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Papers by Martin Kirves
Christus als alter ego. Albrecht Dürers Selbstporträt im Pelzrock – eine gemalte Bildtheologie, 2024
Es ist keineswegs vermessen, Albrecht Dürers Selbstporträt im Pelzrock als ‚Mona Lisa des Nordens... more Es ist keineswegs vermessen, Albrecht Dürers Selbstporträt im Pelzrock als ‚Mona Lisa des Nordens‘ zu bezeichnen, da sein Gemälde eine ebenso intensive Bannkraft entfaltet wie Leonardo da Vincis Werk. Allerdings ist nicht das Lächeln der schönen Unbekannten, sondern der durchdringende Blick das Rätselhafte des Bildes. Ein Blick, dem wir uns – auch nach über 500 Jahren – kaum zu entziehen vermögen. Doch wem gilt der Blick und ist es einzig Dürer, der aus dem Bild herausschaut? Sind womöglich wir selbst im Blick präsent und in diesem Sinne in Dürers Selbstbildnis mit abgebildet? Ergründen Sie mit mir diese Rätselhaftigkeit von Dürers Hauptwerk…
Die Gegenständlichkeit der Skulptur. Überlegungen zur Spezifik des Skulpturalen, 2020
Eine Theorie der Skulptur kommt nicht umhin, nach dem Spezifischen der Skulptur zu fragen, also n... more Eine Theorie der Skulptur kommt nicht umhin, nach dem Spezifischen der Skulptur zu fragen, also nach dem, was die Skulptur als solche auszeichnet und dadurch von anderen Künsten unterscheidet. Der vorliegende Aufsatz unternimmt den Versuch, eben dieses Spezifische näher zu bestimmen.
Nazarener vor allem als historische Zeugnisse angesehen werden? Beginnen wir mit der Betrachtung ... more Nazarener vor allem als historische Zeugnisse angesehen werden? Beginnen wir mit der Betrachtung des Bildes und lassen uns auf seine Wirkung ein. Was wir sehen, ist nicht viel: den Strand mit dem Mönch, das Meer und den Himmel. Das Bild ist in drei Zonen aufgeteilt. Diese bilden aber keine für sich bestehenden Bereiche, sondern sind von Friedrich in ein kaum zu steigerndes formales Spannungsverhältnis gesetzt, das sich unmittelbar inhaltlich auswirkt. Der Mönch steht an der Spitze einer dünenartigen, sich keilförmig in die Tiefe schiebenden Strandlandschaft. Der weiße Sand hebt sich vom dunklen Wasser des Meeres auf eine beinahe zum Schwarz-Weiß-Kontrast gesteigerten Weise ab. Friedrich stellt den Mönch vor das nahezu schwarze Dunkel und damit an das Ende der Welt. Finis terrae ohne plus ultra -das Ende des Landes ohne ein Ufer jenseits der Dunkelheit. Und die Dunkelheit ist progressiv. Die Wolken ziehen sich zu einer dunklen Wand zusammen, die der Dunkelheit des Meeres entspricht, so dass sich die Konturlinie zwischen den beiden Bereichen aufzulösen beginnt: eine apokalyptische Vermählung zwischen Himmel und Erde, die auch das letzte Stück Land, auf dem der Mönch steht, und damit diesen selbst vereinnahmen wird. Seine ebenfalls dunkle Gestalt ragt schon jetzt ins Dunkel hinein, wo der helle Kopf ein nichtiger Partikel ist und -wie die Schaumkronen -vergehen wird. Der Mönch ist, wie Heinrich von Kleist es formuliert, "der einzige Lebensfunke im weiten Reiche des Todes, der einsame Mittelpunct im einsamen Kreis." 3 Ein Mittepunkt allerdings, der selbst der Auflösung anheimgegeben ist und von dem auch auf der Welt nichts hinterbleibt, da in ihr -wie das Bild vor Augen führt -nichts Bestand hat. "Tief zwar sind deine Fußstapfen am öden sandigen Strandte", bemerkt Friedrich zu seinem eigenen Bild, "doch ein leiser Wind weht darüber hin, und deine Spuhr wird nicht mehr gesehen: Thörigter Mensch voll eitlem Dünkel!" 4 Der Mönch am Meer ist ein Vanitas-Bild, das die eigene Endlichkeit als Bilderfahrung vor Augen stellt. 3 Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft. Caspar David Friedrichs Gemälde "Der Mönch am Meer" betrachtet von Clemens Brentano, Achim von Arnim und Heinrich von Kleist, Ausst.-Kat. Kleist-Museums Frankfurt (Oder), hg. v. Lothar Jordan u. Hartwig Schultz, Frankfurt (Oder) 2004, S. 43. Der Katalog bietet einen synoptischen Druck des von Clemens Brentano und Achim von Arnim gemeinsam verfassten Textes mit Heinrich von Kleists überarbeiteter Fassung. 4 Caspar David Friedrich, Die Briefe, hg. v. Hermann Zschoche, Hamburg 2005. S. 64.
Kunstwerke eröffnen einen Imaginationsraum, in welchem sich ein Wechselverhältnis zwischen dem We... more Kunstwerke eröffnen einen Imaginationsraum, in welchem sich ein Wechselverhältnis zwischen dem Werk und seinem Alois Riegls Konzept eines numinosen "Kunstwollens"" mit Heinrich Wölfflins "Geschichte der Sehformen"'2 zu einem "Willen des Sehens"'5 zusammengeschlossen, um die Kunst werke an ein sie bedingendes Weltbild zurückzubinden und so gegenüber der formalistischen Kunstgeschichte den nun durchaus auf konkrete historische Akteure zu beziehenden Inhalt als formierendes Prinzip zu rehabilitieren. Wollte Dehio den "Willen zum Sehen" in seinen jeweiligen historischen Ausprägungen untersuchen, wird er nunkonsequenterweise -auf der Ebene des kunsthistorischen Blicks thematisch. Das Gewahren der Relativität der eigenen Perspektive gebiert einen kollektiv virulenten Willen zum Sehen, in dessen ausrichtende Verfügungsgewalt die Naumburger Statuen geraten. Im Folgenden soll den historisch formierten Apriori dieses Blicks auf Naumburg nachgegangen werden, die eine Per spektive generierten, innerhalb der sich ein qualitativer Um schlag ereignen konnte, welcher in der Begriffsdifferenz von "Deuten" und "Umdeuten" manifest wird. Dabei erlaubt die hier gebotene Beschränkung einzig, auf einige wesentliche Aspekte dieser in sich durchaus heterogenen Sichtweise ein zugehen, Aspekte, die aufgrund ihrer Verflochtenheit nicht in chronologischer Abfolge, sondern als Bündelungen darge stellt werden.14 In einer ersten Annäherung soll versucht wer den, der fraglichen Perspektive, in welche sich die einzelnen Aspekte einzulagern vermochten, eine Kontur zu geben. REMBRANDT IN NAUMBURG Verwundert stößt der heutige Leser auf den auch über 1945 hinaus omnipräsenten Vergleich des Naumburger Meisters mit Rembrandt. So formuliert etwa Wilhelm Pinder gleich ein gangs seines Naumburg-Buches (1925) ihre innere Verwandt schaft.'5 Um diese zu belegen, greift er zur Charakterisierung der Skulptur immer wieder auf Rembrandt zurück, wobei er die Konvergenzen in Sphären der Subtilität hineintreibt, die sich einer kritischen Bezugnahme entziehen. So präpariert er beispielsweise angesichts des "Kopfes mit der Binde" Form eigenschaften heraus, wie sie auch "die Farben des späten Rembrandt" aufwiesen.'6 Dass der Rembrandt-Vergleich nicht punktueller, sondern prinzipieller Art ist, verdeutlicht eine Argumentation Hermann Beenkens. Um die Mainzer und die Naumburger Werke trotz hervorgehobener stilistischer Differenzen als Schöpfungen aus der Werkstatt desselben Meisters zu plausibilisieren, weist er auf die Entwicklungssprünge innerhalb von Rembrandts duvre hin,'7 womit er Werkentwicklung und Werkprozess des im 13. Jahrhundert tätigen Bildhauers mit denjenigen des im 17. Jahrhundert wirkenden holländischen Malers parallelisiert und indirekt gleichsetzt. Stets zielt diese Überblendung, die das Gleichzeitige des Ungleichzeitigen behauptet, darauf, die Naumburger Werke auf eine Tiefendimension hin zu öffnen, deren Gehalt sich aus Werkerfahrungen Rembrandts speisen soll. Entsprechend bemerkt Hans Jantzen angesichts der "bäu rischen Physiognomien" der Lettnerreliefs: "Rembrandt ver steht es, aus dem Alltag des Lebens den tieferen Sinn des Ge schehens herausleuchten zu lassen. Und etwas davon treffen zieht sich Dehio im Vorwort zur Geschichte der deutschen Kunst: "Die Wissenschaft geht vom Objekt, die Bildung vom Subjekt aus. [...] Die Wissenschaft ist ihrem Wesen nach über national; Bildung entsteht nur auf dem Boden, in dem die Persönlichkeit ruht, dem Boden der Nation."78 Ganz in diesem Sinne hatte Langbehn den Weg zur nationalen Wiedergeburt darin gesehen, dass "die jetzige deutsche Gelehrtenbildung zu einer künftigen deutschen Volksbildung werden [muss]".79 Die damit einhergehende Annäherung von wissenschaftlicher und populärer Literatur-ein typischer Zug der Zeit-realisiert sich in den groß angelegten Synthesen von Dehios und Pinders für das Volk geschriebenen Hauptwerken. Damit geht zugleich die Etablierung einer neuen, sich von der Wissenschaft ab setzenden Sprache einher, der selbst künstlerische Qualitäten zu eigen sein müssen, um die nahezubringenden Kunstwerke aufzuschließen. "Jede rechte Bildung", so Langbehn, "ist bil dend, formend, schöpferisch und also künstlerisch."80 Daher habe die Geschichte der deutschen Kunst, wie Dehio in ihrer Vorankündigung bemerkt, das Werk eines Einzelnen zu sein.81 Es folgen Kostproben, auf welche Weise Pinder den Imagi nationsraum durch seine Sprachkraft aufschließt und zu gleich projektiv überblendet. Die Naumburger Lettnerkapi telle charakterisiert er mit den Worten: "Es ist, als ob Metall in ihren Adern geflossen, aber erstarrt wäre. Es ist rassiges Leben, aber stilistisches, kein gewöhnliches, von dem ge panzerten Gefühl einer ritterlichen Zeit zum Ausdruck feins ter Spannung schwertscharf ausgefeilt."82 Und angesichts des Judas, dem die Silberlinge ausbezahlt werden, heißt es: "Diese breiten Kinnbacken sind Naumburger Stil, durchaus schon vorgeformt in Mainz, nun aber entschieden noch ver schärft. Das gehört gewiß zu dem stämmigen Körpergefühl, zu dem ächzend schweren sich Durchfühlen-und-durchwühlen des Künstlers, der seine Köpfe wie zähes Ackerland durch pflügt, der seine Gewänder als mauerhafte Blöcke bildet, in die er die Falte nicht als dünnen Steg, sondern als flache Mul de hineinkeilt."83 Auch wenn für eine weitergehende Analyse der Passagen hier nicht der Ort ist, ist doch offensichtlich, dass dieses Deuten vermittels eines sorgsam ausgewählten assoziationsreichen Vokabulars ein Umdeuten gewesen ist, das sich durch die eingangs erwähnte Neuschreibungder Geschichte legitimiert sah. Besonders auffällig wird dieser Umstand im Vergleich mit den Texten Vöges, auf dessen vom tektonischen Block ausgehenden Beschreibungen sich Pinder in seinen Charak terisierungen bezieht. Während sich Vöge mit einer sprach-
Martin Kirves (Basel) Der Künstler als zentrale Randfigur. Benjamin Wests The Family ofthe Artist... more Martin Kirves (Basel) Der Künstler als zentrale Randfigur. Benjamin Wests The Family ofthe Artist und Daniel Nikolaus Chodowieckis Cabinet d'un peintre: zwei programmatische >Familienstücke< »Ich schätze alles, was [die Engländer] Gutes heraus geben, und kaufe davon, so viel mein Beutel es erlaubt; nur Wests Familienstück nicht.«1 Mit diesen Worten be schließt Daniel Nikolaus Chodowiecki die 1780 verfasste Beschreibung seines künst lerischen Werdegangs. Was hatte ihn an dem Gemälde Benjamin Wests, welches Chodowiecki als Schabkunstblatt bekannt geworden ist (Abb. 1), derart gestört, dass er ein solch harsches Urteil äußerte? 1
This article sets out to question the notion oftopos regarding its affinity to pictorial represen... more This article sets out to question the notion oftopos regarding its affinity to pictorial representation due to the implicit intersection between locus and argumentum. On the basis of the image se- quence created by the Sadeler brothers, various pictorial embodiments of the topoi “desert" and “hermit” will be discussed in a secondStep. The inner relationships in these embodiments, I will argue, present the possibility of pictorial manifestations to transform the inherent locus into the topos. Furthermore, this transformation, with the assistance of the rhetorical capacity ofthe image, brings about a heightened understanding ofthe content of the topos.
Um 1800 ereignet sich in der Malerei ein Umbruch, für den gemeinhin die beiden folgenden prominen... more Um 1800 ereignet sich in der Malerei ein Umbruch, für den gemeinhin die beiden folgenden prominenten Zeugnisse angeführt werden. Im Februar 1802, ein halbes Jahr nach seinem Wechsel von der Kopenhagener an die Dresdener Kunstakademie, teilt Philipp Otto Runge seinem Vater diesen Lagebericht mit: «[...] wir stehen am Rande aller Religionen, die aus der Katholischen entsprangen, die Abstractionen gehen zu Grunde, alles ist luftiger und leichter, als das bisherige, es drängt sich alles zur Landschaft, sucht etwas bestimmtes in dieser Unbestimmtheit und weiss nicht, wie es anzufangen? sie greifen falsch wieder zur Historie, und verwirren sich.»1 Die Darlegung der Problemstellung, mit der sich die Kunst konfrontiert sieht, weist zugleich den von Runge eingeschlagenen Lösungsweg: Werden die Künstler zur Landschaftsmalerei gedrängt, da die Kirche und mit ihr die traditionelle Sakralmalerei die Religion nicht mehr lebendig zu erhal ten vermag, kann aus der von Runge beklagten Unbestimmtheit der Land schaft nur eine neue Form der Bestimmtheit hervorgehen, wenn sich die Landschaftsmalerei ihrerseits des nunmehr institutionell ungebundenen religiösen Gehalts bemächtigt und ihm mit den ihr eigenen Mitteln einen angemessen Ausdruck zu verleihen sucht.
Friedrichs früher Sepia-Zyklus
Es scheint vermessen, gerade die Rocaille als ein Phänomen der Aufklärung untersuchen zu wollen, ... more Es scheint vermessen, gerade die Rocaille als ein Phänomen der Aufklärung untersuchen zu wollen, gilt doch der zeitgenössischen Kritik die Rocaille als etwas per se Irrationales, dasanstatt aufzuklärenden Verstand verdunkle. Und diese Kritik ist bekanntlich von weitreichender Bedeutung. Auch wenn sie sich historisch an der Rocaille entzündet hat, ist sie offensichtlich nicht allein bezüglich der Rocaille stichhaltig, sondern kann gegen das Ornament als solches hervorgebracht werden, so dass spätestens mit dem Wiederaufgreifen der aufklärerischen Kritik durch Adolf Loos und dessen reinigender Befreiung des Werks vom Ornament, das Ornament unter dem generellen Irrationalitätsverdacht des überflüssi gen Beiwerks steht.1 Unter diesen Vorzeichen vermag das Ornament das bereits ohne dessen Hinzufügung in sich vollendete Werk einzig zu verstellen, wodurch die Sache selbst und damit die ihr eigene Rationalitätschlimmstenfalls um einer ideologischen Instrumentalisierung willenmaskiert und mit einem falschen Schein versehen wird. Hierin gründet das gefähr liche rhetorische Potenzial des Ornaments, weshalb die Ornamentkritik der Aufklärung an eine generelle Kritik an der Rhetorik zurückgebunden war.2 1 Loos 1997 (1908], 78-88. 2 Vgl. dazu: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 7, 2005, Sp. 1523-1529. Über die Rückbindung des Be griffs >Ornament< an die Kategorien der antiken Rhetorik informiert Uta Coburger (Coburger 2011, 39-47). Siehe für diesen Zusammenhang auch den auf die rhetorische Dimension des Ornaments zugeschnittenen, von Isabella Frank und Freia Hartung herausgegebenen Band Die Rhetorik des Ornaments (Frank, Hartung 2001). Über das Verständnis des Ornament-Begriffs und seiner Synonyma in den neuzeitlichen Architekturtraktaten erteilt Ulrich Schütte Auskunft und weist dabei auf die heutige Verengung des Ornament-Begriffs gegenüber seiner früheren umfassenderen Verwendung hin (Schütte 1986, 22-39).
Gemäß seiner traditionellen Bestimmung als Dekorum kommt dem Ornament keine autonome semantische ... more Gemäß seiner traditionellen Bestimmung als Dekorum kommt dem Ornament keine autonome semantische Dimension zu, die unabhängig von dem ihm übergeordneten Werk, dessen dekorativer Teil es ist, Bestand hätte. Um das Ornament als eigenständige Erkenntnisform zu perspektivieren, ist es daher zunächst erforderlich, sein anschauliches Potenzial zu untersuchen, in welches sich ein genuin ornamental vermitteltes Wissen einzulagern vermag. Aus diesem Grund eröffnen wir die Betrachtung mit einer kleinen Phänomenologie des ornamentalen Raums, die wir anhand unseres zentralen Untersuchungsgegenstandes entwickeln werden. 1 Betrachten wir die erste Abbildung, wird unser Blick von dem freigesetzten Bewegungspotenzial der Formenkonfigurationen ergriffen. Dabei schließen sich die einzelnen Elemente zu Wirbelmotiven zusammen, die sich aus der Ebene hervorzuwölben und das Muster über sich selbst hinauszutreiben scheinen, wie es insbesondere am weißen Kranz der oberen Umschlagbewegung zu beobachten ist. Zugleich verbinden sich die Binnenfüllungen der hochzüngelnden Motive jedoch mit dem insgesamt als Fond wirkenden Weiß, wodurch die sich vom Grund loslösenden figurativen Strukturen an den Grund zurückgebunden werden. Dieses Prinzip der figuralen Aktivierung des Grundes bestimmt die gesamte Musterstruktur und wird durch eine Alternation farbiger und weißer Kompartimente ermöglicht, denen das Potenzial als Teil des Grundes oder Teil der Figur zu fungieren zukommt. Die vermittels der konkreten Ausformung und Anordnung der Kompartimente erfolgende Ausrichtung dieser Potenzialität bewirkt, dass sich auf der Ebene der kleinsten Motiveinheiten das dominierende Figur-Grund-Verhältnis umkehrt: Die weißen Kompartimente gewinnen figurale Prägnanz, während die farbigen, sich zur Fläche zusammenschließend, den Grund bilden. Die derart innerhalb der Binnenstrukturen als Fond fungierenden Farbflächen geben aber 1 Die folgenden Überlegungen sind Teil eines laufenden Projekts und haben daher, was die verwendeten Begrifflichkeiten betrifft, einen vorläufigen, eher heuristischen als systematischen Charakter. Auch werden, insbesondere im letzten Teil, Aspekte nur angeschnitten, die einer weiteren Ausführung bedürfen. Ebenfalls in einer bewusst abkürzenden Weise wurden die aus der dargelegten Ornamenttheorie hervorgehenden kunstmethodischen Abzweigungen angezeigt. 5 1. Christopher Dresser, Knowledge is Power, 1862. 6 wiederum jene Makroformen vor, die ihrerseits auf einem weißen Grund zu liegen scheinen. Die Figur-Grund-Relation, die sich durch eine Differenz zweier Ebenen konstituiert, wird folglich keineswegs durch das Ineinssetzen dieser Ebenen nivelliert, vielmehr aktualisiert sie sich innerhalb eines komplexen Wechselverhältnisses immer wieder neu, wobei der Grund gleichsam vor die Figur und die Figur hinter den Grund zu treten vermag. Hieraus resultiert die fluktuierende Lebendigkeit, welche den semantischen Fokus des Musters ausmacht. Um die vermittels des zeitlich indizierten Figur-Grund-Umkehrungsgeschehens entstehende Räumlichkeit näher zu bestimmen, ziehen wir zur Kontrastierung im Folgenden Vergleichsbeispiele heran, um den ornamentalen Raum gemäß seiner konstellativen Möglichkeiten zu durchmessen. Da die fragliche Räumlichkeit prinzipiell der Logik der Figur-Grund-Relation folgt, wird zu ihrer Bestimmung die jeweilige Verfasstheit der Zwischenräumlichkeit ausschlaggebend sein. Zwischenraum meint hier sowohl einen Modus des Hintereinander wie des Nebeneinander. Ersteres, insofern die Figur-Grund-Relation per definitionem ihre Relate in ein tiefenräumliches Verhältnis zueinander setzt; Letzteres, da sich ein Figur-Grund-Verhältnis nur zu etablieren vermag, wenn die Figur den Grund durch ihre im Modus des Nebeneinander formierten Zwischenräume freigibt. Indem es aber der Grund ist, der die vor ihm liegende Ebene als Figur ausweist und der Grund einzig durch die Zwischenräume der Figur Präsenz gewinnt, gibt die Figur nicht allein den Grund durch ihre Zwischenräume frei; sie wird überhaupt erst durch die zwischenräumlich organisierte Logik des Nebeneinander konstituiert. Für den Grund hingegen gilt gerade umgekehrt, dass er keinerlei Zwischenräume aufweisen darf, um sich nicht selbst als etwas vor einem Grund Liegendes zu setzen. Hieraus folgt allerdings nicht, dass der Grund notwendigerweise eine homogene Struktur aufzuweisen hätte. Die Ebenen der Figur und des Grundes können sogar -wie wir sehen werden -ihrerseits eine räumliche Extension aufweisen, ohne dabei das für die Figur-Grund-Relation konstitutive Differenzverhältnis aufzugeben. Beide in ihrem internen Zusammenhang den ornamentalen Raum konstituierenden Aspekte -das tiefenräumliche Verhältnis verschiedener im Modus des 7 Nebeneinander strukturierter Ebenen -ist keineswegs hinreichend, um eine Bestimmung des Ornaments vorzunehmen, da weder eine systematische Abgrenzung zur Schrift noch zum Bild allein raumlogisch möglich ist. Weder die Schrift, bei der das Nebeneinander dominiert, noch das Bild, bei dem das Hintereinander bestimmend ist, schließen die zu untersuchende ornamentale Figur-Grund-Relation kategorial aus. Vielmehr partizipieren sie an dieser, wodurch dem Ornament bereits in raumlogischer Hinsicht die Rolle eines vermittelnden Modus zwischen Schrift und Bild zuwächst. Auch wenn Schrift, Ornament und Bild in dieser Hinsicht in einem graduellen Kontinuitätsverhältnis zueinander stehen, lassen sich innerhalb dieser Kontinuität dennoch qualitative, sie voneinander separierende Sprünge markieren, die im Anschluss an den Gang durch den ornamentalen Raum zu entwickeln wären. Nehmen wir zur Bestimmung des innerornamentalen Raums also weitere konkrete Typen ornamentaler Räumlichkeit in den Blick, um sie hinsichtlich ihrer spezifischen zwiefachen zwischenräumlichen Verhältnisse zu untersuchen. Hatten wir hinsichtlich des betrachteten Musters beobachtet, dass die Figur-Grund-Relation keineswegs eingeebnet wird, artikuliert sich die Figuration andererseits ebenso wenig vor dem Grund, indem sie sich durch ein In-Differenz-Setzen zum Grund als vom Grund unabhängige Figur etablierte, wie dies auf dem der Grammar of Japanese Ornament and Design (1889) Thomas W. Cutlers entnommenem Beispiel der Fall ist (Abb. 2). Hier drängt die vermittels einer kontinuierlichen Selbstartikulation der Figuration initiierte Abstoßungsbewegung vom Grund den Grund zurück. Indem sich die Figuration derart in einer Selbstausdifferenzierungsbewegung vor dem Grund entfaltet, konstituiert sie sich als eine unabhängige Sphäre, die ontologisch in qualitativer Weise vom Grund geschieden ist. Als ihr autopoetisches Prinzip exekutierende Entität erfährt die Figuration eine Substanzialisierung, während der Grund, der einzig die indefinite Artikulationsfläche der Figuration bereitstellt, ontologisch diffundiert. Hier bildet der Grund keine eigenstände mit der Figuration korrespondierende Entität, womit eine ontologische Symmetrie zur Figur gegeben wäre, die es erlaubte, dass der Grund Teil der Figuration zu werden vermag und -wie beim vorherigen Beispiel -die 2. Thomas W. Cutler, A Grammar of Japanese 3. dass. farblich modifiziert Ornament and Design, 1889, Plate 58. autogenetische Bewegung der Figuration durch das Figur-Grund-Verhältnis selbst initiiert würde. Da die im zweiten Beispiel hinzugewonnene ‚Substanzialität' auf der Ebene der Figuration jedoch keine ihren ontologischen Status sichernde Eigenräumlichkeit aufweist, wird die Figur-Grund-Symmetrie trotz der durch die verschiedenen Seinsweisen von Figur und Grund gegebenen Asymmetrie optisch restituiert, woran beide Relate gleichermaßen Anteil haben: Artikuliert sich die Figuration auch als ontologisch unabhängige Sphäre vor dem Grund, wird ihr In-Erscheinung-Treten überhaupt erst durch den Grund als eine mit der Figuration kontrastierende Fläche ermöglicht. Damit ‚materialisiert' sich der ontologisch diffundierende Grund zur opaken Fläche, von der sich die Figuration klar und deutlich abhebt. Zugleich wird der Grund seitens der raumlosen Flachheit der Figuration als ihr optisches Pendant angezogen. Diese doppelte Verfestigung des Grundes zur Fläche erzeugt einen die Prägnanz der Figuration herstellenden Kontrast, bei dem der Grund, 9 durch die Zwischenräume der Figuration scheinend, vordergründig präsent wird. Damit wächst der im Modus des Nebeneiander organisierten Zwischenräumlichkeit das Primat zu, obwohl auch das tiefenräumliche Hintereinander phänomenal in Erscheinung tritt, indem die Figuration vor dem Grund zu schweben scheint. Unmittelbar augenfällig wird das Schweben, sobald Figur und Grund eine andere Einfärbung erhalten (Abb. 3).
Um der Bedeutung des 1 779/80 entworfenen, aber erst 1791 veröffentlichten Totentanzes von Daniel... more Um der Bedeutung des 1 779/80 entworfenen, aber erst 1791 veröffentlichten Totentanzes von Daniel Nikolaus Chodowiecki (Bild 11a/b) auf die Spur zu kom men, gilt es zunächst aufzuzeigen, inwiefern innerhalb seines Werkes die Dar stellung des Todes stets moralische Präliminarien des jeweils gezeigten Sterbens beinhaltet.1 Davon ausgehend, lässt sich sein Totentanz mit dem seines Zeitge nossen Johann Rudolf Schellenberg kontrastieren und zugleich mit dem gemein samen Urbild, Hans Holbeins kanonischen Todesbildern, ins Verhältnis setzen. Chodowiecki war bereits über 40 Jahre alt, als er seinen späten, jedoch fulminanten künstlerischen Durchbruch erlebte. Das Bild, welches ihm selbst im Ausland Bewun derer verschaffte, ist das Vorspiel einer Sterbeszene: Der Abschied des Calas von
Hans Holbeins Bilder des Todes von 1525 gelten gemeinhin als eine vom traditionellen Totentanz ab... more Hans Holbeins Bilder des Todes von 1525 gelten gemeinhin als eine vom traditionellen Totentanz abgelöste Bildfolge. Demgegenüber wird gezeigt, inwiefern das aus 41 Holzschnitten bestehende Werk aus einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Totentanz hervorgegangen ist, welche zwar zu einer Neufindung des Sujets geführt hat, zugleich aber auch Darstellungsprinzipien des traditionellen Totentanzes zuspitzt. Dieser Neuauftakt des Totentanzes geht mit einer Neuauslegung des Todes einher. Daniel Nikolaus Chodowiecki greift mit seinem Totentanz wiederum auf Holbein zurück und modifiziert dessen Konzeption auf eine für die Aufklärung charakteristische Weise.
Damit stellt der Aufsatz zugleich eine Geschichte des Totentanzes vom Mittelalter bis zur Aufklärung in drei Hauptwerken dar.
Christus als alter ego. Albrecht Dürers Selbstporträt im Pelzrock – eine gemalte Bildtheologie, 2024
Es ist keineswegs vermessen, Albrecht Dürers Selbstporträt im Pelzrock als ‚Mona Lisa des Nordens... more Es ist keineswegs vermessen, Albrecht Dürers Selbstporträt im Pelzrock als ‚Mona Lisa des Nordens‘ zu bezeichnen, da sein Gemälde eine ebenso intensive Bannkraft entfaltet wie Leonardo da Vincis Werk. Allerdings ist nicht das Lächeln der schönen Unbekannten, sondern der durchdringende Blick das Rätselhafte des Bildes. Ein Blick, dem wir uns – auch nach über 500 Jahren – kaum zu entziehen vermögen. Doch wem gilt der Blick und ist es einzig Dürer, der aus dem Bild herausschaut? Sind womöglich wir selbst im Blick präsent und in diesem Sinne in Dürers Selbstbildnis mit abgebildet? Ergründen Sie mit mir diese Rätselhaftigkeit von Dürers Hauptwerk…
Die Gegenständlichkeit der Skulptur. Überlegungen zur Spezifik des Skulpturalen, 2020
Eine Theorie der Skulptur kommt nicht umhin, nach dem Spezifischen der Skulptur zu fragen, also n... more Eine Theorie der Skulptur kommt nicht umhin, nach dem Spezifischen der Skulptur zu fragen, also nach dem, was die Skulptur als solche auszeichnet und dadurch von anderen Künsten unterscheidet. Der vorliegende Aufsatz unternimmt den Versuch, eben dieses Spezifische näher zu bestimmen.
Nazarener vor allem als historische Zeugnisse angesehen werden? Beginnen wir mit der Betrachtung ... more Nazarener vor allem als historische Zeugnisse angesehen werden? Beginnen wir mit der Betrachtung des Bildes und lassen uns auf seine Wirkung ein. Was wir sehen, ist nicht viel: den Strand mit dem Mönch, das Meer und den Himmel. Das Bild ist in drei Zonen aufgeteilt. Diese bilden aber keine für sich bestehenden Bereiche, sondern sind von Friedrich in ein kaum zu steigerndes formales Spannungsverhältnis gesetzt, das sich unmittelbar inhaltlich auswirkt. Der Mönch steht an der Spitze einer dünenartigen, sich keilförmig in die Tiefe schiebenden Strandlandschaft. Der weiße Sand hebt sich vom dunklen Wasser des Meeres auf eine beinahe zum Schwarz-Weiß-Kontrast gesteigerten Weise ab. Friedrich stellt den Mönch vor das nahezu schwarze Dunkel und damit an das Ende der Welt. Finis terrae ohne plus ultra -das Ende des Landes ohne ein Ufer jenseits der Dunkelheit. Und die Dunkelheit ist progressiv. Die Wolken ziehen sich zu einer dunklen Wand zusammen, die der Dunkelheit des Meeres entspricht, so dass sich die Konturlinie zwischen den beiden Bereichen aufzulösen beginnt: eine apokalyptische Vermählung zwischen Himmel und Erde, die auch das letzte Stück Land, auf dem der Mönch steht, und damit diesen selbst vereinnahmen wird. Seine ebenfalls dunkle Gestalt ragt schon jetzt ins Dunkel hinein, wo der helle Kopf ein nichtiger Partikel ist und -wie die Schaumkronen -vergehen wird. Der Mönch ist, wie Heinrich von Kleist es formuliert, "der einzige Lebensfunke im weiten Reiche des Todes, der einsame Mittelpunct im einsamen Kreis." 3 Ein Mittepunkt allerdings, der selbst der Auflösung anheimgegeben ist und von dem auch auf der Welt nichts hinterbleibt, da in ihr -wie das Bild vor Augen führt -nichts Bestand hat. "Tief zwar sind deine Fußstapfen am öden sandigen Strandte", bemerkt Friedrich zu seinem eigenen Bild, "doch ein leiser Wind weht darüber hin, und deine Spuhr wird nicht mehr gesehen: Thörigter Mensch voll eitlem Dünkel!" 4 Der Mönch am Meer ist ein Vanitas-Bild, das die eigene Endlichkeit als Bilderfahrung vor Augen stellt. 3 Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft. Caspar David Friedrichs Gemälde "Der Mönch am Meer" betrachtet von Clemens Brentano, Achim von Arnim und Heinrich von Kleist, Ausst.-Kat. Kleist-Museums Frankfurt (Oder), hg. v. Lothar Jordan u. Hartwig Schultz, Frankfurt (Oder) 2004, S. 43. Der Katalog bietet einen synoptischen Druck des von Clemens Brentano und Achim von Arnim gemeinsam verfassten Textes mit Heinrich von Kleists überarbeiteter Fassung. 4 Caspar David Friedrich, Die Briefe, hg. v. Hermann Zschoche, Hamburg 2005. S. 64.
Kunstwerke eröffnen einen Imaginationsraum, in welchem sich ein Wechselverhältnis zwischen dem We... more Kunstwerke eröffnen einen Imaginationsraum, in welchem sich ein Wechselverhältnis zwischen dem Werk und seinem Alois Riegls Konzept eines numinosen "Kunstwollens"" mit Heinrich Wölfflins "Geschichte der Sehformen"'2 zu einem "Willen des Sehens"'5 zusammengeschlossen, um die Kunst werke an ein sie bedingendes Weltbild zurückzubinden und so gegenüber der formalistischen Kunstgeschichte den nun durchaus auf konkrete historische Akteure zu beziehenden Inhalt als formierendes Prinzip zu rehabilitieren. Wollte Dehio den "Willen zum Sehen" in seinen jeweiligen historischen Ausprägungen untersuchen, wird er nunkonsequenterweise -auf der Ebene des kunsthistorischen Blicks thematisch. Das Gewahren der Relativität der eigenen Perspektive gebiert einen kollektiv virulenten Willen zum Sehen, in dessen ausrichtende Verfügungsgewalt die Naumburger Statuen geraten. Im Folgenden soll den historisch formierten Apriori dieses Blicks auf Naumburg nachgegangen werden, die eine Per spektive generierten, innerhalb der sich ein qualitativer Um schlag ereignen konnte, welcher in der Begriffsdifferenz von "Deuten" und "Umdeuten" manifest wird. Dabei erlaubt die hier gebotene Beschränkung einzig, auf einige wesentliche Aspekte dieser in sich durchaus heterogenen Sichtweise ein zugehen, Aspekte, die aufgrund ihrer Verflochtenheit nicht in chronologischer Abfolge, sondern als Bündelungen darge stellt werden.14 In einer ersten Annäherung soll versucht wer den, der fraglichen Perspektive, in welche sich die einzelnen Aspekte einzulagern vermochten, eine Kontur zu geben. REMBRANDT IN NAUMBURG Verwundert stößt der heutige Leser auf den auch über 1945 hinaus omnipräsenten Vergleich des Naumburger Meisters mit Rembrandt. So formuliert etwa Wilhelm Pinder gleich ein gangs seines Naumburg-Buches (1925) ihre innere Verwandt schaft.'5 Um diese zu belegen, greift er zur Charakterisierung der Skulptur immer wieder auf Rembrandt zurück, wobei er die Konvergenzen in Sphären der Subtilität hineintreibt, die sich einer kritischen Bezugnahme entziehen. So präpariert er beispielsweise angesichts des "Kopfes mit der Binde" Form eigenschaften heraus, wie sie auch "die Farben des späten Rembrandt" aufwiesen.'6 Dass der Rembrandt-Vergleich nicht punktueller, sondern prinzipieller Art ist, verdeutlicht eine Argumentation Hermann Beenkens. Um die Mainzer und die Naumburger Werke trotz hervorgehobener stilistischer Differenzen als Schöpfungen aus der Werkstatt desselben Meisters zu plausibilisieren, weist er auf die Entwicklungssprünge innerhalb von Rembrandts duvre hin,'7 womit er Werkentwicklung und Werkprozess des im 13. Jahrhundert tätigen Bildhauers mit denjenigen des im 17. Jahrhundert wirkenden holländischen Malers parallelisiert und indirekt gleichsetzt. Stets zielt diese Überblendung, die das Gleichzeitige des Ungleichzeitigen behauptet, darauf, die Naumburger Werke auf eine Tiefendimension hin zu öffnen, deren Gehalt sich aus Werkerfahrungen Rembrandts speisen soll. Entsprechend bemerkt Hans Jantzen angesichts der "bäu rischen Physiognomien" der Lettnerreliefs: "Rembrandt ver steht es, aus dem Alltag des Lebens den tieferen Sinn des Ge schehens herausleuchten zu lassen. Und etwas davon treffen zieht sich Dehio im Vorwort zur Geschichte der deutschen Kunst: "Die Wissenschaft geht vom Objekt, die Bildung vom Subjekt aus. [...] Die Wissenschaft ist ihrem Wesen nach über national; Bildung entsteht nur auf dem Boden, in dem die Persönlichkeit ruht, dem Boden der Nation."78 Ganz in diesem Sinne hatte Langbehn den Weg zur nationalen Wiedergeburt darin gesehen, dass "die jetzige deutsche Gelehrtenbildung zu einer künftigen deutschen Volksbildung werden [muss]".79 Die damit einhergehende Annäherung von wissenschaftlicher und populärer Literatur-ein typischer Zug der Zeit-realisiert sich in den groß angelegten Synthesen von Dehios und Pinders für das Volk geschriebenen Hauptwerken. Damit geht zugleich die Etablierung einer neuen, sich von der Wissenschaft ab setzenden Sprache einher, der selbst künstlerische Qualitäten zu eigen sein müssen, um die nahezubringenden Kunstwerke aufzuschließen. "Jede rechte Bildung", so Langbehn, "ist bil dend, formend, schöpferisch und also künstlerisch."80 Daher habe die Geschichte der deutschen Kunst, wie Dehio in ihrer Vorankündigung bemerkt, das Werk eines Einzelnen zu sein.81 Es folgen Kostproben, auf welche Weise Pinder den Imagi nationsraum durch seine Sprachkraft aufschließt und zu gleich projektiv überblendet. Die Naumburger Lettnerkapi telle charakterisiert er mit den Worten: "Es ist, als ob Metall in ihren Adern geflossen, aber erstarrt wäre. Es ist rassiges Leben, aber stilistisches, kein gewöhnliches, von dem ge panzerten Gefühl einer ritterlichen Zeit zum Ausdruck feins ter Spannung schwertscharf ausgefeilt."82 Und angesichts des Judas, dem die Silberlinge ausbezahlt werden, heißt es: "Diese breiten Kinnbacken sind Naumburger Stil, durchaus schon vorgeformt in Mainz, nun aber entschieden noch ver schärft. Das gehört gewiß zu dem stämmigen Körpergefühl, zu dem ächzend schweren sich Durchfühlen-und-durchwühlen des Künstlers, der seine Köpfe wie zähes Ackerland durch pflügt, der seine Gewänder als mauerhafte Blöcke bildet, in die er die Falte nicht als dünnen Steg, sondern als flache Mul de hineinkeilt."83 Auch wenn für eine weitergehende Analyse der Passagen hier nicht der Ort ist, ist doch offensichtlich, dass dieses Deuten vermittels eines sorgsam ausgewählten assoziationsreichen Vokabulars ein Umdeuten gewesen ist, das sich durch die eingangs erwähnte Neuschreibungder Geschichte legitimiert sah. Besonders auffällig wird dieser Umstand im Vergleich mit den Texten Vöges, auf dessen vom tektonischen Block ausgehenden Beschreibungen sich Pinder in seinen Charak terisierungen bezieht. Während sich Vöge mit einer sprach-
Martin Kirves (Basel) Der Künstler als zentrale Randfigur. Benjamin Wests The Family ofthe Artist... more Martin Kirves (Basel) Der Künstler als zentrale Randfigur. Benjamin Wests The Family ofthe Artist und Daniel Nikolaus Chodowieckis Cabinet d'un peintre: zwei programmatische >Familienstücke< »Ich schätze alles, was [die Engländer] Gutes heraus geben, und kaufe davon, so viel mein Beutel es erlaubt; nur Wests Familienstück nicht.«1 Mit diesen Worten be schließt Daniel Nikolaus Chodowiecki die 1780 verfasste Beschreibung seines künst lerischen Werdegangs. Was hatte ihn an dem Gemälde Benjamin Wests, welches Chodowiecki als Schabkunstblatt bekannt geworden ist (Abb. 1), derart gestört, dass er ein solch harsches Urteil äußerte? 1
This article sets out to question the notion oftopos regarding its affinity to pictorial represen... more This article sets out to question the notion oftopos regarding its affinity to pictorial representation due to the implicit intersection between locus and argumentum. On the basis of the image se- quence created by the Sadeler brothers, various pictorial embodiments of the topoi “desert" and “hermit” will be discussed in a secondStep. The inner relationships in these embodiments, I will argue, present the possibility of pictorial manifestations to transform the inherent locus into the topos. Furthermore, this transformation, with the assistance of the rhetorical capacity ofthe image, brings about a heightened understanding ofthe content of the topos.
Um 1800 ereignet sich in der Malerei ein Umbruch, für den gemeinhin die beiden folgenden prominen... more Um 1800 ereignet sich in der Malerei ein Umbruch, für den gemeinhin die beiden folgenden prominenten Zeugnisse angeführt werden. Im Februar 1802, ein halbes Jahr nach seinem Wechsel von der Kopenhagener an die Dresdener Kunstakademie, teilt Philipp Otto Runge seinem Vater diesen Lagebericht mit: «[...] wir stehen am Rande aller Religionen, die aus der Katholischen entsprangen, die Abstractionen gehen zu Grunde, alles ist luftiger und leichter, als das bisherige, es drängt sich alles zur Landschaft, sucht etwas bestimmtes in dieser Unbestimmtheit und weiss nicht, wie es anzufangen? sie greifen falsch wieder zur Historie, und verwirren sich.»1 Die Darlegung der Problemstellung, mit der sich die Kunst konfrontiert sieht, weist zugleich den von Runge eingeschlagenen Lösungsweg: Werden die Künstler zur Landschaftsmalerei gedrängt, da die Kirche und mit ihr die traditionelle Sakralmalerei die Religion nicht mehr lebendig zu erhal ten vermag, kann aus der von Runge beklagten Unbestimmtheit der Land schaft nur eine neue Form der Bestimmtheit hervorgehen, wenn sich die Landschaftsmalerei ihrerseits des nunmehr institutionell ungebundenen religiösen Gehalts bemächtigt und ihm mit den ihr eigenen Mitteln einen angemessen Ausdruck zu verleihen sucht.
Friedrichs früher Sepia-Zyklus
Es scheint vermessen, gerade die Rocaille als ein Phänomen der Aufklärung untersuchen zu wollen, ... more Es scheint vermessen, gerade die Rocaille als ein Phänomen der Aufklärung untersuchen zu wollen, gilt doch der zeitgenössischen Kritik die Rocaille als etwas per se Irrationales, dasanstatt aufzuklärenden Verstand verdunkle. Und diese Kritik ist bekanntlich von weitreichender Bedeutung. Auch wenn sie sich historisch an der Rocaille entzündet hat, ist sie offensichtlich nicht allein bezüglich der Rocaille stichhaltig, sondern kann gegen das Ornament als solches hervorgebracht werden, so dass spätestens mit dem Wiederaufgreifen der aufklärerischen Kritik durch Adolf Loos und dessen reinigender Befreiung des Werks vom Ornament, das Ornament unter dem generellen Irrationalitätsverdacht des überflüssi gen Beiwerks steht.1 Unter diesen Vorzeichen vermag das Ornament das bereits ohne dessen Hinzufügung in sich vollendete Werk einzig zu verstellen, wodurch die Sache selbst und damit die ihr eigene Rationalitätschlimmstenfalls um einer ideologischen Instrumentalisierung willenmaskiert und mit einem falschen Schein versehen wird. Hierin gründet das gefähr liche rhetorische Potenzial des Ornaments, weshalb die Ornamentkritik der Aufklärung an eine generelle Kritik an der Rhetorik zurückgebunden war.2 1 Loos 1997 (1908], 78-88. 2 Vgl. dazu: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 7, 2005, Sp. 1523-1529. Über die Rückbindung des Be griffs >Ornament< an die Kategorien der antiken Rhetorik informiert Uta Coburger (Coburger 2011, 39-47). Siehe für diesen Zusammenhang auch den auf die rhetorische Dimension des Ornaments zugeschnittenen, von Isabella Frank und Freia Hartung herausgegebenen Band Die Rhetorik des Ornaments (Frank, Hartung 2001). Über das Verständnis des Ornament-Begriffs und seiner Synonyma in den neuzeitlichen Architekturtraktaten erteilt Ulrich Schütte Auskunft und weist dabei auf die heutige Verengung des Ornament-Begriffs gegenüber seiner früheren umfassenderen Verwendung hin (Schütte 1986, 22-39).
Gemäß seiner traditionellen Bestimmung als Dekorum kommt dem Ornament keine autonome semantische ... more Gemäß seiner traditionellen Bestimmung als Dekorum kommt dem Ornament keine autonome semantische Dimension zu, die unabhängig von dem ihm übergeordneten Werk, dessen dekorativer Teil es ist, Bestand hätte. Um das Ornament als eigenständige Erkenntnisform zu perspektivieren, ist es daher zunächst erforderlich, sein anschauliches Potenzial zu untersuchen, in welches sich ein genuin ornamental vermitteltes Wissen einzulagern vermag. Aus diesem Grund eröffnen wir die Betrachtung mit einer kleinen Phänomenologie des ornamentalen Raums, die wir anhand unseres zentralen Untersuchungsgegenstandes entwickeln werden. 1 Betrachten wir die erste Abbildung, wird unser Blick von dem freigesetzten Bewegungspotenzial der Formenkonfigurationen ergriffen. Dabei schließen sich die einzelnen Elemente zu Wirbelmotiven zusammen, die sich aus der Ebene hervorzuwölben und das Muster über sich selbst hinauszutreiben scheinen, wie es insbesondere am weißen Kranz der oberen Umschlagbewegung zu beobachten ist. Zugleich verbinden sich die Binnenfüllungen der hochzüngelnden Motive jedoch mit dem insgesamt als Fond wirkenden Weiß, wodurch die sich vom Grund loslösenden figurativen Strukturen an den Grund zurückgebunden werden. Dieses Prinzip der figuralen Aktivierung des Grundes bestimmt die gesamte Musterstruktur und wird durch eine Alternation farbiger und weißer Kompartimente ermöglicht, denen das Potenzial als Teil des Grundes oder Teil der Figur zu fungieren zukommt. Die vermittels der konkreten Ausformung und Anordnung der Kompartimente erfolgende Ausrichtung dieser Potenzialität bewirkt, dass sich auf der Ebene der kleinsten Motiveinheiten das dominierende Figur-Grund-Verhältnis umkehrt: Die weißen Kompartimente gewinnen figurale Prägnanz, während die farbigen, sich zur Fläche zusammenschließend, den Grund bilden. Die derart innerhalb der Binnenstrukturen als Fond fungierenden Farbflächen geben aber 1 Die folgenden Überlegungen sind Teil eines laufenden Projekts und haben daher, was die verwendeten Begrifflichkeiten betrifft, einen vorläufigen, eher heuristischen als systematischen Charakter. Auch werden, insbesondere im letzten Teil, Aspekte nur angeschnitten, die einer weiteren Ausführung bedürfen. Ebenfalls in einer bewusst abkürzenden Weise wurden die aus der dargelegten Ornamenttheorie hervorgehenden kunstmethodischen Abzweigungen angezeigt. 5 1. Christopher Dresser, Knowledge is Power, 1862. 6 wiederum jene Makroformen vor, die ihrerseits auf einem weißen Grund zu liegen scheinen. Die Figur-Grund-Relation, die sich durch eine Differenz zweier Ebenen konstituiert, wird folglich keineswegs durch das Ineinssetzen dieser Ebenen nivelliert, vielmehr aktualisiert sie sich innerhalb eines komplexen Wechselverhältnisses immer wieder neu, wobei der Grund gleichsam vor die Figur und die Figur hinter den Grund zu treten vermag. Hieraus resultiert die fluktuierende Lebendigkeit, welche den semantischen Fokus des Musters ausmacht. Um die vermittels des zeitlich indizierten Figur-Grund-Umkehrungsgeschehens entstehende Räumlichkeit näher zu bestimmen, ziehen wir zur Kontrastierung im Folgenden Vergleichsbeispiele heran, um den ornamentalen Raum gemäß seiner konstellativen Möglichkeiten zu durchmessen. Da die fragliche Räumlichkeit prinzipiell der Logik der Figur-Grund-Relation folgt, wird zu ihrer Bestimmung die jeweilige Verfasstheit der Zwischenräumlichkeit ausschlaggebend sein. Zwischenraum meint hier sowohl einen Modus des Hintereinander wie des Nebeneinander. Ersteres, insofern die Figur-Grund-Relation per definitionem ihre Relate in ein tiefenräumliches Verhältnis zueinander setzt; Letzteres, da sich ein Figur-Grund-Verhältnis nur zu etablieren vermag, wenn die Figur den Grund durch ihre im Modus des Nebeneinander formierten Zwischenräume freigibt. Indem es aber der Grund ist, der die vor ihm liegende Ebene als Figur ausweist und der Grund einzig durch die Zwischenräume der Figur Präsenz gewinnt, gibt die Figur nicht allein den Grund durch ihre Zwischenräume frei; sie wird überhaupt erst durch die zwischenräumlich organisierte Logik des Nebeneinander konstituiert. Für den Grund hingegen gilt gerade umgekehrt, dass er keinerlei Zwischenräume aufweisen darf, um sich nicht selbst als etwas vor einem Grund Liegendes zu setzen. Hieraus folgt allerdings nicht, dass der Grund notwendigerweise eine homogene Struktur aufzuweisen hätte. Die Ebenen der Figur und des Grundes können sogar -wie wir sehen werden -ihrerseits eine räumliche Extension aufweisen, ohne dabei das für die Figur-Grund-Relation konstitutive Differenzverhältnis aufzugeben. Beide in ihrem internen Zusammenhang den ornamentalen Raum konstituierenden Aspekte -das tiefenräumliche Verhältnis verschiedener im Modus des 7 Nebeneinander strukturierter Ebenen -ist keineswegs hinreichend, um eine Bestimmung des Ornaments vorzunehmen, da weder eine systematische Abgrenzung zur Schrift noch zum Bild allein raumlogisch möglich ist. Weder die Schrift, bei der das Nebeneinander dominiert, noch das Bild, bei dem das Hintereinander bestimmend ist, schließen die zu untersuchende ornamentale Figur-Grund-Relation kategorial aus. Vielmehr partizipieren sie an dieser, wodurch dem Ornament bereits in raumlogischer Hinsicht die Rolle eines vermittelnden Modus zwischen Schrift und Bild zuwächst. Auch wenn Schrift, Ornament und Bild in dieser Hinsicht in einem graduellen Kontinuitätsverhältnis zueinander stehen, lassen sich innerhalb dieser Kontinuität dennoch qualitative, sie voneinander separierende Sprünge markieren, die im Anschluss an den Gang durch den ornamentalen Raum zu entwickeln wären. Nehmen wir zur Bestimmung des innerornamentalen Raums also weitere konkrete Typen ornamentaler Räumlichkeit in den Blick, um sie hinsichtlich ihrer spezifischen zwiefachen zwischenräumlichen Verhältnisse zu untersuchen. Hatten wir hinsichtlich des betrachteten Musters beobachtet, dass die Figur-Grund-Relation keineswegs eingeebnet wird, artikuliert sich die Figuration andererseits ebenso wenig vor dem Grund, indem sie sich durch ein In-Differenz-Setzen zum Grund als vom Grund unabhängige Figur etablierte, wie dies auf dem der Grammar of Japanese Ornament and Design (1889) Thomas W. Cutlers entnommenem Beispiel der Fall ist (Abb. 2). Hier drängt die vermittels einer kontinuierlichen Selbstartikulation der Figuration initiierte Abstoßungsbewegung vom Grund den Grund zurück. Indem sich die Figuration derart in einer Selbstausdifferenzierungsbewegung vor dem Grund entfaltet, konstituiert sie sich als eine unabhängige Sphäre, die ontologisch in qualitativer Weise vom Grund geschieden ist. Als ihr autopoetisches Prinzip exekutierende Entität erfährt die Figuration eine Substanzialisierung, während der Grund, der einzig die indefinite Artikulationsfläche der Figuration bereitstellt, ontologisch diffundiert. Hier bildet der Grund keine eigenstände mit der Figuration korrespondierende Entität, womit eine ontologische Symmetrie zur Figur gegeben wäre, die es erlaubte, dass der Grund Teil der Figuration zu werden vermag und -wie beim vorherigen Beispiel -die 2. Thomas W. Cutler, A Grammar of Japanese 3. dass. farblich modifiziert Ornament and Design, 1889, Plate 58. autogenetische Bewegung der Figuration durch das Figur-Grund-Verhältnis selbst initiiert würde. Da die im zweiten Beispiel hinzugewonnene ‚Substanzialität' auf der Ebene der Figuration jedoch keine ihren ontologischen Status sichernde Eigenräumlichkeit aufweist, wird die Figur-Grund-Symmetrie trotz der durch die verschiedenen Seinsweisen von Figur und Grund gegebenen Asymmetrie optisch restituiert, woran beide Relate gleichermaßen Anteil haben: Artikuliert sich die Figuration auch als ontologisch unabhängige Sphäre vor dem Grund, wird ihr In-Erscheinung-Treten überhaupt erst durch den Grund als eine mit der Figuration kontrastierende Fläche ermöglicht. Damit ‚materialisiert' sich der ontologisch diffundierende Grund zur opaken Fläche, von der sich die Figuration klar und deutlich abhebt. Zugleich wird der Grund seitens der raumlosen Flachheit der Figuration als ihr optisches Pendant angezogen. Diese doppelte Verfestigung des Grundes zur Fläche erzeugt einen die Prägnanz der Figuration herstellenden Kontrast, bei dem der Grund, 9 durch die Zwischenräume der Figuration scheinend, vordergründig präsent wird. Damit wächst der im Modus des Nebeneiander organisierten Zwischenräumlichkeit das Primat zu, obwohl auch das tiefenräumliche Hintereinander phänomenal in Erscheinung tritt, indem die Figuration vor dem Grund zu schweben scheint. Unmittelbar augenfällig wird das Schweben, sobald Figur und Grund eine andere Einfärbung erhalten (Abb. 3).
Um der Bedeutung des 1 779/80 entworfenen, aber erst 1791 veröffentlichten Totentanzes von Daniel... more Um der Bedeutung des 1 779/80 entworfenen, aber erst 1791 veröffentlichten Totentanzes von Daniel Nikolaus Chodowiecki (Bild 11a/b) auf die Spur zu kom men, gilt es zunächst aufzuzeigen, inwiefern innerhalb seines Werkes die Dar stellung des Todes stets moralische Präliminarien des jeweils gezeigten Sterbens beinhaltet.1 Davon ausgehend, lässt sich sein Totentanz mit dem seines Zeitge nossen Johann Rudolf Schellenberg kontrastieren und zugleich mit dem gemein samen Urbild, Hans Holbeins kanonischen Todesbildern, ins Verhältnis setzen. Chodowiecki war bereits über 40 Jahre alt, als er seinen späten, jedoch fulminanten künstlerischen Durchbruch erlebte. Das Bild, welches ihm selbst im Ausland Bewun derer verschaffte, ist das Vorspiel einer Sterbeszene: Der Abschied des Calas von
Hans Holbeins Bilder des Todes von 1525 gelten gemeinhin als eine vom traditionellen Totentanz ab... more Hans Holbeins Bilder des Todes von 1525 gelten gemeinhin als eine vom traditionellen Totentanz abgelöste Bildfolge. Demgegenüber wird gezeigt, inwiefern das aus 41 Holzschnitten bestehende Werk aus einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Totentanz hervorgegangen ist, welche zwar zu einer Neufindung des Sujets geführt hat, zugleich aber auch Darstellungsprinzipien des traditionellen Totentanzes zuspitzt. Dieser Neuauftakt des Totentanzes geht mit einer Neuauslegung des Todes einher. Daniel Nikolaus Chodowiecki greift mit seinem Totentanz wiederum auf Holbein zurück und modifiziert dessen Konzeption auf eine für die Aufklärung charakteristische Weise.
Damit stellt der Aufsatz zugleich eine Geschichte des Totentanzes vom Mittelalter bis zur Aufklärung in drei Hauptwerken dar.