Steininger, Benjamin: Katalysator – Die Mobilmachung des Materiellen, in: Gurschler, Ivo / Schlembach, Christopher (Red.), Tumult, Schriften zur Verkehrswissenschaft Bd. 39, Von Wegen: Bahnungen der Moderne, Wetzlar: Büchse der Pandora 2013, S. 76-84. (original) (raw)
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Analysen an der Schnittstelle von Technik, Kultur und Medien, 2012
Ende der 1890er Jahre macht sich an der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig ein ungewöhnlicher Doktorand an die Verteidigung seiner Dissertation. Aeltere Geschichte der Lehre von den Berührungswirkungen lautet der Titel der Arbeit. 1 Eingereicht wird sie von dem auf dem Deckblatt der Druckfassung von 1898 namentlich in Universitätslatein erwähnten "professor chemiae", dem Dekan der Fakultät selbst, von "Guelmius" -also Wilhelm -Ostwald. Was der überqualifizierte Doktorand hier auf gut 40 Druckseiten verhandelt, sind mehr oder weniger klassische Ausschnitte aus der Wissenschaftsgeschichte der chemischen Katalyse des 19. Jahrhunderts: Schwefelsäureherstellung nach Désormes und Clément, Stärkeverzuckerung, katalytische Wirkungen des Platins, Zersetzung von Wasserstoffperoxyd und der dazu gehörige akademische Diskurs. Wilhelm Ostwald ist zum Zeitpunkt der Abfassung der Arbeit einer der weltweit führenden Experten der physikochemischen Erforschung katalytischer Prozesse, von Reaktionen also, bei denen ein Stoff scheinbar durch bloße Anwesenheit, durch bloße Berührung und ohne dass er im Laufe der Reaktion verbraucht wird, Reaktionen beschleunigt. Reaktionen, die andernfalls, wenn überhaupt, mitunter nur sehr langsam vor sich gehen würden. 2 Wilhelm Ostwald hat in den 1890er Jahren selbst als Experimentator und Laborleiter, als akademischer Stammvater einer ganzen Schule von Katalyseexperten die physikochemische Definition des Katalysators als messbarer Beschleuniger vorangetrieben. Aus einer bis dahin rätselhaften Materie, aus einer seit den 1830er Jahren vom schwedischen Chemiker Jöns Jakob Berzelius mit dem Kunstwort "Katalyse" benannten, chemischen Wirkung "durch ihre bloße Gegenwart" 3 wird mit der Definition des Katalysators als Beschleuniger ein technisches und bald industrielles Werkzeug. Es ist vor allen das Instrumentarium der Thermodynamik, das die Entwicklung der Forschung befördert. Während sich um 1800 an der Vermessung von Stoffgewichten undvolumina eine erste Stufe der exakten Wissenschaft der Chemie etabliert hatte, werden in den 1 Wilhelm Ostwald: Aeltere Geschichte der Lehre von den Berührungswirkungen, Leipzig 1897. 2 Vgl. Wilhelm Ostwald: Über Katalyse. Vortrag, gehalten 1901 in der Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte zu Hamburg, in: ders., Abhandlungen und Vorträge allgemeinen Inhaltes (1887-1903), Leipzig 1904, S. 71-96. 3 Jöns Jakob Berzelius: Pflanzenchemie, in: ders.: Jahresbericht über die Fortschritte der physischen Wissenschaften, Bd. 15, deutsch von Friedrich Wöhler, Tübingen 1936, S. 237-245, hier S. 242f. Jahrzehnten vor 1900 chemische Energieniveaus und Prozessgeschwindigkeiten vermessen und damit technisch gestaltbar. Innerhalb von wenigen Jahren entsteht aus der labortechnischen Innovation mess-und gestaltbarer katalytischer Prozesse eine ganze Industrie. Nahezu alle Produktionszweige der chemischen Industrie des 20. Jahrhunderts, ob zur Herstellung von Kunststoffen, von Kraftstoffen oder von synthetischen Düngemitteln, von Munition, Pharmaka oder Polymeren, arbeiten mit katalytischen Prozessen und das heißt mit den von Ostwald beschriebenen Berührungswirkungen. 1909 wird Wilhelm Ostwald aufgrund dieser industriellen Entwicklung für seine Forschung zur Katalyse mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. 4 Es ist dieser industrielle Hintergrund und es sind die Auswirkungen der katalytischen Industrie auf die materielle Welt der Moderne, auf Raffineriewesen und damit Mobilität, auf Kunstdünger und damit Ernährung, auf synthetische Salpetermunition und damit Kriegführung, auf Pharmaka und damit Gesundheit, die der chemischen Berührungswirkung eine besondere historische Brisanz zukommen lassen. Aber schon die bloße Vokabel einer "Berührungswirkung" im chemischen Kontext provoziert ein gewisses Spannungsfeld und eine ganze Reihe von Fragen. Was bedeutet Berührung hier überhaupt? Welche Vorstellungen und Konzepte einer taktilen Erfahrung mögen in den naturwissenschaftlich chemischen Begriff eingegangen sein? Was lässt sich umgekehrt über Konzepte des Taktilen erfahren, wenn man von der Mesoebene der menschlichen Körper und ihrer Begegnungen auf die Mikroebene der chemischen Stoffe mit ihren Reaktionen überblendet? Auf welche Weise kann der Blick auf die chemische "Berührungswirkung" eine allgemeine Medientheorie der Berührung bereichern? Derartigen Fragen soll in diesem Beitrag nachgegangen werden. Es geht dabei nicht nur um eine wissenschafts-oder kulturhistorische Darstellung von im Kontext der Medien-oder Kulturwissenschaft weitgehend unbekannten "Berührungswirkungen", sondern durchaus auch um das weiterführende, theoretische Potenzial der hier zur Disposition stehenden Materialitäten und Prozesse. 4 Vgl. Nobel Foundation (Hg.), Nobel Lectures, including presentation speeches and laureates' biographies: Chemistry. Amsterdam/London/New York 1966, S. 147-149. 3 Kontaktwirkung: Der katalytische Akt Schon in der zeitgenössischen Katalysewissenschaft, also um 1900, ist die Wortwahl Wilhelm Ostwalds eher ungewöhnlich. Und erstaunlicherweise wird der Gebrauch des Begriffs der "Berührungswirkung" auch an keiner Stelle seiner Arbeit näher erläutert. Historisch prominent ist ein 1844 vom Basler Chemiker Christian Schönbein publizierter Beitrag Ueber die Häufigkeit der Berührungswirkungen auf dem Gebiete der Chemie. 5 Auch hier geht es um katalytische Prozesse, allerdings noch ohne den Begriff der chemischen Beschleunigung. "Die Eigenschaft des Platins durch bloße Berührung die chemische Verwandtschaft des Sauerstoffs zum Wasserstoff bis zu dem Grade zu steigern, daß sich diese Elemente schon bei gewöhnlicher Temperatur zu Wasser vereinigen, hat, seit dieselbe durch Davy und Döbereiner entdeckt wurde, die Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Chemiker mit allem Recht auf das Lebhafteste in Anspruch genommen und zu zahlreichen Untersuchungen über dieses wunderbare Vermögen Veranlassung gegeben." 6 Aber auch bei Schönbein wird der Terminus der "Berührung" eher unkommentiert verwendet als hergeleitet und erläutert. Die den Zeitgenossen offenbar nicht hinterfragenswert erscheinende Verständlichkeit hängt an einem der Berührung eng verwandten, aber in der chemischen Literatur sehr viel gebräuchlicheren Begriff, am "Contact". Das Taktile ist hier im lateinischen Wortsinn enthalten, stärker aber noch als im Begriff der Berührung wird im "Contact" auf ein Miteinander abgehoben, auf den direkten Bezug von passgenauen Komponenten. Berührungen können auch als vergleichsweise folgenlos gedacht werden, wenn etwa miteinander nicht kompatible Größen zufällig räumlich aneinandergeraten. Nur im Märchen hat es Folgen, wenn so unterschiedliche Dinge wie ein Hut und ein Haselstrauch sich berühren. Beim Kontakt ist aber nicht nur im elektrischen Sprachgebrauch zum Ausdruck gebracht, dass etwas gewissermaßen einrastet, dass für eine gewisse Wirkungsdauer eine energetisch gedachte Verbindung besteht.
In einem Buche etwas aus Filmen zu zeigen ist schwierig, da die Bewegung fehlt." 2 Sieht man in den Bildfolgen von Hans Richters Rhythmus 21 etwas vom Verkehr moderner Großstädte? Ließ sich das "pulsende Leben" der "Verkehrswelt" 3 von Berlin in den Rhythmus von Lichtbildern übersetzen? Freilich nicht unmittelbar, doch in den Lichtbildern Bewegungsformen der Moderne sichtbar, die mit der Expansion des Verkehrswesens zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Beziehung stehen. Aus der "dokumentarischen Phase" 4 der frühen Filmästhetik sind viele Filmrollen mit abgefilmten Straßenszenen, Eisenbahnfahrten und dem Treiben der modernen Großstädte überliefert. Durch die Abstraktionsleistung der Formexperimente Richters werden grundlegende Bewegungsformen modernen Großstadt-und Verkehrslebens in die künstlerische Filmsprache übersetzt. Dabei nutzte Richter die "Unwirklichkeit des Filmbildes" 5 , seine Materialität und technische Darstellung, um die Wahrnehmung der modernen Welt jenseits der mechanischen Reproduktion der Alltagsrealität vorzuführen. Der Verkehr wurde dadurch, wie ich zeigen möchte, zu einem Residuum kultureller Energie, aus dem sich die Dynamik moderner Bewegungsformen speiste, mit denen Richter als engangierter Beobachter ästhetisch experimentierte. Er wollte die Wahrnehmung der Welt nicht nur künstlerisch beschreiben, es ging ihm darum, den Film als Mittel für die "Umbildung der modernen Psyche" 6 zu verwenden, das sich nicht dem Geschmack der Massen fügte. 1 Die Arbeit an diesem Essay wurde durch ein ETH Postdoctoral Fellowship ermöglicht. Ich danke Christoph Bareither und Klaus Richter für ihre Kommentare sowie meinen Zürcher Kolleginnen Margarete Pratschke, Max Stadler und Vera Wolff für Diskussionen und Hinweise.
Unsere Seele nimmt jeden Bau als ein Stück Fels oder Gebirge.« 1 Hans Henny Jahnn »Ich konnte bald mit Hilfe eines bestimmten Schmerzes im rechten Ellenbogen selbst nachts im fahrenden Wagen oder in der Bahn feststellen, was draußen für ein Gestein war.« 2 Alwin Seifert Baustoffe bilden eine Zone des Übergangs zwischen zwei Welten. Ton oder Fels gehören noch zur so genannten Natur, als Lehmziegel oder gebrochener Baustein sind sie Artefakt. Die Aneignung funktioniert dabei in beide Richtungen. Sowohl verortet sich Kultur kaum dauerhafter als über Architektur in der Landschaft, im Gegenzug ragt über die Gesetze der Baustoffe Landschaft weit in den Raum des Kulturellen hinein. Dieser Essay wirft einige Schlaglichter auf die Vermittlungsinstanz der Baustoffe und damit auf ein medienhistorisch noch offenes Forschungsfeld. Besonders Straßenbauten aus künstlichen Baustoffen scheinen nicht nur Orte miteinander zu verbinden. Um horizontal zu funktionieren, müssen erst vertikal die Ordnungen des Technischen und des Natürlichen zu neuen Ensembles aus Untergrund, Fahrbahn und Fahrzeug verknüpft werden. Historisch erschließt etwa die Reichsautobahn nicht nur optisch und transporttechnisch neue Landschaften, sie ändert auch das Wissen über die mineralisch bodenmechanischen Mikro-und Makrolandschaften rundherum. Die neuen Baustoffe sind aus diesem Prozess nicht wegzudenken. Gerade sie vermitteln über ihre (Dys-)Funktion die Dynamiken der Landschaft. Und das zu einer Zeit, als man sich abseits völkischer Rhetoriken fast schon von gewachsenen Einheiten aus Baumaterial und Landschaft verabschiedet hatte.
Weiträumige Kontaktnetzwerke sorgen für Verbreitung und Transfer von Wissen und Gütern sowie von kulturellen Werten. Der Transport von Lasten und Menschen kann als einer der wichtigsten Eckpfeiler solcher Austauschsysteme gesehen werden. Daher dürften die Suche nach Transportmöglichkeiten und die Entwicklung geeigneter Vehikel in der menschlichen Gedankenwelt seit jeher fest verankert sein. Die hier vorliegenden Beiträge basieren auf den Vorträgen der Tagung „Transporte, Transportwege und Transportstrukturen“ der Arbeitsgemeinschaft Bronzezeit und des Sonderforschungsbereiches 1070 RessourcenKulturen. Sie fassen im archäologischen Befund der Bronzezeit vorhandene Evidenzen zu Transportwegen und -fahrzeugen sowie Aussagen zu Infrastruktur nicht nur zusammen, sondern ergänzen diese um zahlreiche wissenswerte Aspekte. Was können diese Befunde über die Transportvehikel und ihre Bedeutung aussagen? Welche Eigenschaften wiesen diese auf? Handelt es sich bei den Fundstücken um abgenutzte oder mutwillig zerstörte Fahrzeuge bzw. Teile von solchen? Welche Implikationen auf technologischer und sozialer Ebene lassen sich mit den Befunden verbinden? Wie muss man sich die bronzezeitliche Infrastruktur in unterschiedlichen Regionen vorstellen? Inwiefern bildeten Verkehrswege und Austausch eine Ressource? Der detaillierten Beantwortung dieser Fragen ist dieser Band gewidmet, woraus eine übergreifende Zusammenschau von Funden, Befunden und Theorien entstanden ist.