Über das Leben des Hörers reden" oder: Lebenswelt als Deutungshorizont der Predigt (original) (raw)

Intertextualität - Helferin bei der Predigt. Das Gespräch, das Texte miteinander führen

Korrespondenzblatt, 2016

Die Perspektive der "Intertextualität" eröffnet interessante Perspektiven für die Hermeneutik des Christentums. Die Religionsgeschichte des hellenistischen Raums ist dabei für die Erkundung von Bedeutungsschichten aufschlussreich, die bei vorrangig theologisch geleiteter Lektüre verborgen bleiben können. Dabei werden Motive erkennbar, die Darstellung und Bildwelt biblischer Texte und christlicher Überlieferungen beeinflusst haben und die zu ihrer Entstehung mehr beigetragen haben könnten, als zunächst vermutet werden mag. Diese Perspektive ist insbesondere von der Literaturwissenschaftlerin und Psychoanalytikerin Julia Kristeva entwickelt worden. Damit ist ein Programm umrissen, das über eine "Dekonstruktion" im Sinne J. Derridas hinausgeht, die das Assoziationsfeld und unbewusste Bezüge eines Textes untersucht, ohne einem hermeneutischen Ziel der Identifikation sinngebender Bedeutungsschichten verpflichtet zu sein. Für wirkungsmächtige religiöse Texte ist die Dekonstruktion nur ein Zwischenschritt, indem sie in Wechselwirkung mit den verinnnerlichten "Texten", Bildern und Erzählungen der Verfasser und ihrer Leser in bewusster und unbewusster Wechselwirkung stehen. Letztere Schicht erschließt sich dem späteren Leser erst durch Kenntnis jener, meist mythologischer Bezüge. "Intertextualität" kann somit als ein Programm tiefenpsychologisch motivierter Hermeneutik verstanden werden. es wird nach unbewussten Schichten der Texte gefragt, die als wirksam angesehen werden, und die auch im neuzeitlichen Leser Resonanzen wecken können. Daher ist die Kenntnis der mythologischen Horizonte und Bildwelten der hellenistischen Antike notwendig- auch für eine gegenwärtige Hermeneutik biblischer Texte und christlicher Überlieferungen. In einem knappen Beitrag habe ich dieses Verfahren im "Korrespondenzblatt" (Hrsg.: Pfarrer- und Pferrinnen-Verein der Ev.-luth. Landeskirche in Bayern), (Jg. 131) 2016, Nr. 1, S. 43-44 vorgestellt. Dieser Artikel greift den Dioskuren-Mythos als "Folie" und unbewusster Bezug der Darstellung des Weges Jesu Christi auf. Nach Abschluss dieses Artikels - und daher hier zu nennen - erschien der kenntnisreiche Artikel von Barbara Beyß, "Söhne des Himmels. Sternenbrüder. Retter der Menschen: Zur Mythologie der indo-europäischen Zwillingsgötter", in: Herdfeuer Nr. 44 (2/2016), S. 2 - 92 (als Themenheft erschienen.) Hier liegt eine umfassende Zusammenschau des Dioskurenmythos vor, von seinen vedischen und prä-vedischen Ursprüngen bis zu ihrer Verwandlungsgestalt in den heiligen Ärzten Kosmas und Damian, und mit Hinzuziehung von religionsgeschichtlichen Parallelen. Die christologischen Implikationen dieses Resonanzfelds könnten ausgeleuchtet werden.

Lebensraum des Wortes: Zur Bibelverwendung der römischen Liturgie am Beispiel ihrer Gesänge

Liturgisches Jahrbuch 62, 2012

Was eine liturgische Tradition besonders charakterisiert, sind ihre Gesänge; diese prägen auch ihre spezifische Spiritualität wie kaum ein anderes Element der Liturgie. Gebetstexte sind zwar eine wichtige QueUe der Theologie, werden aber von den Gläubigen schon im Vollzug nur selten wirklich wahrgenom.men; an Lesungen können sich viele bestenfalls pauschal erinnern, wenn der Gottesdienst vorbei ist. Gesänge hinterlassen dagegen einen bleibenden Eindruck; ihre untrennbare Einheit von Inhalt und Form des Textes mit seiner Klanggestalt senkt sich tief in das individuelle und kollektive Glaubensbewusstsein und schafft ihm zugleich höchsten Ausdruck. Was und wie im Gottesdienst gesungen wird, ist für die liturgische Feiererfahrung von besonderer Bedeutung. Ein wesentliches Charakteristikum römischer Liturgie 1 besteht nun in der starken biblischen Prägung ihrer Gesangstexte; 2 dieser relativ konsequente Biblizismus unterscheidet die römische Tradition nicht nur von den Ostkirchen, sondern auch von den anderen Riten des lateinischen Westens. 3 Unter den verwendeten Bibeltexten entstammt der bei weitem überwiegende Teil dem. Psalter. 4 Wenn im Folgenden nach dem spezifi-1 Nach der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils Sacrosanctum Cancilium 116 »anerkennt die Kirche den Gregorianischen Gesang als den der römischen Liturgie eigenen« (Ecclesia cantum gregorianum agnoscit ut liturgi.ae romanae proprium ). 2 In der Praxis wurden die überlieferten Gesänge immer wieder durch freie Dichtungen ergänzt oder interpoliert; schon bald nach der Übernahme des römischen Kirchengesangs im Karolingerreich entstanden neue Gattungen wie Sequenzen, Tropen und Prosulae; vgl. z. B. David Hiley, Western Plainchant. A Handbook, Oxford 1995 [== 1 1993], 518-520 sowie 172-238. Alle diese nachantik-nichtrömischen Zutaten stellen eine qualitative, nicht bloß quantitative Erweiterung des Gesangsrepertoires dar; dass sie freilich das aus Rom übernommene Repertoire ausschließlich ergänzten, aber im Mittelalter nie einfach ersetzten, macht deutlich, dass man dieses zwar einerseits als unantastbar kanonisches Corpus betrachtete, darin aber trotzdem keinen hinreichenden Ausdruck der eigenen Spiritualität mehr erkennen konnte. 3 Die Gesänge der römischen LiLUrgie enthalten nur sehr wenige nicht-biblischen Texte; deren Auftreten ist derart anormal, dass es nicht selten ein Indiz für nicht-römischen Ursprung ist. 4 Für die Bibelverwendung der römischen Liturgie existiert nur ein unzureichendes Hilfsmittel: Carolus Marbach, Carmina scripturarum, scilicet antiphonae et responsoria ex Sacro Scripturae fonte in libros liturgicos sanctae ecdesire Romanre derivata, Argentoratum 1907 [Ndr. Hildesheim 1994],. legt den Zustand seiner Zeit zugrunde und verzeichnet deshalb neben dem alten Kern des Repertoires jede Menge neuzeitlicher Proprien, erfasst im Gegenzug aber nicht jene

Hören ist Gold- Von der Predigt als Wort Gottes

Alles, was wir tun können, ist, die möglichst besten Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wir Gott zu hören vermögen, wenn er sich selbst zur Sprache bringt '. 2 Über das Verhältnis zwischen der Predigt und dem "Wort Gottes" ist im Lauf der Jahrhunderte viel geschrieben. 3 Es ist ein empfindliches Verhältnis, weil es einerseits grundlegend ist für das theologische Verständnis der Predigt und andererseits problematisch, da Charakter und Niveau der tatsächlich gehaltenen Predigten (allzu) menschlich sind. Die Verheißung, die Vollmacht und der Auftrag, das Wort Gottes zu reden, gehen Hand in Hand mit der Unmöglichkeit, eben das zu tun. Diese Spannung löst wichtige theologische Fragen aus. Das Nachdenken über diese Fragen wird sich als relevant erweisen für die viel breiter angelegten Diskussionen über die Vermittlung des Evangeliums an Menschen von heute 4 . In diesen Diskussionen geht es nicht nur um die (Un-)Möglichkeiten der Kommunikation, sondern auch um die grundlegenden epistemologischen Fragen nach Gotteserkenntnis und religiöser Wahrheit. Was sagen wir eigentlich, wenn wir davon reden, dass das Wort Gottes in Menschenworten erklingen kann?

Der sündige Mensch in der Predigt. Probleme und Perspektiven

Deutsches Pfarrerblatt, 2017

Sünde ist ein derart altertümliches Wort, dass kaum noch ein aufgeklärter Prediger die Formulierung "Wir sind alle Sünder" in den Mund nimmt. Aktuellen Predigerinnen und Predigern fällt es daher nicht leicht, von der Sünde zu sprechen. Jedenfalls gilt diese Beobachtung für den volkskirchlichen Kontext. Dahinter steht in der Regel ein Missverständnis von "Sünde". Isolde Karle rekonstruiert den Begriff der Sünde theologisch als zerstörerischen Kommunikations-und Lebenszusammenhang, woraus sie dann auch homiletisch andere Konsequenzen zieht.

Schmid Keiser Liturgie trifft Lebenswelt online

Liturgie trifft auf Befindlichkeit und Lebenswelt Zur Skizze von Reinhard Meßner in HlD 71 (2017) 223–232 Reinhard Meßner hat eine Skizze mit Erwägungen zur Gestalt und rituellen Performance der Eröffnungsriten der Messe vorgelegt. In seiner Replik reflektiert Stephan Schmid-Keiser die dabei für ihn offen gebliebenen Fragen – auf dem Hintergrund einer ausführlicheren Beschäftigung mit Fragen der Lebensrelevanz von Gottesdiensten.

Der hermeneutische Imperativ : Lebensgeschichte als religiöse Selbstauslegung

1990

Lebensgeschichte als religiöse Selbstauslegung Wonach fragen wir, wenn wir nach der Präsenz der Religion in der Lebensge schichte der Menschen fragen? Die Lebensgeschichte eines Menschen ist be kanntlich die zeitliche Abfolge seiner Erlebnisse und Handlungen einerseits und die Erzählung, mit der diese erinnert werden, andererseits. Jeder von uns hat eine Lebensgeschichte, und jeder von uns kann zugleich auch das eine oder andere davon erzählen. Und dabei ist die Geschichte, die einer hat, immer noch einmal mehr und anders als die, die er erzählen kann 1 • Wenn wir also nach der Präsenz der Religion in der Lebensgeschichte der Menschen fragen, meinen wir damit das Vorkommen religiös geprägter oder mo tivierter Erlebnisse und Handlungen in der Lebensgeschichte, die einer hat, oder meinen wir damit die Art der Deutung, in der einer sein Leben versteht oder in der sein Leben von anderen verstanden wird? Oder meinen wir beides, die faktische Prägung eines Lebens durch religiöse Orientierungs-und Verhaltensmuster und ebenso auch die Deutung, in der dieses Leben, wie es auch immer faktisch verlaufen sein mag, religiös verstanden wird? Hier zu unterscheiden ist jedenfalls nicht unwichtig, weil eben, wie leicht zu ersehen ist, das eine nicht dasselbe ist wie das andere. Eine Lebensgeschichte kann religiös verstanden werden, auch wenn sie in ihrem faktischen Verlauf keine Prägung durch religiöse Erfahrungen und Maximen erkennen läßt. Eine Lebens geschichte kann sogar auch dann noch religiös verstanden werden, wenn sie in dem, was sie von sich selber erzählt, gerade die Befreiung von den Sinnvorgaben und Wertsetzungen religiöser Sozialisation dokumentiert 2 • Es dürfte jedenfalls kaum genügen, die Präsenz der Religion in der Lebensge schichte des einzelnen über deren faktisches Vorkommen als Sozialisationsfaktor zu identifizieren. So oder so, wie religiös-kulturell geprägt oder religiös-kulturell

Erlebnis Predigt im Ritual des Gottesdienstes

Der Titel dieses Beitrags spricht vom »Ritual« des Gottesdienstes-ein Begriff, den wir Protestanten lieber vermeiden und stattdessen (jedenfalls in meinem dänischen Kontext) eher von der »Liturgie« sprechen. Das Wort Ritual war immer strittig innerhalb des Protestantismus. Der amerikanische Historiker Eduard Muir schreibt, dass das Wort »Ritual« schon zur Reformationszeit mit negativen Konnotationen verbunden war. The term [ritual] was originally employed in a pejorative sense to describe the disreputable practices of somebody else: what I do was ordained by God and is »true religion«; what you do is »mere ritual«, at best useless, at worst profoundly evil. The appearance of the word »ritual«, moreover, indicates a major intellectual shift in the understanding of the relationship between human behavior and meaning. 1 Hinter dieser Skepsis dem Wort »Ritual« gegenüber steht der Verdacht, dass es im Ritual um Magie geht und magische Aktivitäten ausgeübt werden. Oftmals wird Magie als eine automatische und kausale Kraftübertragung verstanden, d. h. eine Übertragung von göttlichen oder dämonischen Kräften, die ohne eine besondere innere oder religiöse Verbindung zwischen den Agenten und Gott stattfindet. 2 Die Kraftübertragung wird ganz