollen, sie alle benennen bestimmte charakteristische Eigentumlichkeiten, ob sie mehr das Gewicht auf die Aneignung der Antike, auf den Umbruch im religiosen Denken oder auf einen stilistischen Grundzug legen, doch keine umfast die gesamte Zeitspanne von drei Jahrhunderten. Dennoch berechtigen die einheitlichen Merkmale, die ihre Kultur ausgepragt hat, dazu, sie als eine Gesamtheit historischer Tendenzen zu betrachten, die trotz aller unterschiedlichen Zuge (etwa mehr klassizistischer oder mehr barocker Richtung) einen gemeinsamen Ursprung haben und in ihm einen gemeinsamen Nenner enthalten.
J.B. Metzler eBooks, 1986
Der wahre Redner ist, im Sinne Quintilians, in erster Linie immer Piidagoge: Aus Griinden der Erz... more Der wahre Redner ist, im Sinne Quintilians, in erster Linie immer Piidagoge: Aus Griinden der Erziehung, und nicht urn des sophistischen Blendungsspiels willen, hat Lessing so sehr die witzigen A pori en geschiitzt-sie dienten seinem Appell, das Gegebene nicht als Fatalitiit aufzufassen, sondern immer auch das Gegenteil zu bedenken, sich auszumalen, die Welt ware anders als jetzt, das Potentielle sei praktikabel und die Dinge stiinden plotzlich auf dem Kopf.
J.B. Metzler eBooks, 2005
1. Die Frage nach Eigenart und Sinngehalt der Rhetorik begleitet die Redekunst seit ihren Anfange... more 1. Die Frage nach Eigenart und Sinngehalt der Rhetorik begleitet die Redekunst seit ihren Anfangen; es ist immer (anders als etwa bei der ahnlich gewichtigen Frage nach dem Wesen der Philosophie) ein zweifelnder Unterton darin, der nicht nur den Gegenstandsbereich, das Erfahrungswissen, Abgrenzungsprobleme oder die Methode betrifft, sondern auch die Berechtigung der Rhetorik als einer eigenen, selbstandigen und gesellschaftlich nutzlichen Disziplin. Schon die antiken Rhetoriker verbanden die Erorterung dieser Frage mit ethischen Reflexionen, und Quintilian, der bedeutendste Lehrer der Beredsamkeit im kaiserlichen Rom, hat sein erstes, leider verlorenes Buch uber den Verfall der Beredsamkeit geschrieben (»De causis corruptae eloquentiae«); gleich zu Beginn seiner zwolf Bucher uber »Die Ausbildung des Redners« (»Institutionis oratoriae«), dem wichtigsten rhetorischen Lehrwerk der europaischen Geschichte, erortert er den Zusammenhang von Ethik und Rhetorik: »Denn ich mochte nicht zugeben, die Redenschaft uber rechtes, ehrbares Leben sei, wie einige gemeint haben, der Zustandigkeit der Philosophen zuzuweisen […]. Deshalb mochte ich […] entschieden dafur eintreten, das diese Dinge von Rechts wegen wirklich unsere Sache sind und ihrem eigentlichen Wesen nach zur Redekunst gehoren.« (Vorrede, 10f.) Quintilian schliest sich ausdrucklich Platons Meinung an, wenn er die Kenntnis der Gerechtigkeit als Voraussetzung rhetorischer Vollkommenheit dekretiert. Sicher ist jedenfalls, das die Redekunst nach ihrer rein technisch-wissenschaftlichen Seite hin keine Gewahr gegen ihren Misbrauch bietet — sie teilt damit freilich das Schicksal aller anderen Disziplinen, keine Natur- und keine Geisteswissenschaft, die davon ausgenommen ist.
J.B. Metzler eBooks, 1994
J.B. Metzler eBooks, 2011
»Die Rhetorik stelle also das Vermogen dar, bei jedem Gegenstand das moglicherweise Glaubenerweck... more »Die Rhetorik stelle also das Vermogen dar, bei jedem Gegenstand das moglicherweise Glaubenerweckende zu erkennen. Denn dies ist die Funktion keiner anderen Theorie. Jede andere namlich will uber den ihr zukommenden Gegenstand belehren und uberzeugen: wie die Medizin uber das, was gesund bzw. krank ist, die Geometrie uber die Vorgange, die die Grose betreffen, die Arithmetik uber die Zahl und in gleicher Weise auch die ubrigen theoretischen Anweisungen und Wissenschaften. Die Theorie der Beredsamkeit dagegen scheint sozusagen in der Lage zu sein, das Glaubenerweckende an jedem vorgegebenen Gegenstand zu untersuchen. Darum behaupten wir auch von ihr, das sie kein ihr eigenes, auf eine bestimmte Gattung beschranktes Gebiet theoretischer Anweisungen besitzt.« (Ar. Rhet. I,2,1 [1355b])
J.B. Metzler eBooks, 1994
Die Suche nach Gedanken, Argumenten und Beweisen, die man besser inventorische Forschung nennt, w... more Die Suche nach Gedanken, Argumenten und Beweisen, die man besser inventorische Forschung nennt, weil sie methodisches Vorgehen ebenso wie Findigkeit und Einfallsreichtum erfordert, zielt auf das Finden und Erfinden moglichst aller zweckdienlichen sich aus einer Sache ergebenden Moglichkeiten zu ihrer rednerischen Ausfuhrung. Der Redner wird sich also zunachst so umfassend wie moglich uber das ihm gestellte Thema, seinen Fall informieren. Cicero, die Gerichtsrede als Beispiel vor Augen, schildert sein praktisches Vorgehen: »Ich fur meinen Teil bemuhe mich zumeist darum, das jeder mich selbst uber sein Anliegen unterrichtet und das kein anderer dabei ist, damit er um so freier reden kann. Dabei vertrete ich gewohnlich den Standpunkt des Gegners, damit er seinen eigenen verteidigt und alles vorbringt, was er sich zu seinem Fall gedacht hat. So ubernehme ich, wenn er gegangen ist, vollkommen unparteiisch drei Rollen in einer einzigen Person, die meine, die des Gegners und die des Richters. Wenn ein Gesichtspunkt derart ist, das er mehr nutzt als schadet, beschliese ich ihn vorzubringen; das worin ich mehr Negatives als Positives finde, verwerfe ich vollkommen und lasse es beiseite. Damit erreiche ich, das ich erst uberlegen kann, was ich zu sagen habe, und dann rede. Diese beiden Dinge tun die meisten im Vertrauen auf ihr Talent gleichzeitig. Doch wurden sie erheblich besser reden, wenn sie der Meinung waren, sie sollten sich erst Zeit zum Uberlegen und dann zum Reden nehmen. Sobald ich einen Fall und Sachverhalt erst grundlich kenne, zeigt sich mir sogleich der springende Punkt in der Auseinandersetzung.
J.B. Metzler eBooks, 1994
Verlag J.B. Metzler eBooks, 2005
J.B. Metzler eBooks, 1994
J.B. Metzler eBooks, 2011