Gesunde Zeiten. Perspektiven einer Zeitgeschichte der Gesundheit, in: Frank Bajohr u.a. (ed.): Mehr als eine Erzählung. Zeitgeschichtliche Perspektiven auf die Bundesrepublik, Göttingen 2015, S. 259-272. (original) (raw)
Zeitgeschichte ist eine ungesunde Disziplin. Obwohl sie als »Problemgeschichte« (Hans Günter Hockerts) den Wurzeln gegenwärtiger Herausforderungen nach-geht, spielt etwas derart Herausforderndes wie Gesundheit und Krankheit in zeithistorischen Forschungen selten eine Rolle. Diese Zurückhaltung ist umso erstaunlicher, wenn man sich den Erkenntnisgewinn neuer Studien zur Geschichte der Gesundheit, zur Körper-, Wissens-und Medizingeschichte vom 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert vor Augen hält. Schließlich verweisen die vor-liegenden Befunde zur »Biologisierung« und »Verwissenschaftlichung des Sozialen« oder zur »Medikalisierung« Europas auf fundamentale Entwicklungen der Moderne, ohne die auch die Zeitgeschichte schwer zu verstehen ist. Das Erstaunen über diese Leerstelle bildet den Ausgangspunkt meines Essays, der drei Perspektiven einer »Zeitgeschichte der Gesundheit« skizziert. In einer ersten Perspektive spüre ich dem Zusammenhang von Gesundheitskonzepten und sozialen Ordnungsvorstellungen nach, zweitens geht es mir um transnationale Verflechtungen, die sich bei gesundheitspolitischen Themen besonders gut abzeichnen, sowie drittens um »gesundes« Verhalten der Bundesdeutschen und seine sozialen Folgen. Mit dieser Zielsetzung verbindet sich zum einen der An-spruch, über grundsätzliche Perspektiven zeithistorischer Forschungen nachzudenken. Zum anderen knüpft eine Zeitgeschichte der Gesundheit an mehrere Forschungsschwerpunkte Axel Schildts an, dem dieser Essay gewidmet ist. So sind Fragen zur »Modernisierung«, »Westernisierung« und »Amerikanisierung« beim Wandel von Gesundheitskonzepten von ebenso großer Bedeutung wie eine Kulturgeschichte des Kalten Krieges. Darüber hinaus wird mein Essay Axel Schildts ebenso frühes wie innovatives Plädoyer für zeithistorische Forschungen zur »Gesundheit in der Stadt« aufgreifen, das bislang auf viel zu wenig Resonanz gestoßen ist.
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