Im Namen des Volkes? Neue Sichtweisen auf die polnische Geschichte (original) (raw)
Related papers
Die Völkerschlacht im Spiegel des polnischen historischen Romans
Das Jahr 1813, Ostmitteleuropa und Leipzig, 2016
Es lässt sich kurz und ohne Umschweife sagen: Die große dreitägige Schlacht bei Leipzig im Oktober 1813 ist kein Thema des polnischen historischen Romans. Das mag auf den ersten Blick verwundern, haben doch polnische Streitkräfte in beträchtlicher Zahl daran teilgenommen-allein 16.000 Soldaten, die als VIII. Korps im Juli 1813 in die Grande Armée Napoleons eingegliedert worden waren. Darüber hinaus kam in der Völkerschlacht ein überaus prominenter Pole ums Leben, der Feldherr und Fürst Józef Poniatowski (1763-1813). Insofern sind Ort und Zeitpunkt für die polnische Erinnerungskultur a priori markiert. Mustert man die gesamten polnischen historischen Romane über die Ära der Napoleonischen Kriege, fällt-jedoch erst nach genauerer Betrachtung-auf, dass es keine qualifizierte belletristische Auseinandersetzung mit der Völkerschlacht gibt. Auch der Terminus Bitwa narodów (Völkerschlacht) scheint eine spätere Übernahme zu sein. Genuin sprach man in Polen von der Bitwa pod Lipskiem (Schlacht bei Leipzig). Es bedarf allerdings einiger Erklärungen, warum die Völkerschlacht keinen Weg in den polnischen historischen Roman gefunden hat. Diese sollen hier dargelegt werden, da sie einerseits ein interessantes Licht auf das Phänomen des polnischen historischen Romans über die Ära der Napoleonischen Kriege werfen und andererseits einige Hintergründe über die Wahrnehmung der Völkerschlacht aus der polnischen Perspektive vermitteln. 1 Es lassen sich zu den Geschehnissen in Leipzig weder eindeutige Deutungen im polnischen kollektiven Gedächtnis aufzeigen, noch existiert jenseits des Heldentodes von Józef Poniatowski eine sinnstiftende patriotische Erzählung. Das polnische Kapitel der Napoleonischen Kriege ist in Polen in erster Linie von Militärhistorikern ausführlich untersucht worden. 2 Es liegt aber auch eine aktuelle Arbeit von Jarosław Czubaty vor, die sich mit dem gesamten Phänomen des Herzogtums Warschau ausein-1 Der Beitrag basiert auf der Forschung innerhalb des Internationalen Forschungsprojektes "Nations, Borders, Identities. The Revolutionary and Napoleonic Wars in European Experiences and Memories (1815-1945)". Die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Arts and Humanities Research Council geförderte deutsch-britische Projektgruppe unter der Leitung von Karen Hagemann und Etienne François "Nations, Borders, Identities: The Revolutionary and Napoleonic Wars in European Experiences and Memories" (NBI) schließt mit einer komparativen und transfergeschichtlichen Analyse europäischer Erfahrungen und Erinnerungen an die Revolutions-und Napoleonischen Kriege eine Forschungslücke.
Die polnische Geschichtspolitik nach 1989
Polen-Analysen, 2007
Der Terminus »Geschichtspolitik« ist einer der vielen Begriff e, die in die gegenwärtige politische Debatteoder eher Auseinandersetzung-in Polen Einzug gehalten haben und immer größere Kontroversen hervorrufen. Dazu kam es aufgrund der Art und Weise, wie dieser Begriff von den rechten Parteien, die in den letzten zwei Jahren die Regierung stellten, angewendet wird, insbesondere von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość-PiS). In verschiedenen öff entlichen Äußerungen der PiS in den Jahren 2004-2006 fi el als unumstößliches Axiom die Feststellung, dass Polen bis zu diesem Zeitpunkt keine Geschichtspolitik gehabt habe. Dies soll zu bedauerlichen Folgen im gesellschaftlichen Leben und im Außenbild Polens geführt haben. Geäußert wurden auch deutlich negative Bewertungen über die junge Generation, dass sie weniger patriotisch als die vorangegangene sei und dass ihr sogar der Verlust der nationalen Identität drohe. Da wieder mit Vergnügen verkündet wird, dass historia magistra vitae est, ist die Frage umso aktueller geworden, was und wie man sie lehren soll.
Polnisch-deutsche historische Debatten
Die Entwicklung zu einer polnisch-deutschen Verständigung wäre ohne die solide gewachsenen Beziehungen und den respektvollen Umgang zwischen den polnischen und deutschen Historikern nicht denkbar. Lange vor dem Umbruch von 1989 gab es bereits eine gemeinsame wissenschaftliche Auseinandersetzung über Fragen, die für die historischen Ver echtungen beider Staaten und Gesellschaften relevant waren. Nach dem Zusammen- bruch des kommunistischen Systems in Polen und gestärkt durch die gänzlich neuen Rahmenbedingungen des polnisch-deutschen Nachbarschaftsvertrags, trat die historische Forschung in eine neue Etappe. Ehemalige Tabu- themen werden untersucht, Aufbau und Ausdi erenzierung des institutionellen Rahmens fördern die bilaterale Zusammenarbeit und die Expertise der Wissenschaftler wird Teil der ö entlichen Debatten beider Länder. Dabei treten auch die Forschungsfelder zutage, die bisher vernachlässigt wurden oder neue Fragestellungen erfordern.
Die große Furcht, 2021
führte wie kaum ein anderer Konflikt zuvor zu weitreichenden Veränderungen auf der politischen Karte Europas. Der Zusammenbruch der Mittelmächte im November 1918 und die Friedenskonferenz von Paris mit dem anschließenden Vertrag von Versailles 1919 hatten-auf den Ruinen des Deutschen Kaiserreichs, Österreich-Ungarns und des Russländischen Imperiums-die Entstehung zahlreicher neuer Staaten im östlichen Mitteleuropa, dem Baltikum und Südosteuropa zur Folge. Der größte und seiner regionalpolitischenB edeutung nach wichtigste dieser Staaten war zweifelsohne Polen, das nach 123 Jahren wieder seine Unabhängigkeit erringen konnte. Bereits im Vorfeld von Versailles und noch während der Kampfhandlungen an der West-und Ostfront haben sich zahlreiche polnische Publizisten und Unabhängigkeitsaktivisten mit großem Eifer für die polnische Sache eingesetzt. Der folgende Beitrag untersucht das Bild, das die polnische Publizistik während des Ersten Weltkrieges wie auch in den Jahren unmittelbar danach von einem restituierten polnischen Staat zeichnete. Bei der Beantwortung der Frage nach der außenpolitischen Ausrichtung dieser neugegründeten Rzeczpospolita in den Überlegungen der polnischen Eliten soll allem voran der in Polen seit dem späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit weit verbreitete Bollwerkstopos stehen. 1 1Z uo stmitteleuropäischenB ollwerksdiskursen vgl. Srodecki, Paul:A ntemuraleC hristianitatis. Zur Genesed er Bollwerksrhetorik im östlichen Mitteleuropa an der Schwelle vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit, Husum 2015;d ers.: Antemurale-based frontier identities in EastC entral Europe and their ideological roots in medieval/early modern alterity and alienity discourses, in:Collective Identity in the Context of Medieval Studies, hrsg. von M.
Deutsche Entlehnungen im Polnischen - Geschichte, Sachbereiche, Reaktionen
Linguistik Online, 2001
Ansichten zum Anteil deutscher Entlehnungen im polnischen Wortschatz Im Jahre 1893 behauptete Gabriel Korbut, keine Sprache habe dem Polnischen so viele Lehnwörter gegeben wie das Deutsche. Dabei seien deutsche Entlehnungen-im Gegensatz zu Latinismen-meist völlig assimiliert, so dass sie von Polnisch Sprechenden nicht mehr als fremd empfunden würden (Korbut 1893). Im Jahre 1974 erschien ein Artikel des tschechischen Linguisten Jiři Damborský, der das Auftreten von Germanismen in einem polnischen Wörterbuch (Skorupka et al., eds., 1969) untersuchte. Deutsche Entlehnungen nehmen in seiner Untersuchung zahlenmäßig erst die vierte Stelle hinter den lateinischen, französischen und griechischen ein.