Von Recht und Politik. Eine kurze Geschichte des politischen Tierrechts. (original) (raw)
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Erst Ethik dann Politik, oder Politik statt Ethik? Zur Grundlegung der Tierrechte im political turn
Tierethik, 2020
Der political turn in Arbeiten zum Mensch-Tier-Verhältnis hat die bisherige Ethik der Tierrechte als politisch marginal und ineffektiv kritisiert, setzt sie aber theoretisch weiterhin voraus. Im Gegensatz zu politischen Ansätzen in anderen Bereichen der politischen Theorie, etwa "politischen Konzeptionen" der Menschenrechte, binden sich die Autorinnen des political turn (Donaldson/Kymlicka, Meijer, Cochrane, Ladwig) damit an naturrechtliche Voraussetzungen, die den Stellenwert von Demokratie in ihren Konzeptionen beschneiden und ihre Offenheit für die normativen Folgen bestehender politischer Beziehungen einschränken. Am Beispiel sozialer Rechte für arbeitende Tiere dokumentiere ich die Beschränkungen und skizziere die Folgen, die ein radikalisierter politischer Ansatz haben kann.
organisierte Frühjahrstagung der Theoriesektion war anders. Erlebten die Teilnehmenden in Hamburg doch zuweilen das, was man einen Irritationsmoment nennen könnte. So lassen sich jene Momente beschreiben, in denen man beispielsweise ungläubig den Begriff "Dinosaurier-Erotik" 1 vernahm. Derlei Irritationen verweisen auf ein Wagnis. Ein Wagnis, das die Veranstalter bewusst eingegangen sind, indem sie die Versammlung zu einem Thema einberufen haben, das bisher kaum von der Politischen Theorie bearbeitet wurde. Diese Konstellation weist die Richtung für das, was wir ‚Theorie in Bewegung' nennen möchten; zunächst verstanden als ein Bemühen der Sektion, die Animal Studies, die in anderen Disziplinen wie der Soziologie, Philosophie, Rechts-und Literaturwissenschaft längst nichts Ungewöhnliches
Mertensiella 27, 2018
In the second half of the 20th century, the first Swiss cantons began to regulate the keeping and handling of animals by law. In 1981, the first nationwide animal protection law with the associated animal protection ordinance came into force. Since then, a holding permit has been mandatory in Switzerland for keeping the following amphibians and reptiles: giant salamanders, goliath frogs, giant and sea turtles, crocodiles, chameleons, monitor lizards, beaded lizards, tuataras, poisonous snakes and giant snakes that grow to more than 3 m in length (except Boa constrictor). Minimum requirements regulate the terrarium sizes, furnishings, nutrition, etc. From 2000 onwards, the legal regulations were tightened several times and new species were also subject to the authorization requirement (e.g. large iguanas, large tejus, Moloch horridus, Draco). During the revision of 2008, the Swiss Federal Veterinary Office (BLV) laid down a number of hair-raisingly incorrect legal requirements in the Animal Welfare Ordinance, e.g. dimensions of terrariums that do not meet the needs of the animals, incorrect specifications for nutrition or the setting up of terrariums. Some regulations were even clearly cruel to animals, such as the obligation to hibernate poison dart frogs, the aestivation of giant salamanders or large pools for salamanders that cannot swim at all. With the exception of giant snakes (boas, pythons), all snakes in Switzerland have been considered poisonous by law since 2008! A list of 422 taxa - including almost Colubridae - defines the "harmless poisonous snakes" for which no permit is required. Under pressure from the Swiss DGHT national group, at least the worst errors in the minimum requirements for amphibians and reptiles were corrected in the 2016 revision. Unfortunately, the officials of the BLV also wrote new errors in the regulation. For example, the same husbandry parameters were prescribed for all anoles, although the > 400 species of this lizards have very different lifestyles and must also be kept differently depending on the species. Specifications regarding the dimensions of terrariums (e.g. upright format enclosures for burrowing or aquatic snakes) or that a terrarium for a large python must be larger than an enclosure for a pair of lynxes are also technically incomprehensible. This article not only summarizes the facts of the different legal text versions, but also explains the background of how these regulations came about. And how the DGHT Swiss national group has been campaigning for species-appropriate regulations regarding the keeping of amphibians and reptiles for decades.
Rechtswissenschaft Vom Recht über Tiere zu den Legal Animal Studies
Perspektiven der Human-Animal Studies für die wissenschaftlichen Disziplinen, 2014
Im Laufe des letzten Jahrzehnts haben Tiere in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen vermehrt Aufmerksamkeit erhalten und sind deshalb zunehmend Gegenstand unterschiedlicher Debatten. Der Fokus ist dabei je nach Disziplin ein anderer. Auch in der Rechtswissenschaft spielten und spielen Tiere traditionellerweise eine Rolle: Im klassischen Tierschutzrecht sind sie primär Schutzobjekte, in anderen Rechtsgebieten aber vor allem Gegenstand von Eigentumsrechten und Kaufverträgen, bisweilen gar Gegenstand von Sachmängelrechten, wenn beispielsweise ein gekaufter Rassehund eine erbliche Gesundheitsstörung aufweist und die/der Käufer_in wegen dieses »Mangels« gegen den/die Verkäu-fer_in vorgehen will. Tiere sind »etwas«, über das Rechtssubjekte-die Menschen-verfügen. Stellenweise scheint aber auch in der gegenwärtigen Rechtskonzeption die Erkenntnis auf, dass Tiere mehr sind als das; dass sie Lebewesen mit eigenen Interessen, Empfindungen und einem eigenen Zweck sind: Sie sind »jemand«, und aus dieser Subjekthaftigkeit fließen Ansprüche, die auch von Menschen zu berücksichtigen sind. Wie geht das Recht mit diesen Ansprüchen um? Wie und in welcher Form lassen sie sich ins Recht übersetzen und welche Besonderheiten sind dabei zu beachten? Und an welche Grenzen stößt die gegenwärtige Konzeption von Tieren im Recht? Viele Impulse für eine neue und den gewandelten gesellschaftlichen Anschauungen Rechnung tragende Analyse, Kritik und Neuordnung des rechtlichen Mensch-Tier-Verhältnisses bezieht die Rechtswissenschaft aus der Philosophie, 1 Die Autorinnen danken Dr. phil. und lic. iur. Birgit Christensen für die kritische Durchsicht des Textes und wertvolle Hinweise.
, die viele heutzutage empfinden, wenn ein alter Baum einer Erschließungsmaßnahme weichen muss, ist keine Trauer über den Verlust eines »Sauerstoffproduzenten«. Auch das Aufbegehren gegen das Artensterben lässt sich mit ökologischen Argumenten letztlich nicht hinreichend begründen. […] Es ist gerade eine nicht-instrumentelle Sicht der Dinge, in der Natur nicht als Umwelt, als unersetzliche und zugleich versehrbare Lebensbedingung in den Blick gerät, die mit einer moralischen Einstellung oft Hand in Hand geht.« 4 Vgl. J. Derrida: Das Tier, das ich also bin; vgl. J.-C. Bailly: Der Blick der Tiere; vgl. J. Berger: Warum sehen wir Tiere an? 5 Dieser zunächst erkenntnistheoretische Anthropozentrismus wurde über lange Zeit naturalisiert; die eigenen Interessen, die auf Kosten anderer Spezies gehen, galten dann oft als schlicht natürlich; andere Wesen werden dann gerade mit Verweis auf diese vermeintliche Natürlichkeit der Ausbeutung anheimgegeben, so G. Huggan/H. Tiffin: Postcolonial Ecocriticism, S. 5. 6 Vgl. dazu p. jones [sic!]/C. Wylie: The Role of Damned and Dammed Desire in Animal Exploitation and Liberation, bes. S. 189: »Human« meint mehr als eine Spezies, es ist ein Status. Vgl. dazu auch C. Diamond: Menschen, Tiere und Begriffe, S. 83-106, hier S. 91: »Was ein Mensch ist, lernen wir unter anderem dadurch, dass wir an einem Tisch sitzen, an dem sie von uns gegessen werden.« 7 Die Analyse von Intersektionalitäten versucht dementsprechend, die sich gegenseitig bedingenden Dynamiken zwischen diesen verschiedenen Feldern zu beleuchten; vgl. dazu G. Winker/N. Degele: Intersektionalität: Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. 8 Vgl. als Kritik an diesen Denkfiguren z.B. P. von Gall: Tiere nutzen-ein kritisches Wörterbuch. 9 H. Sezgin: »Tiere sind meine Freunde.«-Wirklich?; sehr zu empfehlen ist darüber hinaus auch der Band von H. Sezgin: Artgerecht ist nur die Freiheit. 10 Donna Haraway lehnt eben diese beiden Reaktionen auf das Anthropozän ab: Eine bloß technische Lösung und den radikalen Fatalismus, der behauptet, alles wäre bereits vorbei. Ihre Antwort lautet demgegenüber: »Dieses Buch führt aus und durch, dass das Bewahren von Unruhe unter Vermeidung von Futurismus ein ernsthafterer und produktiverer Zugang ist. Um unruhig zu bleiben, müssen wir uns auf eigensinnige Art verwandt machen. Das meint, dass wir einander in unerwarteten Kollaborationen und Kombinationen, in aktiven Kompostierungen brauchen.« D. Haraway, Unruhig bleiben, S. 13. 11 Vgl. dazu bspw. E. Meijer: When Animals Speak; vgl. Dies.: Was Tiere wirklich wollen. Meijers Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass er politische Repräsentation von Tieren nicht allein advokatorisch fasst, sondern für eine direkte Berücksichtigung des individuellen tierlichen Willens in Prozessen deliberativer Willensbildung votiert. Vgl. ebenfalls M. Doll/O. Kohns (Hg.
2018
Zwischen Menschen und Tieren besteht ein ambivalentes Verhältnis. Die Grenzen zwischen Tierliebe auf der einen, Zwang und Gewalt auf der anderen Seite verschwimmen häufig. Frithjof Nungesser analysiert jene Praktiken im Umgang mit Tieren, die dem gewalttätigen Spektrum zuzurechnen sind. Er nimmt dabei zunächst unterschiedliche Funktionen in den Blick, die mit den Gewaltpraktiken an Tieren verbunden sind: die Nahrungs-, Material- und Wissensgewinnung. Des Weiteren werden Praktiken skizziert, in denen Gewalt primär Selbstzweck ist (z.B. Tierquälerei). Allein für Nahrungszwecke wurden im Jahr 2016 weltweit über 70 Milliarden Landwirbeltiere getötet – eine Zahl, die in der Öffentlichkeit kaum registriert wird. Der Beitrag diskutiert die Frage, warum wir von der hochgradig rationalisierten und technisierten Massengewalt an Tieren so gut wie nichts mitbekommen. Zudem werden die ökologischen, sozialen und gesellschaftlichen Folgen erörtert, die mitsamt der Gewalt aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt werden.
Menschen und Tiere: ein politisches Verhältnis
Haben Tiere Rechte?, 2019
Die meisten Menschen wissen über die Bedingungen Bescheid, unter denen Tiere in der Regel in der industriellen Landwirtschaft gehalten wer-den. Vielen graut es vor ihnen. Die meisten kennen ebenfalls die bru-talen Transportbedingungen und wissen, was in Schlachthöfen vor sich geht. Gleichzeitig scheuen viele davor zurück, ihr Urteil über die Miss-stände auch im Alltag handlungsleitend werden zu lassen. Sie essen weiter-hin Fleisch oder Käse und erfreuen sich an der Ammenkuhhaltung auf der Weide. Tierschützer_innen und Tierrechtler_innen nehmen diese Wider-sprüche von zwei Seiten in die Zange, in reformistischer oder »abolitionis-tischer« Absicht. Beide setzen dort an, wo die Missstände mit konkretem und unabweisbarem Leid verbunden sind: am Schicksal des individuellen »erlebensfähigen« Tiers. 1 Beide stellen ökologische Fragen der Umweltbe-lastung oder Biodiversität durch Tierhaltung zunächst zurück und rücken das, was Menschen existierenden Tieren antun, in den Mittelpunkt. Das ist ein wichtiger erster Schritt, der »die Tierwelt« nicht als Umwelt betrachtet, sondern sich auf ein wie immer abstraktes Verhältnis zwischen Menschen und Tieren bezieht. In der Interaktion zwischen Menschen und Nutztie-ren, auf die ich mich hier konzentriere, sind die Verhältnisse alle men-schengemacht. Obwohl die öffentliche Debatte zwischen Tierschützer_innen und Tierrechtler_innen seit Jahrzehnten andauert, hat sich keiner der beiden Ansätze als belastbare Grundlage für politische Entscheidungen erwie-sen. Die tierrechtliche Position verlangt einen veganen Lebensstil und die annähernd vollkommene Abschaffung der Nutztierhaltung, deren zivilisa-torische und sozialstrukturelle Bedeutung sie ausblendet. Sie schützt Farm-tiere, indem sie eine kleine Anzahl von ihnen zu Haustieren macht, und hat damit weitgehend »abolitionistische« Folgen. 2 Diese Position ist von großer Folgerichtigkeit und Radikalität, aber ebenso umstritten in ihrer Begründung wie in ihren Konsequenzen. Sie spiegelt kaum die fundamen-talen Meinungsverschiedenheiten über den Status von Tieren, von denen
Die tierliche Perspektive in der Politik - ein begrifflicher und ein institutioneller Vorschlag
Jahrbuch Praktische Philosophie in globaler Perspektive, 2019
DringendegesellschaftlicheAnforderungenrichtensichandieNutzung von nicht-menschlichen Tieren (im Folgenden kurz: Tiernutzung) zu Nahrungszwecken. Da die Folgen der Tiernutzung globaler Natur und dieAgrarmärkteweltweitvernetztsind,mussdenAnforderungennicht nuraufnationalstaatlicher,sondernauchaufinternationalerEbeneentsprochen werden. Internationale Klimaabkommen, zum Beispiel, werden künftig eine Regelung zur Begrenzung der weltweiten Tierhaltung integrierenmüssen,wennambitionierteKlimazieleerreichtwerdensollen. Die Repräsentation tierlicher Ansprüche in internationalen VerhandlungenzurUmwelt-,Wirtschafts-oderEntwicklungspolitikkönnte einen zentralen Einfluss auf Verhandlungsergebnisse nehmen. Jedoch mangeltesbislanganeinerentsprechendenöffentlichenInstitution,die sichdieserAufgabevollumfänglichannimmt.BeiderEntwicklungeiner solchenInstitutionsollteausFehlernnationalerTierschutzpolitikengelerntwerden.EineindemArtikelvorgestellteLehreaussolchenFehlern lautet, die politische Berücksichtigung von Tieren nicht mehr nur an den Konzepten „Tierschutz“ bzw. „Tierwohl“ (animal welfare), sondern anderumfassenderen„Perspektive“derTiereauszurichten.Dasverhindert die drohende missverständliche Verstrickung menschlicher und tierlicherAnsprücheinTierschutz-undTierwohl-Ansätzenundermöglicht, anspruchsvollere normative Konzepte wie Interessen, politische Repräsentation oder juridische Rechte politisch auszubauen. Die Perspektive der Tiere bietet moderaten Tierschutz- bzw. Tierwohlanforderungen, die aufgrund demokratischer Mehrheitsverhältnisse am ehesten Erfolg versprechen, ebenso Raumwie weitergehenden Ansprüchen, auch wenn diese sich nicht in Einklang mit der wirtschaftlichen Nutzung von Tieren bringen lassen. An den Vorschlag, wie die Perspektive der Tiereentsprechendverstanden werden sollte, schließt sich der Vorschlag zur Gründung einer Wissensplattform an, die diese Perspektive aufbereitet. Deutlich wird bei diesen Überlegungen. dass die Ermittlung tierlicher Ansprüche DringendegesellschaftlicheAnforderungenrichtensichandieNutzung von nicht-menschlichen Tieren (im Folgenden kurz: Tiernutzung) zu Nahrungszwecken. Da die Folgen der Tiernutzung globaler Natur und dieAgrarmärkteweltweitvernetztsind,mussdenAnforderungennicht nuraufnationalstaatlicher,sondernauchaufinternationalerEbeneentsprochen werden. Internationale Klimaabkommen, zum Beispiel, werden künftig eine Regelung zur Begrenzung der weltweiten Tierhaltung integrierenmüssen,wennambitionierteKlimazieleerreichtwerdensollen. Die Repräsentation tierlicher Ansprüche in internationalen VerhandlungenzurUmwelt-,Wirtschafts-oderEntwicklungspolitikkönnte einen zentralen Einfluss auf Verhandlungsergebnisse nehmen. Jedoch mangeltesbislanganeinerentsprechendenöffentlichenInstitution,die sichdieserAufgabevollumfänglichannimmt.BeiderEntwicklungeiner solchenInstitutionsollteausFehlernnationalerTierschutzpolitikengelerntwerden.EineindemArtikelvorgestellteLehreaussolchenFehlern lautet, die politische Berücksichtigung von Tieren nicht mehr nur an den Konzepten „Tierschutz“ bzw. „Tierwohl“ (animal welfare), sondern anderumfassenderen„Perspektive“derTiereauszurichten.Dasverhindert die drohende missverständliche Verstrickung menschlicher und tierlicherAnsprücheinTierschutz-undTierwohl-Ansätzenundermöglicht, anspruchsvollere normative Konzepte wie Interessen, politische Repräsentation oder juridische Rechte politisch auszubauen. Die Perspektive der Tiere bietet moderaten Tierschutz- bzw. Tierwohlanforderungen, die aufgrund demokratischer Mehrheitsverhältnisse am ehesten Erfolg versprechen, ebenso Raumwie weitergehenden Ansprüchen, auch wenn diese sich nicht in Einklang mit der wirtschaftlichen Nutzung von Tieren bringen lassen. An den Vorschlag, wie die Perspektive der Tiereentsprechendverstanden werden sollte, schließt sich der Vorschlag zur Gründung einer Wissensplattform an, die diese Perspektive aufbereitet. Deutlich wird bei diesen Überlegungen, dass die Ermittlung tierlicher Ansprüche an die Politik eine in ihrer Komplexität unterschätzte Aufgabe ist, die es von der Aufgabe eines interessenunabhängigen Tierschutz-Sachverstandes zu differenzieren gilt.