Die metaphysischen Mucken des Klassenkampfs (original) (raw)
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2020
1981 sind die Vorstellungen in der Wiener Urania ausverkauft, als Der Film Der Schüler Gerber von Regisseur Wolfgang Glück in die Kinos kommt. Die Handlung spielt vor dem Hintergrund des 1930 erschienenen Erfolgsromans Der Schüler Gerber hat absolviert von Friedrich Torberg, der selbst zweimal zur Matura antreten musste. Dieses autobiographische Moment und seine Entrüstung über das schon damals weit verbreitete Phänomen des Schülerselbstmords mündeten in die Schilderung der willkürlichen Machtausübung im Klassenzimmer (. Abb. 19.1, Filmplakat). »Werksgetreu« ist das treffende Attribut für die filmische Umsetzung Glücks, der sich zunächst mit Literaturverfilmungen einen Namen gemacht und wiederholt filmisch autoritäre Machtstrukturen festgehalten hat. Der Film Der Schüler Gerber wartet vor und hinter der Kamera mit einer prominenten Namensliste auf. Gabriel Barylli und die leider schon verstorbene Doris Mayer machen sich später einen Namen als Bestsellerautoren, Kameramann Xaver Schwarzenberger fällt bald als Regisseur auf und der ebenfalls schon verstorbene Werner Kreindl, der den sadistischen Professor Kupfer mimt, wird beim Deutschen Bundesfilmpreis mit dem Filmband in Gold ausgezeichnet. Und nicht zuletzt findet sich Schuberts Andantino, am Klavier interpretiert von Alfred Brendel, fast in der Hitparade wieder (Reichhold 2018, S. 188-189). Handlung Der Schüler Kurt Gerber tritt nach den Ferien das letzte Schuljahr vor der Matura an. Überrascht wird er dabei von dem Umstand, dass der von allen Schülern und Schülerinnen gefürchtete Professor Kupfer sein neuer Klassenvorstand wird. Der Protagonist, ein intelligenter und frühreifer Schüler, aber schwach in Mathematik und Darstellender Geometrie, wird nun genau in diesen Fächern von dem autoritären Pädagogen unterrichtet. Zwischen den beiden entspinnt sich ein Machtkampf auf Leben und Tod, bei dem Kupfer vom Anfang bis zum Ende des Films dominiert, was die Übermächtigkeit des Systems darstellt. Der Lehrer ist der Prototyp pervertierter psychischer Gewalt, indem er die Schüler und Schülerinnen regelmäßig sadistisch erniedrigt. Gerber scheint er im Besonderen ausgewählt zu haben, um an ihm seine Macht und Überlegenheit lustvoll zu demonstrieren. Die anfängliche freche Auflehnung des Maturanten gegen den Lehrer schlägt bald in Ohnmacht und Verzweiflung um, bis sich der Schüler schließlich suizidiert, indem er aus dem Fenster in der Schule springt, ohne das positive Ergebnis der Matura abzuwarten, was er somit nicht mehr erfährt.
Von der Klassenharmonie zum regulierten Klassenkampf
2017
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Historische Anthropologie, 2016
Über die Gegen-Zeitlichkeit des Klassenkampfs bei Adorno, Thompson, Balibar, Rancière und Badiou von Patrick Eiden-Offe gegen ende seiner Fragment gebliebenen Ästhetischen theorie stellt Adorno hintersinnig-maliziös fest, dass "die interpretation alles geschichtlichen auf Klassenkämpfe", so wie der Marxismus sie vorlegt, "ein leise anachronistisches air" an sich habe. 1 Auch im Bereich des literaturgeschichtlichen gilt die Marx'sche these, die geschichte sei eine solche von Klassenkämpfen-im Folgenden kurz: die Klassenkampf-these-als anachronistisch. 2 Dass schon die Behauptung, "Klasse" sei eine auch literatur-und kulturhistorisch relevante Kategorie, im Wenigsten unzeitgemäß und daher höchst fragwürdig sei, das habe ich vor etwa zehn Jahren vielfach-mehr oder weniger explizit-zu hören bekommen. Damals habe ich eine untersuchung über die poetologische Funktion des Klassenkampfs und die Konstitution von "Klasse" in der deutschsprachigen literatur des 19. Jahrhunderts begonnen. "Klasse" als Kategorie war in der literatur-und kulturwissenschaftlichen Forschung damals eindeutig ein Ding der Vergangenheit-vom Marxismus ganz zu schweigen. 3 Die untersuchung ist mittlerweile abgeschlossen, und ebenso überraschend wie die konkreten ergebnisse meiner historischen Forschung war für mich, dass "Klasse" als untersuchungsgegenstand sich in den abgelaufenen zehn Jahren wieder völlig normalisiert zu haben scheint. niemand verzieht mehr irritiert das gesicht, wenn ich vom gegenstand der studie erzähle, und wer heute noch behauptet, "Klasse" als 1 Theodor W. Adorno, Ästhetische theorie, Frankfurt a. M. 1970, 378. 2 Anachronismus meint zunächst "das chronologische Verlegen von personen, ereignissen, objekten und Bräuchen". neben der rückverlegung "von Begriffen-und den damit bezeichneten gegenständen-in epochen, die diese nicht gekannt haben" (Caroline Arni, Zeitlichkeit, Anachronismus und Anachronien. gegenwart und transformationen der geschlechtergeschichte aus geschichtstheoretischer perspektive, in: l'Homme Z. F. g. 18 (2007) H. 2, 53-76, 59), wird, wenigstens in der Alltagssprache, auch das Festhalten an Begriffen-und die Annahme der existenz der bezeichneten gegenstände-in epochen, die diese nicht mehr kennen, als Anachronismus bezeichnet. Das anachronistische Festhalten an Begriffen und Vorstellungen über deren historisches Verfallsdatum hinaus verzeichneten die Wörterbücher des 19. Jahrhunderts laut Jacques rancière mit dem Begriff des Parachronismus, der sich allerdings nicht durchgesetzt hat; vgl. Jacques Rancière, Der Begriff des Anachronismus und Wahrheit des Historikers, in: eva Kernbauer (Hg.), Kunstgeschichtlichkeit. Historizität und Anachronie in der gegenwartskunst, paderborn 2015, 33-50, 34. 3 Die Verabschiedung der Klassenfrage und die Abgrenzung vom Marxismus war für viele spielarten der Kulturwissenschaft epistemologisch-methodologisch (und für viele Kulturwissenschaftler*innen biografisch) konstitutiv; einige thesen dazu finden sich bei Eva Blome/Patrick Eiden-Offe/ Manfred Weinberg, Klassen-Bildung. ein problem-Aufriss, in: internationales Archiv für sozialgeschichte der deutschen literatur (2010), H. 2, 158-194.
Klassenkampf von allen Seiten [When Class Conflict Is Suddenly Obvious]
der Freitag, 2019
Der griechisch-französische Staatstheoretiker Nicos Poulantzas hat in seinem Hauptwerk "Staatstheorie" einmal geschrieben, dass die Klassen in einer Gesellschaft, die Besitzenden und die Nichtbesitzenden, immer im Konflikt miteinander stünden, selbst wenn man das nicht immer gleich sofort erkennen könne. Nun, kann man in dieser Woche wohl sagen, sieht man diese Konflikte der Klassen weltweit ziemlich offen zutage treten.
Anders Zweifeln – Eine metaphysische Provokation
Rationalität, Realismus, Revisionen, GAP3 München , 1997
Um Putnams Beweis gegen die Hypothese vom Gehirn im Tank zu stützen, verteidige ich ihn gegen folgenden starken Einwand: Das eingetankte Gehirn könnte den Beweis Wort für Wort wiederholen. Der Fehler dieses Einwandes liegt darin, dass der tanksprachliche Beweis (wenn richtig verstanden) aus der Tanksprache in unsere übersetzt werden muss und dann gar nicht von Gehirnen und Tanks handelt (sondern vom Speicherinhalt des Simulationscomputers). Meiner Ansicht nach sollten wir uns nicht darüber den Kopf zerbrechen, ob wir ein Gehirn im Tank sind, sondern darüber, ob wir in einer analogen Situation stecken, um eine Ebene nach oben verschoben. Das ist ein metaphysisches Problem, kein erkenntnistheoretisches. Doch auf welche Weise sollten wir die Metaphern in meiner Formulierung des Problems auspacken? Wie so oft laufen wir in der Metaphysik Gefahr, Unsinn zu produzieren, wenn wir nicht aufpassen. Um der Gefahr zu entrinnen, schlage ich vor, dem Problem folgende präzise Form zu geben: Was müsste ein eingetanktes Gehirn in seiner Sprache sagen, wenn es seine eigene Situation treffend beschreiben wollte? Es braucht dafür semantisch stabile Ausdrücke. (Ein Ausdruck ist semantisch stabil, wenn er bei Übersetzung aus der Tanksprache in unsere Sprache nicht verändert zu werden braucht; solche Ausdrücke sind vom Externalismus à la Putnam nicht betroffen). Zeitliche Ausdrücke sind semantisch stabil; ebenso die Ausdrücke "Entität", "Art", "andersartig". (Im Unterschied hierzu sind die Ausdrücke "materieller Gegenstand" und "natürliche Art" semantisch instabil). Diese sprachphilosophische Übung führt mich zu folgender Hypothese, gegen die Putnams wasserdichter Beweis nichts ausrichten kann: "Vielleicht gibt es zeitliche Entitäten, die von anderer Art sind als alle materiellen Gegenstände". Sollte diese Hypothese zutreffen, änderte dies nichts an der Zuverlässigkeit unserer alltäglichen und naturwissenschaftlichen Wissensansprüche.
Ein Realitätscheck durch interdisziplinäre Dialoge
Ökologisches Wirtschaften - Fachzeitschrift
Klimaforscher(innen) sind verstärkt um einen Dialog mit verschiedenen Akteuren bemüht. Insbesondere wenn es um Fragen des Energiesystems, der Klimapolitik oder des Klimawandels geht, ist das Wissen gesellschaftlicher Akteure von Bedeutung. Ein Dialog im Wissenschaftsbereich bedeutet wechselseitiges Lernen.
NOTWENDIG UND DOCH KONTINGENT: METAPHYSIK AM BEISPIEL DES SCHMERZES
2023
Das Buch widmet sich zentralen Fragen der theoretischen Philosophie und nähert sich ihnen am Beispiel des Phänomens Schmerz: Was kann anders sein als es ist, was nicht? Warum kann Notwendigkeit kontingent sein? Was unterscheidet Ermöglichung von Verursachung? Wie ist das Verhältnis zwischen Geist und Welt? Was macht es im Falle des Schmerzes besonders? Was ist erfahrungsunabhängiges Wissen? Warum ist nicht alles Unbezweifelbare immer unbezweifelbar? Was ist entscheidbar, was nicht? Warum entscheiden wir uns fast nie dazu zu sagen, «zu wissen, dass wir Schmerzen haben»? Welche metaphysischen Voraussetzungen haben Wahrung und Verletzung der Grice’schen Konversationsmaximen der Quantität und Qualität? Warum ist es bei nahezu keinem anderen Weltzustand so sicher ein Affront wie beim Schmerz, die Aussage einer Person, in diesem Zustand zu sein, offen anzuzweifeln?